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20. Juli 2017

Geistlichkeit und Weltlichkeit

Geistlichkeit ist der Glaube an die geistige Natur der Existenz, und Weltlichkeit ist der Glaube an den Besitz, Geistlichkeit achtet auf das Wohlbefinden unseres Geistes, und Weltlichkeit achtet auf die Voraussetzungen seiner Herrschaft.

Der Friede, um welchen es der Geistlichkeit geht, kann dabei auf unterschiedliche Weise vermittelt werden, nämlich entweder durch den Geist selbst oder sozial durch Mitmenschen. Das Gewicht der beiden Ansätze variiert dabei von Religion zu Religion. Mögen die einen freiheitlich und die anderen gemeinschaftlich heißen.

Das Christentum läßt, soweit es seine schriftlichen Grundlagen angeht, freiheitlichere und gemeinschaftlichere Ausprägungen zu. Gemeinschaftliche Religionen müssen zwangsläufig Mindeststandards festlegen, welche erfüllt werden müssen, damit der Gläubige sich der Versicherung seiner Zugehörigkeit sicher sein darf, denn um den so gestifteten Frieden geht es ihnen ja gerade und ohne Voraussetzungen können sie ihn nicht gewähren.

Der Katholizismus im speziellen hat die Schwelle so niedrig wie möglich, aber so hoch wie nötig angelegt, offenbar mit dem Ziel, so viele Seelen wie möglich zu rechtfertigen. Dies führt indessen bei nicht wenigen Menschen zu einem charakteristischen Fehlwuchs: Wer dazu geschaffen wurde, den Mount Everest zu erklimmen, fühlt sich nach Erreichen des katholischen Plateaus nicht unbedingt ausgelastet, und in dem Sinne gilt für nicht wenige Katholiken, daß viele Erste Letzte sein werden, und viele Letzte Erste. Zu Anfang erzeugt die gemeinschaftliche Versicherung der Zugehörigkeit eine erhöhte Intimität, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen auf ansehnliche Weise vertieft. Doch mit den Jahrzehnten gebiert die in ihrem vertikalen Wuchs durch die gemeinschaftliche Unterordnung gedeckelte Spiritualität horizontale Ausgriffe, welche geradezu häßlich anzusehen sind: Die Drangsalierung von Mitmenschen mit dem Ziel, ihr Heiligstes zu sehen, mit der Begründung, daß es ja nur wirklich wäre, wenn es sich auch zeigt.

Alle Systeme, welche Individualität hinter Zugehörigkeit zurückstellen, ob geistlich oder nicht, münden schließlich in den Konsum der Individualität, welche unter diesen Umständen keinen anderen Nutzen verspricht, und der Wahnsinn in den Augen allzu vieler erfolgreicher Franzosen und Spanier, vornehmlich, verrät, daß der Katholizismus dieser Gruppe zuzurechnen ist.

Dennoch, auf's Ganze gesehen, auf welches in bewertender Absicht zu blicken Gott von uns fordert, stellt der Katholizismus eine Trutzburg dar, welche gerade wegen ihres tief liegenden Schwerpunkts schwer umzustoßen ist.

Indes, dazu wehrt er sich durch Exkommunikation, und noch jede Form der Geistlichkeit wehrt sich gegen das Unheilige, die gemeinschaftlichen durch Ausschluß und die freiheitlichen durch Tabus, und es gibt keine Religion, welche nicht predigen würde, daß es den Sündern schlecht ergehen wird, jedenfalls soweit es ihre schriftlichen Quellen angeht.

Auch im Neuen Testament gibt es Handhabe genug, die christliche Gemeinde durch Gesetze zu schützen, welche bestrafen, was ihren Frieden gefährdet, und es hat lediglich historische Gründe, daß dergleichen Gesetze nie aufgestellt wurden, weil die katholische Kirche weitergehende Befugnisse zu richten hatte und die Reformation nur um den Preis der gesetzlichen Befreiung des Adels zu haben war.

Um ihre Schafe nicht zu verlieren, erweckt die katholische Kirche zumindest den Anschein, als würde sie die Schwelle zu ihrer Zugehörigkeit senken, doch muß sie dabei aufpassen, daß sie auf diese Weise immernoch die Geistlichkeit gegen die Weltlichkeit verteidigt, denn wenn sie es nicht mehr tut, hindert sie auch das Gericht der Geistlichkeit über die Weltlichkeit nicht mehr. Konkret hat sie sich durch allzu wohlfeile Karitas bereits fatal verwickelt, und wenn die katholische Kirche auch immer in ihrem eigenen Recht bleiben wird, nämlich daß alles gut würde, wenn alle Menschen Katholiken würden, der schwarze Peter also immer woanders verortet werden kann, so legen mehrere Milliarden Menschen, welche für gemeinschaftliche Geistlichkeit nur Verachtung übrig haben, seien sie weltlich oder freiheitlich geistlich, doch den Schluß nahe, daß dies nicht die Auflösung der entstandenen Spannungen darstellt.

Ich schrieb bereits davon, daß, wenn die Kraft der geistlichen Menschen ausreichend wäre, es zu keinem geistlichen Verfall käme, und daß es also illusorisch ist, darauf zu bauen, daß sie die Mißstände richten könnten. Ihrer sind in diesen Zeiten zu Wenige, wir sind zu schwach: In Abwesenheit wirksamer Sanktionen breitet sich die Weltlichkeit immer weiter aus, und ihr Scheitelpunkt kommt erst noch.

Es bleibt wirklich nur, am Ufer zu stehen und auf das gläserne Meer zu sehen, und wenn die letzten geistlichen Strömungen zum Erliegen kommen, wird das Feuer wohl heiß genug sein. Freilich, bei einer derart allgemeinen Betrachtung kommt es nicht auf jeden Winkel an, und was gerichtet werden kann ist auch zu richten, doch den Wandel bringt die Besinnung auf den Geist.