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4. August 2017

Nahe Abweichungen vom Ideal

Ich bin gerne in Niedersachsen, denn dort kann ich mich davon vergewissern, daß es neben mir noch andere Menschen gibt.

Gut, ich gebe zu, daß auch das Rheinland und Bayern in schöner Regelmäßigkeit Zweibeiner von erlesener Würde hervorbringen, aber was habe ich mit ihnen schon zu tun?

Nur in Niedersachsen sehe ich das Material, aus welchem auch ich bestehe, glücklich, anerkannt und mit sich selbst zu Frieden verbunden. Unzweifelhaft spielt dabei die Gelegtheit des Landeis in sein natürliches Habitat eine zentrale Rolle, denn das Material, von welchem ich hier spreche, hält nicht viel von Verträgen und Fraktionszwang.

Doch um die Beschaffenheit dieses Materials, das Zudrücken des linken Auges beim Blick gegen die Sonne und dergleichen mehr, die tiefliegenden Augen beispielsweise oder die belustigte Grundhaltung, soll es mir hier nicht gehen, denn wesentlich für die gemeinschaftliche Prüfung ist lediglich die Intaktheit des Wesens des Kerns der Gemeinschaft, da darin bereits seine Idealität liegt.

Jedes von Gott gehaltene Wesen ist also ein Ideal und umgekehrt, doch läßt sich nicht jeder von Gott halten, und so kommen die weltlichen Naturen in dieselbe; letztlich als Opferungen des göttlichen Erbteils. Doch geht es in der gemeinschaftlichen Prüfung nicht um die Form der Ideale, nicht um einen Wettstreit ihrer, sondern um die Bekräftigung der Geistlichkeit, und darum kann der Zirkel nicht bloß um den idealen gemeinschaftlichen Kern gezogen werden, sondern gerade in der Zurückgewinnung der nächsten weltlichen Abweichler muß und wird der Geist seine erneuerte Kraft zunächst erweisen.

Um uns also auf diese Aufgabe etwas vorzubereiten, seien nun diese nahen Abweichungen vom Idealen besprochen. Es gibt ihrer drei: die Verhärmten, die Verzärtelten und die Entehrten. Neben ihnen möchte ich auch noch ein paar Worte zu einem anderen Typ sagen, nämlich den Hoffenden, da ihre Zeit zum Ende kommt.

Die Verhärmten besitzen die Fülle ihres Wesens zwar noch, wie die anderen beiden nahen Abweichungen auch, aber sie haben sich selbst Zügel angelegt und geben sich selbst die Sporen, um gewisse weltliche Ziele zu erreichen, oftmals geschäftlichen Erfolg, aber es kann sich auch um ganz andere Dinge handeln, wie der Mode zu entsprechen oder etwas öffentlich zu büßen.

In jedem Falle versprechen sich die Verhärmten von ihrer Selbstzucht eine bessere Angepaßtheit an die Welt, welche sie einst verletzte, sie versprechen sich Glück und Anerkennung unter Aufbietung ihres Friedens. Mit anderen Worten ist es die Vernunft der Verhärmten, welche sich an sich selbst versündigt.

Um nun die Verhärmten zum Ideal zurückzuführen, bedarf es lediglich, ihr Potential anzuerkennen und sie im Dienst der gemeinsamen Sache ihre Wunden heilen zu lassen, also den Speer des Wettstreits, welcher sie auch schlug, die Wunde schließen zu lassen, nicht auf Kosten des Ideals, sondern im Rahmen seiner Erhöhung.

Bei den Verzärtelten sieht die Angelegenheit naturgemäß ganz anders aus. Hier ist es die Lust, welche sich an sich selbst versündigt, indem sie sich einredet, daß es auf sie und ihre Ebene, nämlich die materielle Durchsetzung, nicht ankäme, üblicherweise im Rahmen eines pikierten Standesdünkels, welcher alles Grobe an andere delegiert.

So ein Mensch ist aber kein Vorbild, sondern vielmehr Gefangener seiner Angst und Undankbarkeit, indem er nichts, was einen wirklichen Preis fordert, auf gleiche Art vergelten kann.

Um ihn nun zum Ideal zurückzuführen, müssen ihm im doppelten Sinne bescheidene Dienste, von materieller Art, aber ohne große Beschwer, übertragen werden, um die Lust dann durch graduelle Anhebung der Beschwer bis zum nötigen Grade aufzurichten, und dieser nötige Grad besteht darin, gefaßt zu sein, sämtliche Herausforderungen, welche das Leben an einen stellt, selbst zu bestehen, was freilich bei weitem nicht dasselbe ist, wie sie auch tatsächlich zu bestehen; entscheidend aber ist der Trutz des Herzens.

Bleiben die Entehrten. Charakteristisch für diese Gruppe ist das Vorhandensein von Zwangsvorstellungen, unter einem Bann zu stehen, welcher einen zu einer bestimmten Lebensweise, zur Annahme eines eigenen Verhaltenskodex' zwingt. In Folge dessen verfolgen Entehrte oftmals Ziele, welche sich Außenstehenden nicht erschließen, und ihre Bemühungen um die natürlichen Güter folgen regelmäßig seltsam verschlungenen Pfaden.

Sie sind die in Flucht Geschlagenen, welche wähnen zu jagen, die aus dem Licht Getriebenen, welche die Achtung nicht hinreichend warnte, im Begriff zu sein, ihr Ansehen zu verlieren, welche ihre Achtung also wenigstens ein Mal vernachlässigt haben. Sie ins Licht zurückzuführen braucht es keinen Gesangsunterricht, sondern bloß ihre nachsichtige Wiedereingliederung, denn niemand, welcher sich in seine eigene Welt zurückgezogen hat, wäre nicht auch bereit, sie wieder zu verlassen, wenn ihm die Gelegenheit dazu gegeben wird.

In diesen Bereichen also wird sich die geistliche Genesung zuerst zeigen, aber reden wir abschließend auch noch von denjenigen, welche nicht unbedingt in blindem Vertrauen, aber jedenfalls in unversicherter Hoffnung ihr Leben, von seinem Liebreiz gewonnen, dem Schönen nach ausgerichtet haben.

Wer so sein Leben lang einen Tunnel gräbt, und zugleich anderen ein Licht ist, der ist am Tage des Durchbruchs wohl müd', und eine beschauliche Rast sei ihm dankbar gegönnt.