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10. März 2024

Zur Kontrolle der Erlebnis-(sub-)kulturen durch die katholische Kirche

Ich möchte die Betrachtung der abendländischen Geschichte in Kulturelle und subkulturelle Herrschaft unter den Aspekt der gesellschaftlichen Zielvorstellungen der katholischen Kirche bringen.

Die linke Hand der katholischen Kirche besteht aus den Sündern, welchen sie vergibt, und die rechte aus den Idealen, welche sie predigt. Wie ich im referierten Beitrag ausführte, signalisierte der Altar des Wiener Stephansdoms den Einzug eines neuen Ideals, nämlich daß die Welt für das einfache Volk (metaphorisch durch geflügelte Säuglinge dargestellt) zu gestalten wäre, weil es in ihr lebt, und bereits implizit darin enthalten ist die Vorstellung, daß das einfache Volk letztlich darüber zu entscheiden hat, in welcher Welt es leben will.

Und das ist immernoch das gesellschaftliche Ideal, welches die katholische Kirche predigt, und ein neues ist auch nicht in Sicht. Vielmehr erfüllt es weiterhin eine wichtige Funktion, nämlich den Glauben daran zu befestigen, daß sich auf seiner herrschaftlichen Grundlage, also der beschriebenen Kombination der christlichen Kultur mit demokratischer Willenssubkultur, das Reich Gottes in Form des Weltstaats verwirklichen ließe.

Nur daß die militärisch mächtigsten Staaten der Welt nicht auf dieser Grundlage stehen, weder die Vereinigten Staaten, noch Rußland oder China. Letztere liegen außerhalb des Einflußbereichs der katholischen Kirche, aber auf Amerika kann die katholische Kirche sowohl durch ihre linke, als durch ihre rechte Hand Einfluß nehmen.

Letzteres hat sie seit 2000 recht erfolgreich getan, die amerikanischen Vorstellungen eines guten Lebens nähern sich den europäischen zunehmend an, aber gleichzeitig setzen sich die organisatorischen Interessen des die amerikanische Erlebniskultur beherrschenden inneren Zirkels global immer mehr durch.

In gewisser Weise ist das der katholischen Kirche ganz recht:
  1. erzeugt es weltweit Antiamerikanismus und
  2. erlaubt es ihr, den inneren Zirkel wie gehabt durch ihre linke Hand zu kontrollieren.
Dostojewskij spricht es in Die Brüder Karamasow, genauer gesagt in der Erzählung vom Großinquisitor, offen aus, daß die katholische Kirche die Welt mit den Mitteln des Teufels regiert, Heinrich Heine ist vorsichtiger und gibt nur zu bedenken, daß der Ablaßhandel ein Gleichgewicht zwischen Gut und Böse herstellt, indem jede böse Tat eine gute nach sich zieht: Der Sünder beichtet und bezahlt für seine Vergebung ein Bußgeld, welches das heilige Werk der Kirche finanziert. Was Heine nicht sagt, ist, daß er damit der katholischen Kirche zugleich ein genaues Bild über die lokalen Machtkämpfe vermittelt, gerade wie heute Kriminelle der Anwaltskammer, wenn sie sich in der Hoffnung auf Straferleichterungen vertrauensvoll und großzügig an Anwälte wenden.

Die linke Hand weiß also, wer welche Verbrechen begeht, welche genau er begangen hat und welche er zu leisten im Stande ist, und sie beschirmt den, wer sich ihr gegenüber erkenntlich zeigt: Es ist eine einfache und effektive Kontrolle der Unter- und Oberwelt.

Deshalb mag es durchaus sein, daß die katholische Kirche über die zunehmende Macht des inneren Zirkels nur lachen kann. Das Problem ist aber folgendes: Entweder
  • sie setzt auf seine Überwindung durch ihre rechte Hand, oder
  • sie setzt auf seine Einspannung zu ihren Zwecken durch ihre linke, oder
  • sie setzt auf seine Überwindung durch ihre rechte und linke Hand,
und ersteres ist nur bis zu einem bestimmten Grade erfolgreich, da der innere Zirkel seine Feinde sanktionieren kann, und die zweite Möglichkeit ist mit dem Problem verbunden, daß das einfache Volk die Predigt ihrer rechten Hand als Heuchelei erkennt, da dem inneren Zirkel nichts an ihm gelegen ist, und der von ersterem beherrschte Weltstaat letzterem also eine andere Stellung als die gepredigte zuwiese, und letzteres riskiert den offenen Krieg gegen die stärkste Militärmacht auf Erden.

Es hat jedenfalls den Anschein, daß sich die katholische Kirche ihrer eigenen Legitimationskrise zum Trotz zunehmend auf ihre linke Hand verläßt, aber wenn das Bild der barocken Engel dabei zu einem schlechten Witz wird, wird sie finden, daß ihr niemand auf dem Weg in einen neofeudalen Weltstaat folgt, um dort, seiner Freiheit beraubt, sich wieder Respekt zu verschaffen, in einer Wiederholung der Entwicklung des mittelalterlichen Bürgertums unter den Bedingungen der die menschliche überflügelnden künstlichen Intelligenz, was ein absoluter Albtraum würde.

Nein, der Mensch ist keine verschiebbare Masse, selbst Kühe spüren, wenn es nicht in den Stall, sondern zum Schlachter geht. Die konkreten Anforderungen der Geschichte erlauben es nicht, sich der Kontrolle durch die katholische Kirche zu Liebe in den ihr vertrauten Bahnen zu bewegen.