Wenn wir im funktionalen oder materiellen Zykel voranschreiten und dabei etwas probieren, was uns mißfällt, stehen wir stets vor der Wahl, denselben zurückzusetzen, das heißt zu reformieren, oder den nächsthöheren ihm abgesteckt unterzuordnen und also zivilisatorische Fahnenflucht zu begehen.
So hat etwa der christliche Glaubenszykel in seiner gemeinschaftlichen Phase die abendländischen Nationen verfaßt, und die Haltungen, welche sie dabei probiert haben, haben sie in den Ersten Weltkrieg geführt. Wenn sich Politiker seitdem von internationalen Unternehmen bestechen ließen, so haben sie bis vor ein paar Jahren gerne auf die Lehren verwiesen, welche sie aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hätten - Lehren, welche der reflexartigen Revulsion von Betriebswirtschaftsstudenten gegenüber militärischen Erwägungen bis auf's Haar gleichen (sie stellen sich an, als ginge man ihnen an die Eier).
Natürlich wurden nach dem Ersten Weltkrieg keine Lehren gezogen. Stattdessen wurde das Bemühen, die eigenen Vorhaben an den eigenen Glauben anzupassen, zugunsten des Vertrauens auf die eigene Vorliebe aufgegeben und im Falle Deutschlands darüberhinaus zugunsten der Vorhaben des vernachlässigten Glaubens im Rahmen des popkulturellen Zykels (Wandervögel et cetera), wovon ich hier indes abstrahieren möchte.
Das ritterliche Vorbild wurde im Laufe von ein paar Jahrzehnten vom wirtschaftlichen Aufschwung und der Verbesserung des Lebensstandards verdrängt. Der Atombombe sei Dank war die Sorge um die eigene Sicherheit an ihr Ende gekommen und eine Art irdisches Paradies heraufgezogen, in welchem die höchste Tugend darin bestand, das Glück mit beiden Händen zu packen, am reinsten gemäß Hexagramm 17 des I Chings in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Und wenn Frau von der Leyen heute von einer Nostalgie spricht, welche wir uns nicht mehr leisten können, so geht es ihr auch nicht um eine Reform, sondern um eine weitere zivilisatorische Fahnenflucht: Was die Gesellschaft vorzieht, soll nichts mehr gelten, weder in Form von Ansehen, noch Popularität. Die eigene Strategie ist, was sich nicht mehr verbergen läßt, überholt, aber sie besitzt ihre eigene Logik, ihre eigene Vernunft, und in derem Namen wird der Verzicht auf die Vorliebe gefordert, welche der Zurücksetzung des materiellen Zykels angesichts der Verfahrenheit der Entwicklung zu Grunde liegen muß, und wie einst dem Glauben am Ersten Weltkrieg die Schuld gegeben wurde, so ist es nun die Vorliebe, welche seitdem samt den ihr genehmen Analysten in die Krise führte. Die alte Mär von der Friedensordnung ist nun nicht mehr eine Entschuldigung dafür, den Glauben vergessen zu dürfen, sondern sie ist zu einer Brücke zu einem Ziel geworden, dessen strategische Erwägungen es erfordern, die Vorliebe auch noch zu vergessen, so daß am Ende nichts weiter übrig bleibt, als unter Einsatz aller Mittel und insbesondere der Degradierung aller Schwärme zu Mannschaften um die nackte Macht zu ringen.
Das ist die Argumentation Europas. Trump geht einen anderen Weg. Indem er protektionistische Zölle erhebt, gibt er der Vorliebe der Amerikaner nach, welchen die industrielle Entwicklung ihres Landes mißfällt, und richtet die wirtschaftlichen Aktivitäten also an den Gesetzen aus, welche einer anderen Entwicklung entsprechen, und de facto tut Merz durchaus Vergleichbares, wenn er die militärische Entwicklung Deutschlands auf ein anderes Gleis schiebt, nur daß sich Waffen nur rentieren, wenn sie, wenigstens drohend, eingesetzt werden.
Einstweilen ist die ehemals dreigeteilte Welt in vier Teile zerfallen,
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die Vereinigten Staaten bemühen sich um eine an ihrer Vorliebe orientierten Reform ihrer Vorhaben, indem sie der Wirtschaft gesellschaftliche Bedingungen diktieren,
- die Europäische Union bekundet die Notwendigkeit, ihre Entwicklung der Strategie ihrer Vorhaben unterzuordnen, indem sie ihren Gesellschaften wirtschaftliche Bedingungen diktiert, wobei das letztere Verhalten Amerikas und Europas traditionell genau umgekehrt war und von einer Angleichung gesprochen werden könnte, was jedoch die ersteren Rahmen, in welchen es sich vollzieht, ignorierte,
- Rußland bemüht sich darum, seine Entwicklung beizubehalten, weiter im funktionalen Zykel voranzuschreiten, eventualiter unter Aufgabe seines Glaubens, welcher sie nur schwach beeinflußt, und
- die ehemals Dritte Welt glaubt weiterhin an das technische Fortschrittsversprechen.
Rückblickend ist die deutsche Neigung, die Niederlage im Zweiten Weltkrieg als Beginn einer messianischen Zeit anzusehen, durchaus geteilt von der britischen Jugend, welche glaubte, die alten Notwendigkeiten hinter sich gelassen zu haben und sich etwa indischen Gurus zuwandte, und unter diesem Banner gute Geschäfte zu machen, an die Grenzen ihres Weltbeglückungspotentials geraten. Die Europäische Union auf ihrer Grundlage zu erweitern, war stets nur unter dem Aspekt des Machtgewinns eine gute Idee, in zivilisatorischer Hinsicht handelte es sich um die Ausbreitung einer Sekte.
Indem Europa das Selbstbestimmungsrecht ethnischer Russen verneint und die Notwendigkeit mit Atommächten zu verhandeln leugnet, und seien es pitched battles (offene Feldschlachten ist ein unzeitgemäßer Ausdruck, es sollte offerierte Schlachten heißen), wobei ich ja glaube, daß es 2022 genau solche Verhandlungen gegeben hat, welche indes so unmoralisch sind, daß sie geheim gehalten wurden, spießt sich diese Sekte nun selber auf, was angesichts der Abruptheit dieses Vorgangs nicht unbedingt zu begrüßen ist, will doch alles Gute bedacht sein.