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26. März 2024

Heilsentzugserscheinungen

Ich möchte die Mahnung

Open the gates
and let opportunity
wash the pillars away.

Shut the gates
and let audacity
take their place.

noch einmal in einem anderen Licht betrachten.

Wir suchen das Heil, und bisweilen entzieht es sich uns in dem Sinne, daß wir es an einer anderen als der gewohnten Stelle suchen müssen, derart wir es an letzterer immer seltener und in immer verdünnterer Form finden. Wenn wir dem dann nicht nachkommen, so gibt es immernoch drei Weisen, mit dem Heilsentzug umzugehen, nämlich
  • ihn entweder verbissen zu verdrängen, oder
  • ihm selbstvergessen auszuweichen oder
  • dreist auf das Heil zu verzichten,
und diese drei Umgangsweisen bestimmen die heutige politische Landschaft:
  • Alex Jones und Donald Trump liefern Beispiele verbissener Verdrängung,
  • die akademische Landschaft und die Grünen Beispiele selbstvergessenen Ausweichens auf Nebenschauplätze und
  • Tucker Carlson und Elon Musk Beispiele dreisten Verzichts.
Letztere fällt aber nicht so ins Auge wie die ersteren beiden, was daran liegt, daß das Heil nicht zum bürgerlichen Bewußtsein der Vereinigten Staaten von Amerika gehört, sie in meiner Terminologie also keine Repräsentationskultur bilden. Doch nur weil das Reich Gottes die Vereinigten Staaten von Amerika nicht legitimiert und die von einer Erlebniskultur in den Mittelpunkt gerückte Freiheit seine Ahnung ausschließt, wird der heilige Geist nicht daran gehindert, den Bürgern einer Erlebniskultur einen Eindruck davon zu vermitteln, was sie konkret in dieser Welt verbessern können. Der Witz ist nur, daß dies stets spontan aus der Gelegenheit zu einer solchen Verbesserung heraus geschieht, und nicht aus dem Bemühen, der eigenen Verpflichtung zur Verwirklichung des Reiches Gottes nachzukommen, und wenn nun diese Gelegenheiten ausbleiben, findet der Verzicht faktisch statt, ohne daß er formal erklärt werden müßte. Was Tucker Carlson aber tut, und weshalb ich ihn hier mit Elon Musk zusammen aufführe, ist, daß er den Leuten Mut zuspricht, ihr Leben wie gehabt zu leben und sich keine Sorgen über den mangelnden Kompaß zu machen, und somit die Selbstbestimmung zugunsten der Zufriedenstellung unterminiert.

Dasselbe würde ich so von Elon Musk übrigens nicht sagen, denn er glaubt durchaus an die Selbstbestimmung, nur daß sie für ihn lediglich eine korrektive Rückkopplung darstellt, um Korruption vorzubeugen, und kein aktiv gewähltes Schicksal, an welches er nicht glaubt, wie seine Unternehmen ja auch nicht visionär sind, sondern lediglich der zeitgenössischen Industrieplanung gehorchen. Gelangten die Amerikaner aber dahin, sich von der Politik nicht mehr als eine effiziente Modernisierung zu versprechen, so wäre Elon Musk offensichtlich ihr Mann. Indes liegt hier nur in der Formulierung ein Dissenz zu Tucker Carlson vor, denn die korrektive Rückkopplung ist gerade die Zufriedenstellung der Vorliebe und des Gewissens, während der (subjektive) Glaube, welcher der Selbstbestimmung zugrundeliegt, stets aktiv sein Schicksal wählt, so daß es nichts weiter als geschickte Vermarktung ist, wenn die ungehinderte Mitteilung der eigenen (Un-)Zufriedenheit als gesellschaftliche Selbstbestimmung bezeichnet wird: Das ist sie nicht wirklich, sondern lediglich ein ausgleichendes, stabilisierendes Element.

Ich möchte nicht sagen, daß Elon Musk auch gar keinen (subjektiven) Glauben hat, dessen Objektivierung er vermissen könnte, doch sein (subjektiver) Glaube ist sehr profan. Bei Tucker Carlson liegen die Dinge anders: Er fühlt sich von den Heilsauguren betrogen, er ist tatsächlich ein sehr offener, beinahe weiblicher Mann in diesen Dingen, das heißt nicht mit Sturheit geschlagen und ein guter Zuhörer. Gleichzeitig ist er aber auch stolz und der Meinung, daß Amerika schon etwas besseres finden wird.

Ich traue dem Heilsverzicht wie gesagt nichts zu, aber das heißt nicht, daß er sich nicht als Haltung durchsetzt, vorausgesetzt, daß man den Menschen auch nicht allzu viel zutraut: Es ist sehr schwierig, das Heil an anderer Stelle zu suchen, wenn einen die Ideologie und die Organisation eines Zeitalters davon abhalten, und auf Nebenschauplätze auszuweichen rächt sich schließlich auf den Hauptschauplätzen. Verbissenheit läßt sich nur defensiv über längere Zeit aufrecht erhalten, offensiv - und die aktive Wahl des eigenen Schicksals ist offensiv - führt sie zu Verbohrtheit, doch Verbissenheit vermag immerhin, Restbestände einstweilen gegenwärtig zu erhalten. Und was Donald Trump betrifft: Bisweilen scheint er vernünftig genug, sich auf das Machbare zu beschränken, bisweilen scheint er davorzustehen, sich zu überheben, aber natürlich kann er nur tun, was er gelassen wird, und das ist anscheinend wenig. Was er aber in jedem Fall einstweilen gegenwärtig erhält, ist die amerikanische Normalität vor ihrer neojakobinischen Verrückung.