Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

2. April 2016

Frankreich und Deutschland betreffend

Ich sprach bereits von religiöser und nationaler Identität, aber der Vollständigkeit halber muß man heute daneben auch noch administrative Identitäten ins Auge fassen.

Die nationale Identität spielt für die gegenwärtige Betrachtung so gut wie keine Rolle, da sich Frankreichs und Deutschlands nationale Identitäten, also was es für einen Franzosen bedeutet, ein guter Franzose, und für einen Deutschen, ein guter Deutscher zu sein, sehr ähneln, so daß wir diese Dinge, die ethischen Stützen eines modernen Staates letztlich, hier nicht weiter zur Sprache bringen müssen.

Ausgehen tut die hiesige Betrachtung von zwei Punkten, einerseits der bisherigen Vagheit der von mir angegebenen religiösen Identitäten der Franzosen und der Deutschen, also der Achtung des Rechts, beziehungsweise der Arbeit am Reich Gottes, und zum anderen von der augenfälligen Gegensätzlichkeit der französischen und deutschen Bürokratie.

Die Achtung des Rechts der Franzosen ist kein Judentum, kein penibles Befolgen eines Vorschriftenkatalogs, sondern die Achtung der lebendigen Institutionen, durch welche das Rechte Form annimmt. Im Klartext also die Achtung der katholischen Kirche. Und da stellt sich natürlich die Frage, in wiefern sich die Arbeit am Reich Gottes aus Sicht der katholischen Kirche davon unterscheidet, denn darum geht es hier ja, also um die Identitäten, welche die katholische Kirche jeweils den Franzosen und den Deutschen gepredigt hat, was es aus ihrer Sicht bedeutet, ein guter Christ zu sein.

Nun, ohne dabei gewesen zu sein, kann ich doch aufgrund der noch sichtbaren Früchte ihrer Arbeit feststellen, daß die französischen und die deutschen Bischöfe zu recht unterschiedlichen Vorstellungen ihrer Verantwortung gelangt sind. Die französischen Bischöfe sahen ihre Rolle darin, die französische Gesellschaft nach der Maßgabe des Schönen zu gestalten, während die deutschen Bischöfe ihre Rolle darin sahen, einen Rahmen zu gestalten, in welchem die Deutschen das Schöne schon selber finden würden.

Ein guter Christ zu sein bedeutet für einen Franzosen also, den Weg der Entwicklung der Schönheit mitzugehen, und sich das bisher Erreichte zu eigen zu machen, wohingegen der Deutsche zu diesem Ziel lediglich die Fundamente der Ordnung zu wahren und auf ihnen aufbauend seiner Interpretation des Schönen Ausdruck zu verleihen zu suchen hat. Und dies ist ein großer substantieller Unterschied, welcher unter anderem das Zeremoniell des französischen Hofstaats und die deutsche Vielstaaterei vorangetrieben hat.

Bestimmend für die heutigen Verhältnisse ist hingegen folgendes. In der französischen Tradition der gemeinsamen Entwicklung des Schönen steckt ein Ansatz, welchen sich ein moderner Staat leicht zu Nutze machen kann, indem er seine Herrschaft mit dem französischen Stil vermählt, so daß die Furcht, die eigene religiöse Identität zu verraten, Linientreue erzeugt.

Und deshalb ist die französische Bürokratie so seicht, kaum mehr als eine Registratur, wohingegen die deutsche Bürokratie ein Bollwerk aus unzähligen Röhren ist, um die gesellschaftlichen Ströme nach ihren Vorstellungen umzuleiten, also deshalb, weil die religiöse Identität der Franzosen ein Klima des Bemühens um staatlich mitdefinierte Vorbildlichkeit erzeugt und die religiöse Identität der Deutschen das genaue Gegenteil, nämlich das Bestehen auf der eigenen gestalterischen Verantwortlichkeit.

Indes, wie ich selbst in Orléans mitansehen durfte, hat Jean-Pierre Jeunet durchaus Recht, wenn er eine willentliche Vergiftung des französischen Stils durch bauliche Häßlichkeiten beklagt. Aber das gehört natürlich zum selben Spiel wie alles andere auch, das Verleugnen der Gemeinschaft, wenn man rechts wählt, das Verleugnen des Opfers, wenn man links wählt, die Rühmung des friedensstiftenden Schreckens, des gemeinwohlfördernden Betrugs, der Richtungssicherheit der Lust - ein Christ soll im modernen Staat auch gar nicht zu Hause sein.

In Deutschland freilich steht die religiöse Identität dem modernen Staat so entgegen, daß er auch nicht für einen Moment vergessen kann, daß er es nicht ist, sehr zur Bestürzung der größten Idioten, welche unser Land in den letzten 145 Jahren hervorgebracht hat. Nun denn, bald hat die Welt ihre Lektion ja gelernt.

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