Philosophie, Psychologie und Wirtschaft sind an Universitäten vielleicht nicht so gut aufgehoben.
Jedes Fach muß sich ja über Maßstäbe verständigen, welche den Erfolg in ihm messen. Gemeinhin richten Wissenschaftler ihr Augenmerk auf bestimmte Punkte und studieren ihre Bedeutung für die Fragen ihrer Disziplin. Wer immer Punkte gefunden hat, deren ausschließliches Zusammenwirken bisher Unerklärtes begründet, hat seine Disziplin ein Stück weitergebracht.
In den logischen Wissenschaften läßt sich diese Ausschließlichkeit tatsächlich erreichen, in der Mathematik alle nötigen Elemente zu einem Beweis angeben, in den Naturwissenschaften ist sie idealer Art und wird zu jedem Zeitpunkt innerhalb des etablierten Versuchsrahmens (Versuchsaufbau, Meßmethoden) gefordert, dessen Weiterentwicklung bisweilen arrivierte Erklärungen hinfällig werden läßt, was ebenfalls als ein Fortschritt in der jeweiligen Disziplin angesehen wird.
Es gibt nun keinen Grund, warum Philosophie, Psychologie und Wirtschaft ihren Fortschritt anders messen sollten, nur kommt es dabei zu Problemen.
Das Problem der Wirtschaft besteht im Versuchsaufbau und der Versuchsdurchführung. Dazu ist, einen denkenden Leser vorausgesetzt, nicht mehr zu sagen. Ein Ausweg wäre vergleichendes geschichtliches Studium, was allerdings immer ungenügend im Hinblick auf die Isolierung einer bestimmten Gruppe von Einflüssen bleibt, also daß sich nur jene unterschieden und sonst nichts. Der andere, tatsächlich auch gewählte Ausweg besteht darin, ökonomische Gesetzmäßigkeiten zu postulieren und ihre Folgen abzuleiten und anschließend mit der Geschichte abzugleichen, wobei es üblich ist, genaue Quantitäten bei Gesetzmäßigkeiten und Abgleich zu vermeiden und sich auf Entwicklungstendenzen zu beschränken.
Dies mag zwar mitunter zu durchaus nützlichen Ergebnissen führen, aber selektive geschichtliche Wahrnehmung erlaubt es, auch noch die verschrobensten Theorien zu bewerben. Ein guter Wirtschaftler wird sich eher als Berater, denn als Professor erweisen, wobei noch hinzukommt, daß es ja ein finanzielles Interesse an schlechter Beratung gibt und Professoren am Ende gar negativ selektiert werden, um Politiker irrezuleiten. Um so wichtiger wäre es also, daß erfolgreiche Berater ihre Prinzipien und Ableitungen aus ihnen veröffentlichen und somit eine Wissenschaft im praktischen Dienst ermöglichten.
Das Problem der Psychologie ist ihr politischer Auftrag, denn sie kommt der Gesellschaft nur als Behandlung von Störfällen gelegen und nicht als Analyse des hauptsächlich gewöhnlichen menschlichen Verhaltens. Kümmerte sie sich um letzteres, befände sie sich in der selben Lage wie die Wirtschaft und müßte sich sinnigerweise im praktischen Dienst erweisen und auch dort entwickelt werden, wogegen natürlich eine gewisse Abneigung der Menschen, taxiert und entsprechend behandelt zu werden, spricht, wiewohl dergleichen selbstverständlich ständig geschieht, nur halt nicht öffentlich.
Wenn das Ziel hingegen die Behandlung von Störfällen ist, ist es um die wissenschaftliche Strenge sogar noch schlechter bestellt, denn das oberste Gebot ist dann Kreativität, und wo diese waltet, verbindet sie sich problemlos auch noch mit den unmoralischsten finanziellen Interessen.
Das Problem der Philosophie wiederum ist die Unkenntnis ihres Gegenstands. Es führt hier weiter Damaskios zu lesen, insbesondere sein Bericht über den
Tod der Hypatia und die Sure
Er runzelte die Stirn. Was in beiden Schriftstücken zum Ausdruck kommt, wie auch noch in einigen anderen Suren, ist die Vorbildlichkeit des Philosophen, so natürlich auch von Platon in bezug auf Sokrates beschrieben, die seelische Gewalt, welche der Philosoph auf jene ausübt, welche sich Anleitung in spirituellen Fragen erhoffen, ein Phänomen, welches heute möglicherweise, aber vielleicht auch nicht, vielleicht ist es nur der Wunsch, an etwas Exotischem teilzuhaben, bezüglich des Dalai Lamas auftritt, aber sonst, so weit ich es überblicken kann, nicht.
Und wenn auf diese Weise auch nicht erklärt ist, was Philosophie ist, was indes nicht schwer ist, der Name sagt es ja, nur
Weisheit muß man verstehen, so erhält man doch, daß es heute kaum Philosophie gibt.
Indes, wenn man es so faßt, wer war ein Philosoph?
Immanuel Kant, wie Schopenhauers Anhänglichkeit an ihn beweist, Arthur Schopenhauer selbst, wie Wagners Anhänglichkeit an ihn beweist, Fjodor Dostojewski, wie Tarkowskis Anhänglichkeit an ihn beweist und Andrej Tarkowski selbst, wie meine Anhänglichkeit an ihn beweist. (Jesus Christus, wie Johannes' Anhänglichkeit an ihn beweist...)
Hier ist es nun so, daß die Universität nicht nur ineffektiv ist, weil sie nicht hinreichend der einzig versuchsbildenden Praxis verbunden ist, sondern in obszönem Grade inadäquat: Selbst wenn nur jene das Studienfach Philosophie belegten, welche eine in sich schlummernde Liebe zur Weisheit besäßen, was selbstverständlich höchstgradig nicht der Fall ist, so wäre doch ein städtisches Aufgebot an spirituellen Vorbildern eine durch und durch groteske Einschränkung auf das Hier und Heute, mal ganz abgesehen von der inhärenten
Würdelosigkeit der ganzen Angelegenheit.
Es ließe sich einwenden, daß es aber doch Bibliothekare der Philosophie geben müsse, einzig: Wie effektiv ist es, wenn Bibliothekare Vorlesungen halten? Das tun sie sonst auch nicht. Eine Gesellschaft ist aber gut beraten, Bibliophilen Gelegenheiten zu geben, der Allgemeinheit einen Überblick darüber zu geben, welcher Autor sich in welchem Werk mit was befaßt hat, sei es in einer Sendung im Rundfunk, einem Informationsbüro, ob nun vor Ort oder online, oder auch in einem öffentlich zugänglichen Forum, online oder im Festsaal.
All dessen ungeachtet gibt es an unseren Universitäten und über sie hinaus in die Gesellschaft strahlend dergleichen Umtriebe, und sie stellen soziale Versagen dar, Beispiele, welche mir zugänglich sind.
Das Interessante nun ist einerseits die Beständigkeit solcher Versagen und andererseits, damit zusammenhängend, die geistige Verfassung jener, welche sie nicht bemerken.
Sie bemerken sie aber deshalb nicht, weil sie ganz allgemein den Blick von jenen Fragen wenden, welche sie unbestritten wähnen, und das ist im vorliegenden Falle gar nicht einmal die Frage nach dem Nutzen jener Fächer, da ist Disput erlaubt, um das cholerische Mütchen zu kühlen, wiewohl die Vernunft am Ende besser alles beim Alten beläßt, sondern vielmehr die Frage danach, durch welche Institution dem jeweiligen Fach am besten gedient ist - Doch selbstverständlich durch die Universität! Durch welche sonst? - denn eine Institution stellt eine gesellschaftliche Wette dar, und jene, welche an die Größe ihrer Gesellschaft glauben, können schlecht ihre Wetten hinterfragen, ohne zugleich ihre Größe zu hinterfragen.
Die Blindheit sozialen Versagen gegenüber liegt also letztlich daran, daß die Gesellschaft nicht herausgefordert erscheint und die Erwägung der Fehlerhaftigkeit ihrer Einrichtungen damit frevelhaft. Wir haben es also mit Menschen zu tun, welche, scheint ihnen die Sonne auf die Plauze, bei jeder Störung rufen:
Schnauze!
Und wie wir gerade dieser Tage gut beobachten können beleiht diese Sorte Mensch in Zeiten, in welchen sich ihr eigenes soziales Versagen aus sich heraus bemerkbar macht, die gemachten Wetten noch in wildem Blick nach den ausbleibenden Herausforderern.
Wie sollte man nicht lachen, selbst wenn man nicht schadenfroh ist, und ich habe am 9. November, am Tag nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl, welche Unsitte übrigens, die amerikanische Ortszeit zu ignorieren und zu behaupten, die Wahl habe an diesem Tage stattgefunden, wahrlich viel gelacht. Daß Trump drüben wie Bohlen hüben ist, habe ich bei mir schon vor der Popularisierung dieses Gedankens gedacht, und doch hat es ja gereicht, trotz aller Machinationen - oder vielleicht ihretwegen?
Oedipus Rex, nur nicht in tragisch, sondern in komisch.
Hierzulande hingegen sind die Menschen noch tief bewegt, dann bald erschüttert und schließlich gezwungen. Merkel sagt ja immer, sie sei gezwungen. Wie wohl das Antlitz eines politischen Führers aussehen wird, welcher wirklich gezwungen ist? Wie Merkels, nur nicht so verdruckst? Jedenfalls wird es nicht zum Lachen sein, aber die Deutschen müssen sich selbst die Schuld daran geben, eine Scharade für die Wirklichkeit gehalten zu haben und andere dazu aufgefordert, es ihnen gleichzutun.
Über diesem Anblicke müßte man sich betrüben, wenn man denn Lazarus heilen und nicht wiederauferwecken wollte, wenn man das Volk tragen wollte, anstatt sich von ihm tragen zu lassen. Auch die Deutschen werden schließlich verstehen, daß sie nichts zu tragen vermag, es dauert bei ihnen nur etwas länger als bei den andern. Aber es besteht immerhin die Hoffnung, daß sie es dann auch am gründlichsten verstanden haben werden.
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