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21. Dezember 2007

Mathematik am Beispiel des Satzes des Pythagoras

In diesem Kapitel werde ich drei Beweisvarianten des Satzes des Pythagoras durchgehen und ihre Voraussetzungen herausstellen.


1. Der wohl zugänglichste Beweis ist der Flächenbeweis, denn es genügt die folgende Abbildung zu betrachten, um sich seiner Gültigkeit mit einem Blicke zu vergewissern, womit Schopenhauers diesbezügliche Forderung wohl erfüllt wäre.


Diesem Beweis liegen die folgenden drei Voraussetzungen zu grunde.
  • Der Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene verschiebt.
  • Der Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene um einen dritten Punkt herum dreht.
  • Die Fläche eines beliebigen gegebenen Polygons läßt sich im Verhältnis zu einer auf einer Partitionsachse liegenden Strecke durch jede Partition der Ebene in gleich große Quadrate entlang zweier vorgegebener Partitionsachsen nach oben und unten abschätzen.
Schätzt man nämlich mit immer kleineren Quadraten ab, so wird der Fehler verschwindend und man kann überprüfen, daß Drehungen die Fläche von Polygonen genausowenig ändern, wie es ihre Verschiebung oder Zerschneidung tut und ebenso, daß sich die Fläche eines Quadrates als das Produkt seiner Seitenlänge mit sich selbst ergibt.

2. Weniger zugänglich, doch noch elementarer, ist der Kongruenzbeweis, welcher darin besteht, ein rechtwinkliges Dreieck der folgenden Abbildung gemäß in zwei ihm kongruente Dreiecke zu unterteilen.


Die Seiten des kleineren dieser beiden stehen sämtlich in Kongruenzbeziehungen zu einander, nämlich als Kathete des kleineren, des größeren und des unterteilten und ebenso tun es die Seiten des größeren als Ankatheten. Der Satz des Pythagoras nun bezieht sich auf die Hypotenusen, und der erste Schritt zu seinem Beweis besteht darin, die Verhältnisse der Hypotenuse des unterteilten Dreiecks zu denen seiner Teile in Abhängigkeit der in ihnen enthaltenen Hypotenusenabschnitte auszudrücken, was durch die Wahl der entsprechenden Kathete oder Ankathete bewerkstelligt wird, welche aber in beiden Fällen gerade durch die Hypotenuse des betroffenen Teils gegeben ist, so daß also die Hypotenusenverhältnisse mit den Hypotenusen- Hypotenusenabschnittsverhältnissen übereinstimmen. Löst man diese Gleichungen nach dem Quadrat der Hypotenuse des jeweils betroffenen Teils auf und summiert anschließend beide Seiten der Gleichungen mit der ihnen jeweils entsprechenden Seite der anderen, so ergibt sich der Satz des Pythagoras.

Die Voraussetzungen dieses Beweises sind die folgenden vier.
  • Der Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene verschiebt.
  • Der Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene um einen dritten Punkt herum dreht.
  • Der Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene entlang einer Geraden spiegelt.
  • Wenn die Ebene um einen Punkt herum zusammengezogen wird, also der Abstand sämtlicher Punkte zu diesem Punkt gemäß einem vorgegebenen Verhältnis verringert wird, so wird auch der Abstand zweier von ihm verschiedener Punkte zu einander gemäß diesem Verhältnis verringert.
3. Recht zugänglich, aber nicht mehr elementar anschaulich, sondern begrifflich ist der Bilinearitäts- und Projektionsbeweis. Eine Funktion zweier Vektoren, deren Wert durch das Produkt der Länge des ersten mit der Länge der senkrechten Projektion des zweiten auf den ersten gegeben ist, ist symmetrisch in diesen beiden Vektoren, bilinear und ergibt für den Fall, daß der erste mit dem zweiten Vektor übereinstimmt, das Quadrat seiner Länge. Wenn nun die Punkte der Ebene als Koordinaten aufgefaßt werden, so bilden (1,0) und (0,1) eine Basis dieses Vektorraums und eine symmetrische bilineare Abbildung ist somit durch ihre Werte über den Paaren (1,0) und (1,0), (1,0) und (0,1), sowie (0,1) und (0,1) bestimmt, wobei die eingangs beschriebene Funktion dort die Werte 1, 0, sowie 1 annimmt und sich das Quadrat der Länge eines durch die Koordinaten (a,b) gegebenen Vektors also durch a² + b² berechnet.

Dieser Beweis hat die folgenden fünf Voraussetzungen.
  • Der gerichtete Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene verschiebt.
  • Wenn die Ebene um einen Punkt herum zusammengezogen wird, also der gerichtete Abstand sämtlicher Punkte zu diesem Punkt gemäß einem vorgegebenen Verhältnis verringert wird, so wird auch der gerichtete Abstand zweier von ihm verschiedener Punkte zu einander gemäß diesem Verhältnis verringert.
  • Der gerichtete Abstand zweier Punkte weist in die entgegengesetzte Richtung, wenn die Ebene an einem dritten Punkt gespiegelt wird.
  • Der Abstand zweier Punkte zu einander ändert sich nicht, wenn man die Ebene um einen dritten Punkt herum dreht.
  • Alle Punkte der Ebene lassen sich durch senkrechte Projektion auf einen vom Ursprung ausgehenden Vektor als Koordinate auffassen und zwei solche Projektionen auf senkrechte Vektoren bestimmen sie eindeutig.
Die ersten drei Voraussetzungen werden bereits dazu benötigt einzusehen, daß die Ebene ein Vektorraum ist, wobei sich aus der dritten auch die Kommutativität der Vektoraddition ergibt, also daß ein Parallelogramm einen geschlossenen Streckenzug darstellt. Wenn nämlich a und b zwei beliebige Vektoren bezeichnen, so gilt genau dann durchgängig a + b = b + a, wenn durchgängig -a + b = b + -a gilt. -a + b ist aber der gerichtete Abstand von O + a zu O + b und b + -a der gerichtete Abstand von O - b zu O - a, wobei O einen beliebig gewählten Punkt der Ebene bezeichnet, an dem eine Spiegelung vorgenommen wird.

Wenn man diese drei Beweise nun darauf hin ansieht, wie sie sich wohl in begriffliche Konstruktionen überführen ließen, welche implizit bereits alles enthielten, wessen man bedürfte, um den Satz des Pythagoras abzuleiten, so sieht man, daß man im Falle des dritten Beweises lediglich auf die Erwähnung der Ebene verzichten muß und den Abstand durch eine Bilinearform über dem Vektorraum R² definieren. Man sieht aber auch, daß die Beweisideen der ersten beiden Beweise nur unter großen Verrenkungen in eine begriffliche Form überführt werden können, da in einer solchen der Abstand bereits für alle Strecken implizit definiert sein muß, was sich in diesen Fällen nur durch ein Stufenmodell schrittweise bestimmbarer Strecken realisieren ließe, von denen man anschließend zeigen würde, daß sie sämtliche endliche Strecken der Ebene erschöpfen.

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