Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

3. April 2014

Gefühle

Ich bin mit meinen bisherigen Äußerungen zu diesem Thema nicht sonderlich zu Frieden. Es fehlt die Klarheit des übergeordneten Zugriffs.

Nun denn, Gefühle sind Betroffenheiten der unterschiedlichen Seelenteile.

Beginnen wir mit der Lust. Betroffenheiten der Lust sind Lust (Begehren, Aufbegehren), Leid (Schmerzen, Übelkeit, Gereiztheit, Schwindel, Desorientierung, Verwirrung), Erschöpfung (Hunger, Durst, Müdigkeit, Nervösität, Dumpfheit).

Betroffenheiten der Achtung sind Ahnung (Neugierde, Kühnheit), Mahnung (Ärger, Schrecken, Angst).

Betroffenheiten der Sorge sind Stimmung (Sorge, Zuversicht, Genuß; Schuld, Reue, Trauer; Ausgeliefertheit, Verzweiflung, Not), Regung (Interesse, Sehnsucht, Liebe; Wut, Zorn, Haß; Unterwerfung, Ehrfurcht, Demut; Langeweile, Überheblichkeit, Erhabenheit; Hilfsverpflichtung, Mitleid, Gunst; Schadenfreude, Neid, Mißgunst; Überraschung, Zweifel, Skepsis).

Ich kann einstweilen nicht versichern, daß diese Aufzählung vollständig ist.

Auch wenn es so aussieht, ein Widerspruch zum Zykel der Lust besteht nicht, und zwar deswegen nicht, weil die dort aufgeführten Gefühle diesen Zykel lediglich begleiten und keinesfalls zur Lust selbst gehören müssen.

Ein paar Worte zur Systematik, welche sich bereits in diese Aufzählung eingeschlichen hat.

Alle Seelenteile agieren oder reagieren auf äußere Einflüsse, wobei reagieren vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist, denn re-agieren im engeren Sinne ist gleichbedeutend mit aufbegehren, so daß sich vielleicht der Gegensatz zwischen aktiv und passiv eher anbietet, wenngleich er mir auch nicht ganz zutreffend scheint.

Wie auch immer, wir haben also
  • aktiv: Lust, Ahnung, Stimmung
  • passiv: Leid, Mahnung, Regung.
Ja, auch wenn es nicht so aussieht, die Sorge arbeitet in den Stimmungen aus sich selbst heraus, während ihre Regungen auf äußere Einflüsse zurückzuführen sind.

Und nein, die Regungen sind im Gegensatz zu Schuld, Reue, Trauer und Ausgeliefertheit, Verzweiflung, Not dem Aufbegehren nicht vergleichbar, da die Sorge in ihnen keinesfalls aktiv wird, sondern einzig die übrigen Seelenteile. Die Sorge hält nur gegen äußere Einflüsse an ihrem eigenen Zustand fest, wozu allerdings gehört, daß sie die anderen beiden Seelenteile sozusagen zu ihrer Verteidigung ins Feld führt.

Also, auch wenn es sich komisch anhört, wer Interesse oder Langeweile zeigt, der re-agiert nicht, sondern bestätigt lediglich sein Selbstbild, indem er tätig wird.

Der Grund dafür, daß man es so fassen muß, ist natürlich, daß die Sorge auf der Vernunft beruht und für die Vernunft alles ist, einschließlich des Werdens, was eben im Begriff des Potentials, als Letztseiendes des Noch-nicht-Seienden, gipfelt. Und so sehen wir uns eben auch selbst, als potentielle Täter, welche durch ihre Haltung beschrieben werden. Handeln tut die Sorge nur, wenn sich unsere Haltung ändert, eben nach Sorge, Schuld und Ausgeliefertheit.

Ähnliches gilt für die Mahnungen, insofern nämlich die dort erfolgende Handlung einem festen Handlungsmuster folgt und nicht erwogen wird, was das Geschäft der Achtung ist. In Neugierde und Kühnheit erwägen wir, in Ärger, Schrecken und Angst nicht.

Und, um dies noch zu bemerken, die Faszination, welche der Begriff werden auf einige ausgeübt hat (Spengler etwa), stammt von der Ahnung der Transzendenz her, ist also einer Form der Kühnheit geschuldet, was im Übrigen eine ganz typischer Fall in der Philosophie ist, nämlich daß der Philosoph von Ahnung zu Interesse übergeht und dabei den Boden unter den Füßen verliert, weil ihm die nötigen Begriffe fehlen, um seine Ahnung in Worte zu fassen.

Desweiteren gibt es im Falle der Lust noch eine Art von Gefühlen, welche ihren inneren Zustand widerspiegeln, nämlich die Erschöpfungsgefühle. Diese fehlen deshalb bei Achtung und Sorge, weil die Erschöpfung von Achtung und Sorge Leiden der Lust sind. Es ist nämlich so, daß die Hervorbringung von Anschauung, Orientierung und Verständnis Angelegenheiten der Lust sind, an welchen sie leidet, wenn sie ihr mißlingen, indem sie nämlich Schwindel, Desorientierung und Verwirrung empfindet. Und zugleich zeigen die letzteren beiden die Erschöpfung von Achtung und Sorge an. Der Unterschied zur Nervösität besteht darin, daß im Falle von Desorientierung und Verwirrung lediglich eine spezielle Anstrengung der Achtung oder Sorge erschöpft ist, während im Falle der Nervösität das Denken insgesamt schwerfällt.

Es ist etwas ärgerlich, daß Vernunft darin besteht zu verstehen und Verstand darin, orientiert zu sein, aber so ist es nunmal.

Lust ist also die einheitliche Grundlage unseres Bewußtseins, während Achtung und Sorge, oder auch Verstand und Vernunft, jeweils für einen Nu in sie hineingeboren werden, und zwar als spezielle Akte des Begehrens, dem Begehren nach Orientierung oder Verständnis, wenn man so will.

Und dazu auch noch ein paar Worte. Schopenhauer hätte wahrscheinlich gesagt, daß ein Elephant, welcher sich weigert, über eine Brücke zu gehen, welche ihn nicht tragen würde, Verständnis besitzt. Objektiv mag er das auch besitzen, aber subjektiv ist er lediglich orientiert. Sein Verstand sagt ihm: Da gehst du nicht rauf! Das ist genau das, was im Bewußtsein des Elephanten vorzufinden ist. Keinesfalls läßt sich dort: Solche Balken brechen immer unter meinem Gewicht. finden und schon gar nicht irgendwelche Begründungen, warum sie immer brechen.

Emotional wäre das übrigens eine Art Schrecken auf Seiten des Elephantens. Auch bei Pferden, also Springpferden, sieht man sowas immer wieder.

Gut, damit wäre zur zweiten Dreiteilung der Gefühle, nach der nach dem entsprechenden Seelenteil, alles gesagt. Aufgrund der angesprochenen Überschneidung haben wir bis hierher also 7 verschiedene Klassen. Die letzten beiden Klassen, also die beiden der Sorge, sind indes jeweils wieder dreigeteilt.

Woran liegt das?

Interesse, Sehnsucht, Liebe oder Hilfe, Mitleid, Gunst, was ist das Schema?

Tat, Vorsatz, Urteil, würde ich meinen. Die Sorge fühlt also jeweils dreifach, weil sie zunächst urteilt, dann auf eine Haltung drängt und schließlich handelt, was natürlich nichts weiter heißt, als daß sie zunächst in der Vernunft, dann im Verstand und schließlich in der Welt wirkt - übrigens auch dann, wenn man betet.

Trotzdem ist es oftmals so, daß man sich erst nach der Tat seiner Haltung und seines Urteils bewußt wird. Gerade im Kindesalter ergibt sich vieles auf selbstverständliche Weise, und bewußt machen wir es uns erst dann, wenn wir mit ihm in Schwierigkeiten geraten.

Wenn ich es recht bedenke, ist es immer so. Die Bewußtmachung des Urteils ist optional, eine Reparaturmaßnahme. Wenn alles scheitert, wird alles bewußt.

Damit sind wir insgesamt bei 11 Klassen. Zur weiteren Systematik.

Neugierde und Kühnheit unterscheiden sich dadurch, daß erstere die Wichtigkeit eines Verhältnisses ahnt und letztere das Verhältnis selbst. Der Verstand widmet sich also in beiden Fällen einem bestimmten Verhältnis, wobei er es einmal für zweckmäßiger hält, von einer bestimmten Beschaffenheit desselben auszugehen und das andere Mal nicht, das heißt, es findet eine Vorwegnahme des Ergebnisses der weiteren Ereignisse statt oder nicht.

Ärger, Schrecken und Angst sind Angriff, Verteidigung und Aufmerksamkeit, umkehren kann man es aber nicht, denn meistens entspringt der Angriff dem Aufbegehren gegen den eigenen Hunger. Ärger ist auch keineswegs bei den meisten Tieren zu finden, sondern nur bei den höher Entwickelten, etwa Affen, welche über ein durch Ärger realisiertes Gerechtigkeitsempfinden besitzen.

Der Unterschied zwischen Ärger und Wut besteht darin, daß nur bei letzterer ein Bewußtsein des moralischen Mißstandes vorliegt, gegen welche sich das Gefühl richtet.

Selten ist man auf seinen Ehepartner wütend, oftmals ärgert man sich über ihn - der Stoff der menschlichen Komödie.

Man könnte allerdings noch fragen, warum Angriff, Verteidigung und Aufmerksamkeit?

Nun, weil es die möglichen Reaktionen eines Tieres auf Störungen sind, wobei es wohl ersichtlich ist, warum der Angriff die heikelste Option ist, welche einen hochentwickelten Verstand voraussetzt, um nicht in Kamikazeattacken zu münden.

Wir können die Ahnung also als vollständig abgehandelt betrachten. Damit haben wir nun 14 Klassen.

Daß Lust in Begehren und Aufbegehren zerfällt ist in gewisser Weise zwangsläufig, da andernfalls keine Reaktion auf die eigenen Erfahrungen möglich wäre, etwa wenn ein Reh den Haupttrieb eines Baumes abbeißt und er dann mehrfach an der Stelle austreibt.

Leid wiederum ist eben eine solche Erfahrung, gegen welche die Lust aufbegehren muß. In sofern unser Bewußtsein Auffassung, Verstand und Vernunft umfäßt und diese jeweils erst durch Lust hervorgebracht werden müssen, ist es klar, daß sich diesen Leiden zugesellen, denn so ist die Lust eben, daß sie nicht einfach aufgibt, nur weil man beispielsweise zu viel Alkohol getrunken hat. Das erklärt wie schon gesagt Schwindel, Desorientierung und Verwirrung. Die übrigen drei sind Schmerzen, Übelkeit und Gereiztheit. Ich würde sagen, Übelkeit betrifft die Lust selbst, Schmerzen ihre Anstrengungen im einzelnen und Gereiztheit ihre Anstrengungen im ganzen. Aber das ist keine sonderlich gute Erklärung. Vielleicht muß man es aus der Sicht der Verdauung sehen, Übelkeit betrifft das Verdaute, Schmerzen Verdauungswerkzeuge und Gereiztheit die allgemeine Nahrungslage.

Ich will mal nicht so sein und mir diese Sicht genügen lassen.

Bleiben die Erschöpfungsgefühle. Neben der Verdauung (Hunger und Durst) noch die Müdigkeit, die Nervösität und die Dumpfheit, welche alle drei mit dem Bewußtsein zusammenhängen - nur wie?

Die einzige Erklärung, welche ich finden kann, und welche mich auch halbwegs überzeugt, wenn ich daran denke, wie man Kopfschmerzen vermeiden kann, wenn man zu früh aufwacht, besteht darin, Müdigkeit auf die Überanstrengung der Anschauung zurückzuführen, Nervösität auf die des Verstandes und Dumpfheit auf die der Vernunft.

Damit wären also auch die Lust betreffenden Gefühle vollständig klassifiziert, und wir haben somit 24 Klassen.

Es bleiben also nur noch die verschiedenen Stimmungen und Regungen. Um diese weiterzuklassifizieren ist es wahrscheinlich am zielführendsten nur auf die Urteile zu sehen, also auf Genuß, Trauer und Not, sowie auf Liebe, Haß, Demut, Erhabenheit, Gunst, Mißgunst und Skepsis.

Beginnen wir mit den Stimmungen. Genuß reflektiert die freiwillige Wirkung der Sorge, ich hätte dieses Gefühl auch Stolz nennen können, aber das ist im Regelfall zu pompös, Trauer und Not hingegen reflektieren unfreiwillige Änderungen der eigenen Haltung, und zwar im Falle der Trauer aufgrund eigen- und im Falle der Not aufgrund fremdverschuldeten Verlustes.

Und ja, ich würde sagen, daß wir nur dann trauern, wenn wir eine Schuld gegenüber dem nicht mehr Vorhandenen empfinden, welche über Reue schließlich zur Trauer führt. Allerdings mag dies oftmals mehr etwas psychisches als etwas physisches sein, die oft beklagte Gelegenheit, mit jemandem zu sprechen, welche man nun nicht mehr hat. Daran daß die Person gegangen ist, mag man unschuldig sein, aber nicht daran, daß diese Gelegenheit verstrichen ist.

Schuldig oder nicht, man hat jedenfalls etwas verloren, auf welchem die eigene Haltung aufbaute, und deshalb muß man sie ändern. Gelingt einem das, empfindet man Trost oder Dankbarkeit, wobei ich indes beide nicht als gesonderte Gefühle ansehe. Trost bedeutet nicht mehr als das Ausbleiben erwarteter Trauer und Dankbarkeit ist die Liebe zum Retter aus der Not, wobei dieser alles mögliche sein mag, ein eßbarer Pflanzenteil, ein Werkzeug, gar eine Routine, Gott, alles, wovon der Erfolg der geänderten Haltung abhängt.

Damit wären die Stimmungen behandelt, wir haben nun 30 Klassen, kommen wir zu den Regungen.

Die ersten sechs hängen miteinander zusammen als Gegenteile und Modifikationen für das Fremde oder Eigene, soll heißen, man liebt oder haßt sich nicht selbst, sondern hält sich für groß oder klein.

Und umgekehrt hält man das Fremde nicht für groß oder klein, sondern das Große liebt man oder zeigt ihm Mißgunst und das Kleine haßt man oder zeigt ihm Gunst.

Diese sechs können wir also als Bewertung des Vorhandenen zusammenfassen.

Aber das ist natürlich zu allgemein, denn auch Skepsis bewertet vorhandenes, nur anderes. Jene sechs haben Gegenstände bewertet, die Skepsis hingegen bewertet Aussagen, also das, wodurch die Vernunft jene verbindet.

Dazu ist folgendes zu sagen.
  1. Alles was die Vernunft kennt ist entweder Gegenstand oder Aussage, es sei denn, man faßte eine Aussage wiederum als Gegenstand auf, was auch vernünftig ist, wenn man das Wesen der Reflexion bedenkt, aber hier nicht weiter von Belang.
  2. Es wäre eigentlich zu erwarten, daß unsere Sorge ausschließlich Aussagen bewertet, insofern das genügen würde, um alles nur Denkbare zu bewerten. Wenn sie es nicht tut, so benimmt sie sich dadurch der Weise, auf welche sie sich auf einen Gegenstand beziehen soll, und damit muß die Weise, auf welche sie es dann doch tut, in ihr selbst liegen, das heißt eine wesentliche und primitive sein, und so gesehen muß es geradezu jene der Entscheidung für die Existenz oder Nicht-Existenz des Gegenstandes sein.
Mit anderen Worten sind wir durch. Es kommen noch einmal 18 Klassen hinzu und wir haben damit insgesamt 48. Gut, ich habe gerade eben implizit vorausgesetzt, daß die betroffenen Gegenstände körperlicher Natur sind. Aber welche anderen Gegenstände ließen einen wesentlichen und primitiven Zugang zu? Nur die situativen, und jene werden durch die Stimmungen behandelt. Das mag man nun keine abgeschlossene Beweisführung nennen, aber darum kann es hier sowieso nicht gehen. Es geht vielmehr um die Vermessung des inneren Landes, um es einmal so zu sagen.

Und ganz vollständig ist diese Aufzählung auch nicht, denn auch Sinneseindrücke können unsere Lust betreffen, etwa wenn uns eine Stimme oder Temperatur mehr gefällt als eine andere, wobei es bei der Stimme nicht so ganz klar ist, ob tatsächlich unsere Lust betroffen ist oder am Ende nicht sogar unsere Sorge.

Daran schließt sich die Frage nach allen möglichen ästhetischen Eindrücken an, ich würde aber behaupten, daß sich diese Eindrücke in den bereits erwähnten Gefühlen ausdrücken, also eine Stimme beispielsweise die Zuneigung zu einem Sprecher, welcher ähnlich sprach, wachruft.

Es bleiben also nur die sekundären Effekte unangenehmer Sinneseindrücke unberücksichtigt, welche unter die Leiden zu stellen sind, wenn man sie denn berücksichtigen will.

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