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27. April 2014

Entscheidungen

Wenn wir sagen, daß wir für etwas verantwortlich sind, so offensichtlich deshalb, weil wir uns für es entschieden haben. Wie ich es auch im Beitrag Das Räderwerk der Seele schrieb, Wahrnehmungen werden erwogen und aus diesen Erwägungen heraus entscheiden wir uns zu Taten, welche dadurch charakterisiert werden, daß wir durch sie die Verantwortung für das Zustandekommen gewisser Wahrnehmungen übernehmen.

Was uns hier nun beschäftigen soll, ist die Bedeutung von Entscheidungen für das Einsichts- ( Δ) und das Denkvermögen (Λ), und auch ihre Auswirkung auf das Gegenwärtige (Ο).

Beispielsweise können wir uns dazu entscheiden, einen gegenwärtigen Eindruck im Denkvermögen zu verewigen. In einem solchen Fall, in welchem die Entscheidung ein anderes Wahrnehmungsvermögen als Ο betrifft, ändert sich das Gegenwärtige nicht. Ob und wie es sich sonst ändert, hängt davon ab, wie man mit Vorstellungen umgeht. Auch wenn dieser Punkt eine kleine Abschweifung für das hiesige Thema bedeutet, will ich ihn doch behandeln.

Ich bin der Meinung, daß ich mir in den Raum hinein, welchen ich gerade wahrnehme, einen Eindruck aus meinem Denkvermögen vorstellen kann, etwa einen Erpel, und ebenso auch einen Eindruck, welcher einer Auszeichnung entspricht, etwa drei jeweils gleich weit von einander entfernte Punkte, wenn ich mir drei 120° große Sektoren in einem Kreis vorstellen möchte.

Nun könnte man geneigt sein zu sagen, daß diese Ausdrücke dann eben Teil des Gegenwärtigen geworden sind und von den anderen Eindrücken dadurch hinreichend unterschieden werden, daß wir für ihr Gegenwärtig Sein Verantwortung übernehmen. Nur, das reicht nicht, denn wenn ich einen Muskel anspanne, so ist das doch nicht ganz dasselbe, als wenn ich mir die Anspannung dieses Muskels nur vorstelle - und für beides übernähme ich die Verantwortung.

In diesem Beispiel zeigt sich indes nur die ganz allgemeine Schwierigkeit, was mit der tatsächlichen Wahrnehmung zu geschehen hat, wenn sie um Erpel oder Kreisunterteilungen erweitert werden soll - denn eine Erweiterung ist es durchaus, es ist ja nicht so wie in einem Wachtraum, wo das, was hinter dem imaginären Erpel steht, nicht mehr sichtbar wäre. Nicht, daß mir das schon einmal mit Erpeln passiert wäre, aber kurz nach dem Aufwachen mit irgendwelchen Monstern durchaus, weswegen ich mir auch niemals eine Waffe unter's Kopfkissen legen würde. Und weil's so schön paßt und sie noch nicht oft genug im Internet erschienen ist, hier die folgende Schilderung Johann Wolfgang von Goethes.
Pausanias, Lacedämonischer Feldherr, durch den wichtigen Sieg bei Platäa ruhmgekrönt, nachher aber durch Uebermuth, Starrsinn, rauhes hartes Betragen die Liebe der Griechen, wegen heimlichen Verständnisses mit dem Feinde das Vertrauen seiner Landsleute verlierend, - dieser lädt eine schwere Blutschuld auf sich, die ihn bis an sein schmähliches Ende verfolgt. Denn als er im schwarzen Meere die Flotte der verbündeten Griechen befehligt, entbrennt er in rasender Leidenschaft gegen eine schöne byzantinische Jungfrau. Nach langem Widerstreben gewinnt sie der Machthaber endlich den Eltern ab; sie soll Nachts zu ihm geführt werden. Schamhaft bittet sie die Diener die Lampen zu löschen, es geschieht, und sie, im Zimmer umhertastend, stößt die Lampensäule um. Aus dem Schlafe erwacht Pausanias, argwöhnisch vermuthet er Mörder, ergreift das Schwert und haut die Geliebte nieder. Der gräßliche Anblick dieser Szene verläßt ihn niemals, der Schatten verfolgt ihn unablässig, so daß er Gottheiten und geisterbannende Priester vergeblich anruft.
Was wollen wir also sagen? Ich denke schon, daß wir uns unsere Vorstellungen vergegenwärtigen, aber heißt das auch, daß wir sie den speziellen Wahrnehmungsvermögen unterwerfen, welchen sie eigentlich unterworfen sein müßten?

Es böte sich an, das zu verneinen. Der Erpel ist gegenwärtig, und er ist sogar gelegen, aber er ist nicht Teil des visuellen Wahrnehmungsvermögens.

Im Gegensatz zu dem, was ich zuvor zu diesem Thema sagte, bin ich mittlerweile zur Einsicht gelangt, daß es völlig närrisch wäre, durch elementare Formeln festhalten zu wollen, was seiner Art nach in einem Wahrnehmungsvermögen liegen könnte, denn auf diese Weise fehlen einem dann die Formeln für das wirklich elementare, nämlich daß etwas tatsächlich in einem Wahrnehmungsvermögen liegt.

Da mich Vorstellungen einstweilen nicht weiter interessieren, verzichte ich an dieser Stelle auf die explizite Angabe der nötigen Wahrnehmungsvermögen, um Vorstellungen auf die eben beschriebene Weise als solche zu charakterisieren. Später allerdings werde ich das aller Voraussicht nach nachholen.

Gut, kehren wir zu den Entscheidungen zurück. Sie sind Prozesse, welche auf der Grundlage von Wahrnehmungen stattfinden und Wahrnehmungen betreffen. Beim Denkvermögen (Λ) und beim Gegenwärtigen (Ο) handelt es sich dabei um Wahrnehmungen, welche sich beliebig gestalten lassen, soweit es die Verewigung in Λ und die Vergegenwärtigung in Ο betrifft, wobei Ο freilich auch noch andere Eindrücke enthält, nämlich jene, welche ihm die visuelle, akustische, olfaktorische vel cetera Wahrnehmung liefert. Der Verantwortungsbereich (Ι) ist hingegen das Protokoll des Entscheidens und wird also nicht direkt gestaltet, sondern indirekt durch die Gestaltung anderer Wahrnehmungen.

Soweit ist es bis hierhin klar geworden.

Nun gibt es noch ein Wahrnehmungsvermögen, welches wir beliebig gestalten können, nämlich die Wahrnehmung unserer körperlichen Anspannung. Welche Anspannung auch immer uns vorschwebt, also bereits gegenwärtig, aber noch nicht verwirklicht ist, wir können uns zu ihrer Verwirklichung entscheiden.

Aber das war es dann auch. Mehr als die folgenden beliebigen Gestaltungen gibt es nicht.
  • Verewigung in Λ
  • Vergegenwärtigung in Ο
  • Verwirklichung in Σ (σῶμα), νεῦρον ist mir zu spitzfindig.
Offenbar haben wir in allen diesen Fällen bereits vor der Entscheidung einen Anhaltspunkt in einem anderen Wahrnehmungsvermögen für das, was wir gestalten, und oftmals ist er ihm sogar informativ gesehen gleichwertig. Absichten möchte ich diese Anhaltspunkte aber nicht nennen, eine Absicht läge nur vor, wenn durch eine Verwirklichung eine etwa visuelle Wahrnehmung herbeigeführt würde, welche bereits zuvor als Vorstellung gegenwärtig war, siehe dazu den Beitrag Das Ich.

Die übrigen Wahrnehmungen (weder zu Λ, Ο oder Σ gehörig) lassen sich zwar in einem allgemeinen Sinne verantworten, aber nicht in einem speziellen, wir führen sie herbei, aber nicht ihre Gestalt. Um dies an einem Beispiel formal zu fassen:
Ι{∃A: Δ{A}}
Diese Aussage gilt so auch für das visuelle, akustische, olfaktorische etc. Wahrnehmungsvermögen, wobei die Definition des Existenzquantors an dieser Stelle durchaus problematisch ist, aber für das Einsichtsvermögen gilt sogar noch etwas mehr, nämlich:
Ι{Δ{A} ? Δ{>A<} ? (>Δ{A}<, >Δ{>A<}<)},
wobei ? die Disjunktion bezeichne.
Ich kann mich für jede Aussage entscheiden einzusehen, daß sie entweder gilt oder nicht gilt oder ich einsehe, daß ich weder einsehe, daß sie gilt, noch nicht gilt.

Eine solche Entscheidung bedeutet, eine Frage an sich zu stellen. Und auf jede Aussage gibt unser Einsichtsvermögen eine von drei Antworten: stimmt, stimmt nicht, weiß nicht oder auch: a-ha, ä-ä, öh.

Den Existenzquantor sind wir also an dieser Stelle für das Einsichtsvermögen los, und die übrigen Vermögen interessieren einstweilen nicht weiter. Ich kann nur hoffen, daß sich daraus später nicht noch knüppeldicke Schwierigkeiten ergeben.

Dies ist übrigens eine notwendige Angelegenheit. Wenn wir uns nichts fragen, können wir auch nichts abstrakt einsehen, wir sind allenfalls auf unbewußte Weise orientiert, etwa wenn wir etwas einfach lieber lassen, ohne genau zu wissen, warum. Der Grund dafür besteht darin, daß Einsichten reflexionsabhängig sind, sich also je nach Grad der Reflexion unterscheiden, und folglich muß man den Grad der Reflexion explizit bestimmen, welchen man verwenden will. Man bedenke nur dies:
Δ{1+1=2}, Δ{Δ{1+1=2}}, Δ{Δ{Δ{1+1=2}}} etc.
Ich möchte nun das, was wir hier zuletzt betrachtet haben, die Klärung des eigenen Wissens über eine Aussage nennen oder auch kurz einen Klärungsversuch.

Damit haben wir bis hierhin vier mögliche Entscheidungen, von welchen uns aber nur drei interessieren, nämlich:
  1. Verewigung in Λ,
  2. Vergegenwärtigung in Ο,
  3. Klärungsversuch in Δ.
Diese müssen wir formalisieren. Die Frage stellt sich allerdings, ob wir diese Entscheidungen wie Eindrücke behandeln dürfen, oder besser gefragt, als was sie uns selbst natürlicherweise begegnen.

Die Antwort darauf ist verblüffend. Entscheidungen begegnen uns natürlicherweise als eine Konstante. Es gibt keine Wahrnehmung, zu welcher wir uns nicht entschieden hätten. Die Frage ist einzig, zu was in ihr wir uns darüberhinaus entschieden haben, und diese Frage wird durch den Verantwortungsbereich (Ι) beantwortet, im Falle des Einsichtsvermögens etwas umständlich durch die Rückführung der eingesehenen Aussage auf die verantwortete Klärungsalternative, beziehungsweise der ihr zu Grunde liegenden zu klärenden Aussage.

Mag gut sein, daß da auch noch eine technische Schwierigkeit lauert, aber das soll mich hier nicht weiter stören. Eine andere Frage muß aber noch besprochen werden, nämlich was es mit der Zeitlichkeit der Entscheidungen auf sich hat.

Ich behaupte, das läuft alles ohne unser Zutun. Sobald eine Wahrnehmung vergangen ist, wird sie von unserem Gedächtnis am rechten Platz verortet. Wenn ich beispielsweise einen Eindruck verewigt hätte, so wäre die Wahrnehmung des Denkvermögens, auf welcher diese Entscheidung mitaufbaute, nicht verloren, sondern im Gedächtnis mit dem damals Gegenwärtigen als zeitgleich verbunden.

Es gibt also im Gedächtnis zu jeder Vergangenheit einen damals gegenwärtigen und damals ewigen Teil.

Zugegeben, es mag etwas albern sein, hier stets von ewig zu sprechen, wenn damit nur gemeint ist, daß ein Eindruck oder eine Aussage Teil des langen Augenblicks ist oder war, an welchem man festhält, indem man sich fortwährend für seine Wahrnehmung entscheidet, aber zugleich ist es auch sehr eingängig.

Und also können wir nicht nur sagen, daß wir uns für einen bestimmten wahrgenommenen Eindruck entschieden haben, sondern auch wann dies geschehen ist, selbst wenn es unser Denkvermögen betraf, nämlich genau zu der Vergangenheit, als etwas zuletzt noch nicht ewig war.

Damit wäre das Problem der Formalisierung zu Beschreibungszwecken gelöst. In Algorithmen würde man Entscheidungen hingegen gerne als Funktionen verwenden.
  • λ(a) für die Verewigung von a
  • ο(a) für die Vergegenwärtigung von a
  • δ(A) für den Klärungsversuch von A
Ganz auf die algorithmische Sicht verzichten sollten wir nicht, da viele Regeln in Λ algorithmischer, und nicht beschreibender, Art sind. Wenn wir unser eigenes Verhalten regeln, so befehlen wir uns, und beschreiben uns nicht. Diesen Aspekt will ich hier indessen nicht mehr behandeln.

Stattdessen möchte ich lieber eine Anwendung von Entscheidungen besprechen, nämlich wie wir zählen.

Dem Zählen liegt eine gegenwärtige Menge von Eindrücken einer bestimmten Art zu Grunde, welche also einer bestimmten Auszeichnung entsprechen, etwa ein Holzscheit zu sein.

Zählen beruht offenbar auf einer Sukzessionsregel bestimmter Eindrücke, Zahlen genannt, welche samt ihnen Teil unseres Denkvermögens ist.

Wir müssen diese Regel anwenden, und dazu müssen wir zwei Dinge leisten.
  1. Wir müssen die Stelle innerhalb der Sukzession kennen.
  2. Wir müssen wissen, was wir bereits behandelt haben und was noch nicht.
Die zweite Erfordernis läßt sich formal am leichtesten dadurch erfüllen, daß die Holzscheite Stück für Stück verewigt werden, wozu nichts weiter als Besinnung, also die Auflösung einer Auszeichnung, nötig ist, durch welche die Verewigung bewerkstelligt wird - so dies möglich ist.

Die Unmöglichkeit der Besinnung ist gleichbedeutend mit der Einsicht in die Aussage, daß es derartig ausgezeichnete Gegenstände nicht gibt.

Formalisierungsmäßig ist dies allerdings etwas unschön. Wie wollen wir es fassen? Wir werden wohl sagen müssen: Falls es etwas gibt, so wird das, was es gibt, verewigt, und wir folgen der Sukzession. Andernfalls sind wir fertig. - auch wenn sich unser Denken etwas anders vollzieht, nämlich durch die Besinnung und die Einsicht in ihren Erfolg.

Hier stellen sich wieder Existenz- und Allquantorfragen, und zwar bedeutender Art. Aber auch diesen Aspekt will ich hier nicht mehr behandeln.

Und was die erste Erfordernis angeht, so können wir dort den umgekehrten Weg der Vergegenwärtigung der jeweils erreichten Mindestanzahl an Holzscheiten gehen, nachdem wir uns anfangs auf welche Weise auch immer davon überzeugt haben, daß wir mit dem Zählen noch nicht angefangen sind.

Die Verwendung von Gegenwärtigem und Ewigem hierbei ist übrigens schon auch natürlich, denn wir müssen uns während des ganzen Vorgangs bewußt bleiben, daß ein Holzscheit bereits behandelt wurde, während wir die Stelle innerhalb der Sukzession immer nur für einen kurzen Augenblick benötigen.

Gut, damit will ich diesen nicht sonderlich konzisen Beitrag nicht sonderlich konzis beschließen. Wichtig ist er auch so.

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