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24. April 2014

Zum Einsichtsvermögen

Der vorige Beitrag hat mich auf eine Unklarheit geführt, nämlich was genau das Einsichtsvermögen betreffen können sollte.

Letztlich kann es dazu keine zwei Meinungen geben, aber es ist schon etwas zu diesem Thema zu sagen.

Der Begriff Vermögen suggeriert die prinzipielle Fähigkeit, etwas einzusehen, was allerdings im Gegensatz zu unserer Verwendung unseres Einsichtsvermögens steht.

Wenn ich beispielsweise gestern Fleisch zu Mittag gegessen habe, so kann ich schwerlich einsehen, daß es Fisch war. Die prinzipielle Fähigkeit dazu besteht aber durchaus, und auch praktisch im Rahmen der entsprechenden Vorstellung.

Nun, ganz richtig ist das nicht, insofern wir für gewöhnlich wissen, wenn wir uns etwas nur vorstellen, aber wir unterschlagen nichts, wenn wir unsere tatsächlichen Erfahrungen rein formal zu einer Annahme unter vielen erklären und jede Annahme durch die Aussagen, welche in ihr als wahr eingesehen werden, formalisieren.

Genau das habe ich mir im vorigen Beitrag natürlich zu Nutze gemacht, um die logische Äquivalenz zweier Aussagen zu definieren, indem ich ihr unter jeder Annahme zugleiches Wahr- oder Falsch-Sein herangezogen habe, konkret unter jeder möglichen Annahme einer Zuordnung einer Zahl zu einer Anderen in Form der Aussage, daß der jeweiligen Zahl die nämliche zugeordnet ist.

Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang einzig, wie einzelne Annahmen zu formalisieren sind, wenn man mit mehreren gleichzeitig operiert.

Auch wäre zu fragen, ob man nicht auch mit nicht einsehbaren Annahmen operieren könnte, aber dabei sollte man noch einmal wiederholen, was nicht einsehbar heißt, nämlich nach dem Vorigen, daß die gemachten Aussagen Wahrnehmungen beschreiben, welche prinzipiell unmöglich sind, was insbesondere der Fall ist, wenn die Aussagen sich widersprechen.

Aber zur ersten Frage. Um mit mehreren Annahmen gleichzeitig operieren zu können, müssen wir die zugehörigen Aussagen nur jeweils unterschiedlich benennen, also allen Aussagen einer Annahme einen zu dieser Annahme gewählten Namen zuordnen.

Das tun wir übrigens ständig. Zunächst benennen wir eine Wahrnehmung als Wahrnehmung zu jener Zeit, etwa wenn ich eine Gruppe von drei Bäumen ins Auge fasse, so benenne ich sie zunächst als ausgewählte Bäume und dann benenne ich diese Benennung als Wahl zu jener Zeit, und auf diese Weise bleiben sie bis in alle Ewigkeit zusammengefaßt. Entsprechend stellte man neben die Wahrnehmung zu jener Zeit die Vorstellung jener Zeit zu dieser Zeit, falls es beliebte.

Und wenn wir uns dann erinnern wollen, so rufen wir alle Aussagen, welche zu einer bestimmten Zeit angenommen wurden, wach, indem wir fragen, welchen Aussagen die nämliche Zeit zugeordnet wurde. Die drei Bäume im angegebenen Beispiel sind übrigens zeitliche Eindrücke, welche mit anderen zeitlichen Eindrücken durch geeignete Auszeichnung identifiziert werden können, aber nicht identisch sind. Es kann ihnen also später nicht noch etwas anderes zugeordnet werden, diese Möglichkeit bestand nur zur Zeit ihrer Wahrnehmung. Und so verhält es sich mit allen Eindrücken, sie alle sind zeitlich, und insbesondere beträgt die Lebenszeit unserer Zuordnungen auch nur die Spanne, welche wir uns ihrer gewahr sind, wobei diejenigen, welche unsere Erfahrungen zeitlich ordnen eine sehr viel längere Lebensspanne besitzen als die übrigen, welche nur so lange wahrgenommen werden, wie wir einen Gedanken ununterbrochen verfolgen, was voraussetzt, daß wir an ihm nichts bestehendes abändern, also keine in ihm gemachte Aussage revidieren.

Zugleich lassen sich derartige unterschiedliche Annahmen offenbar nicht einsehen, entweder ich rufe mir eine Zeit und alle in ihr getroffenen Aussagen wach oder eine andere.

In der Mathematik ist es hingegen weit verbreitet, sich widersprechende Aussagen zugleich zu betrachten, zwecks Beweis durch Widerspruch.

Wie kann das sein, wenn die Mathematik doch in jedem ihrer Schritte auf dem Einsehbaren beruht?

Betrachten wir das folgende Beispiel. Wenn ich eine stetige Funktion f betrachte, welche in einem Punkt den Wert -1 annimmt und an einem anderen den Wert +1 und zusätzlich, daß sie in dem Intervall zwischen diesen beiden Punkten nirgends verschwindet, so könnte ich die Funktion 1/f über diesem Intervall bilden. 1/f wäre wieder stetig und besäße dieselben Randwerte. Sowohl f als auch 1/f besäßen ein betragsmäßiges Maximum und ein betragsmäßiges Minimum, da das Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen Funktion wieder kompakt ist, wobei wir hier nur brauchen, daß es beschränkt ist, toll, nicht?

Aber wie können diese Funktionen dann stetig sein, wenn sie keine Werte in einem Intervall um Null herum annehmen?

(Lach: ja, es gibt einen besseren Beweis, aber der ist zu geradlinig.)

Was fällt auf?

Haben wir uns die ganze Zeit über etwas entsprechendes vorgestellt?

Das kann man wohl nicht füglich sagen. Ich beispielsweise habe mir konkret lediglich stetige Abschnitte vorgestellt, welche selbstverständlich nicht zusammengefügt waren. Und auf der Grundlage hätte ich keinesfalls die Stetigkeit von f und 1/f einsehen können, was ich natürlich auch nicht wollte. Aber ohne Stetigkeit über einem kompakten Intervall auch keine Beschränkung. Und trotzdem habe ich jene mit in meine Vorstellung eingebaut. Und zwar weil ich es dem Wort nach durfte. Dem Wort nach, nicht der Einsicht nach. Stetige Funktionen über offenen Intervallen müssen nicht beschränkt sein, und das weiß ich auch.

Nun, um nach dieser launigen Betrachtung auch ein Fazit zu ziehen, der Mathematiker überträgt seine Einsichten in Sätze, und wenn er einen Widerspruchsbeweis führt, stützt er sich nicht auf seine Einsicht unter den Annahmen des Widerspruchsbeweises, was ihn verwirren müßte, sondern auf jene Sätze, welche er unter einsehbaren Annahmen gewonnen hat, was selbst dann gelten würde, wenn er dazu auch Widerspruchsbeweise führte, denn daß ein Widerspruchsbeweis ein Beweis ist, ist einsehbar: eine Aussage muß falsch sein, wenn aus ihr Falsches folgt.

Lügen haben kurze Beine.

Und es ist zulässig unter jedwelcher Annahme formal Schlüsse zu ziehen, nur daß die eigentliche Annahme dabei, auf welche sich die eigene Einsicht gründet, darin besteht, daß die gemachten Schlüsse folgerichtig sind, also die ursprüngliche Annahme nur dann ad Absurdum geführt werden kann, wenn sie selbst widersprüchlich ist.

Wir können also sagen, daß die beim Denken verwendete Annahme immer einsehbar ist, und wo wir uns mit widersprüchlichen Annahmen beschäftigen, eine Verschiebung des Denkens in den metalogischen Bereich vorliegt, aus welchem wir selbstverständlich auch jederzeit wieder hinabsteigen können.

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