Bereitschaftsbeitrag

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26. Juli 2015

Profane Stimmungen

Die melodischen Stimmungen, unser Befinden, illustrieren sehr schön das tastend kriechende Voranschreiten der Sorge bei der Bestimmung unserer Haltung.

Ist die Haltung angemessen, trifft uns der Reiz angemessen, gehen wir beschwingt ans Werk und lassen es gelöst zurück, so verflüchtigt sich die Stimmung bald.

Aber wenn die Haltung unangemessen ist, dann beschäftigt uns unsere Stimmung.

Die Schwermut drängt uns sanft zu anderen Werken, doch die Schwärmerei holt uns zurück, und uns bleibt einzig der Ausweg, unsere Arbeitsweise anzupassen.

Die Schüchternheit gefällt uns im Augenblick wohl gar, aber schließlich wird sie lästig, und uns bleibt einzig der Ausweg, uns den Aufgaben, welche wir vermieden haben, zu stellen.

Bei der Verzauberung ist es ähnlich, auch sie weiß zu gefallen, doch schließlich fragen wir uns, worauf wir unsere Zeit verwenden und beginnen, den Sinn unseres Lebens kritischer zu erfassen.

Charakteristisch für all diese Stimmungen ist dabei der niedrige Grad ihrer Bewußtheit. Es ist gleich, woran wir gerade denken, sie lenken uns auch ohne unser gedankliches Zutun zu den nötigen Haltungskorrekturen.

Übrigens, falls Sie sich fragen sollten, warum ich die melodischen Stimmungen nun gerade unser Befinden nenne, die Antwort darauf ist die folgende. Mir gefällt es, auf die Frage: Wie ist ihr Befinden, werter Herr? mit zwei unterschiedlich hohen Seufzern zu antworten.

An dieser Stelle läge es nun nahe, unterschiedliche Formen der Verliebtheit nach Seufzersequenzen zu kategorisieren, aber ich belasse es bei der Angabe der mir vertrautesten: sol-do, si-sol, beliebig oft wiederholt.

Ich schreibe diese Beiträge wirklich nicht, um einer Erzählung E.T.A. Hoffmanns dabei zu helfen, Wirklichkeit zu werden (diejenige, welche Léo Delibes vertont hat, genau), aber ganz unnütz dürften sie zu diesem Zweck auch wieder nicht sein. Nur... wozu einer Coppélia das Seufzen beibringen? Das heißt, wozu die Umständlichkeit der Lenkung? Wozu die Bewußtmachung der unterschiedlichen emotionalen Affiziertheiten, um sich anschließend einen Weg durch sie zu bahnen? Freilich, es mag so am leichtesten zu programmieren sein, aber bei der Abwägung der unterschiedlichen Einflüsse handelte es sich um eine banale Stelle im Programm, während in unserer Abwägung das Potential der existentiellen Aussöhnung liegt: Wir setzen sie zu einander ins Verhältnis und unter Umständen stimmt es die Welt, hat es Gottes Segen. Die materielle Welt ist nur der Widerhall der Seelen, in ihnen liegt das Maß, und wo es mißachtet wird, stört es auch die körperliche Ordnung, und insbesondere stört der Angriff des Maßes dieser Stimmung, welcher der Abfall vom Glauben an sie ist, die Harmonie insgesamt.

Doch zurück zum Befinden, was offenbart die Sorge durch es von sich?

Den Willen zur Meisterschaft in Schwermut und Schwärmerei, den Willen zur Anwendung dieser Meisterschaft in der Verzauberung und den Willen zur Prüfung der Meisterschaft in Schüchternheit.

Im Gegensatz zu den heranleitenden und den zurückführenden Stimmungen, welche so gesehen religiöse Stimmungen sind, handelt es sich bei unserem Befinden also um profane oder auch willkürliche Stimmungen.

Im übrigen ist noch zu bemerken, daß sich die Wirkung von Musik nicht in melodischen Stimmungen erschöpft, sondern die von ihr evozierten Gefühle aus der Verbindung von Melodie, Rhythmik, Akzentuierung und Harmonie entstehen. Ein Beispiel für eine aus Melodie, Rhythmik und Akzentuierung entstehende Evokation ist durch zwei knapp gestoßene Hmms gegeben, welche eine Quinte hinabsteigen und rhythmisch dem Spondeios entsprechen, und zwar die Evokation verärgerter Entschlossenheit. Wird die Akzentuierung geändert, die beiden Hmms nicht knapp gestoßen, sondern das volle spondeiische Maß lang gehalten, so ändert sich die Evokation zum Sinnen auf Rache. Wird hingegen der Spondeios zum Iambos, so evoziert knappes Stoßen ein sich abwendendes So also! und das Halten des vollen iambischen Maßes ein letztlich versöhnliches, wenn auch einstweilen verärgertes, Na gut. Und wenn der Spondeios zum Pyrrhichios oder Trochaios wird, so wird gar nichts mehr evoziert.

Es gibt Musikstücke, welche stark auf der rhythmisch-akzentuierten Evokation beruhen, etwa Ludwig van Beethovens Wut über den verlorenen Groschen, zentral bei ihr der knapp gestoßene spondeiische Abstieg um eine Sekunde, welcher in Verzweiflung umschlagende Frustration evoziert, von Beethoven zusätzlich mit einem Triller verziert. Ich bin aber eher kein Freund derartiger, meist ärgerlicher, Musik, denn sie nähert sich zu sehr der Rede an und verliert dadurch das sie auszeichnende Musische.

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