Bereitschaftsbeitrag

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20. Juli 2015

Haltung und Stimmung der Menschheit

Das Gefühl, daß das Leben noch etwas anderes sein müsse, strömt aus zwei verschiedenen Quellen.

Die erste bilden die Schatten vergangenen Lebens, einmal erkannte Gefahren, aus welchen sich die Ängste, aus welchen die gesellschaftliche Achtung besteht, speisen, und einmal überstandene, welche die eigene Erwartung der Aufgaben, vor welche einen das Leben stellt, berät.

So kommt es also, daß wir einen Begriff von den Dingen haben, welche in unserem Leben fehlen, den Kanten, welche den Erfolg vom Mißerfolg scheiden, und den Belastungen, welche vor und nach dem Erfolg stehen.

Diese Dinge sind instrumentell, das, worin sich das Leben kleidet, aber kein Leben ohne Kleider und nichts Wesentliches ohne Institutionen! Und wen die Blöße des Lebens um sich herum übermannt, der beginnt, sich von ihm zu lösen, denn er sieht auf sein Ganzes. Wo das Spezielle entschwindet, tritt das Allgemeine hervor.

Aber dieses Allgemeine ist kein Ersatz, es ist etwas gänzlich Neues, die Schatten der Vergangenheit vergehen und an ihre Stelle tritt das zeitlos Gültige.

Denn genau das ist die zweite Quelle. Man schwimmt im Meer des Ewigen, man steht in Beziehung zu dem, was das Sein begründet. Und so kann es kommen, daß einem das eigene Leben nichts, und doch zugleich alles ist, indem es sich in keine liebenswerte Form fügt, und doch den Schlüssel zu allen liebenswerten Formen enthält.

Wir können uns freilich stets in dem, worüber wir Kontrolle haben, eine Zuflucht schaffen, aber je liebenswerter jene ist, desto verspielter ist sie, Liebenswertheit ist wesentlich Eleganz und Eleganz überträgt stets die Wohlordnung eines größeren Rahmens auf einen kleineren, so daß sich das wohlgeordnete Individuum, wo die Gesellschaft nicht wohlgeordnet ist, nur zwischen elegantem Rückzug in dasjenige, was kleiner als es ist, und arbeitsaufwendigem Verharren im seiner Statur angemessenen Rahmen entscheiden kann.

Der Widerspruch, sich in keine liebenswerte Form fügen zu können, welche man in sich trägt, löst sich nicht im eigenen Leben auf, sondern durch es. Gott leitet das Gebet nicht, welches er hört, er fordert zu ihm auf; das Entleerte begründet auf keinerlei Weise Sein. Und darin liegt auch der Sinn des Selbstmordverbots.

Wie im Einzelnen, so muß auch die Stimmung der Menschheit ihre Haltung neu formen, wenn diese ihr Leben nicht mehr durchgängig bestimmt. Die Stimmung der Menschheit aber ruht in denjenigen, welche auf das Ganze des Lebens schauen.

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