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14. Dezember 2011

Komparative Spiritualistik

Ebenso wie man das menschliche Bewußtsein unterteilen und beschreiben kann, kann man auch die Richtungen unterteilen und beschreiben, welche ein Mensch einschlagen wird, je nachdem, als was er sich als Mensch versteht und worin er seine Pflichten sieht.

Zunächst einmal muß man natürlich herausfinden, welche Parameter des eigenen Selbstbildes einschließlich der eigenen Pflichten in dieser Angelegenheit relevant sind. Da ich bereits einige kenne, fange ich mit einer Aufzählung an.
  • Die Annahme von Inspiration
  • Verortung der eigenen Inspiration in einem selbst oder in der Welt
  • Gewichtung von Lebens- und Seelenpflichten
  • Explizität der Vertrauensakte
  • Orientierung an konkreten oder angenommenen/konstruierten Vorbildern
  • Die Annahme menschlich seelischer Unterschiede
  • Explizität der menschlich seelischen Unterschiede
  • Angenommene Regelmäßigkeiten menschlich seelischer Unterschiede
Bemerkung. Gewichtung schließt Annahme ein.

Ich habe diese Aufzählung schon etwas geordnet, letztlich gibt es zwei fundamentale Annahmen, nämlich die von Inspiration und Lebens- und Seelenpflichten und alles weitere ist ihre Explizierung und Gewichtung, sofern sich zwei Dinge gegen einander gewichten lassen.

Die Explizierung der Inspiration führt auf die Frage, ob sie an äußere Umstände gebunden ist oder nicht. Darauf gibt es eine empirisch belegbare Antwort, nämlich daß sie es nicht ist, aber das hält viele Menschen nicht davon ab, trotzdem das Gegenteil dessen anzunehmen.

Zu den spirituellen Auswirkung des Glaubens an die Inspiration. Jemand, der Inspiration annimt, wird sich und anderen geistige Freiräume lassen wollen und er wird sich darüber im Klaren sein, daß bestimmte Dinge nur zu einem kommen werden, wenn Gott es so will. Er wird also in geistigen Dingen eine gewisse Demut besitzen, wobei diese, sofern er dem Irrglauben anhängt, daß Inspiration durch bestimmte äußere Umstände verursacht würde, durch ein abergläubisches herbeizuführen Versuchen dieser Umstände verunstaltet sein wird. (Das krasseste Beispiel hierfür ist der regelmäßige Konsum von psychoaktiven Substanzen zum Zwecke der Inspiration. Psychoaktive Substanzen induzieren Träume, Träume sind aber ihrerseits langfristig gesehen wieder auf Inspiration angewiesen oder deutlicher gesagt, Träume sind das veranschaulichende Wiederkäuen der eigenen Inspiration.)

Die Explizierung der Lebens- und Seelenpflichten führt alsbald auf die drei immanenten Lebenspflichten, und ich kenne keine Religion, welcher das nicht gelungen wäre, und dann auf die Vertrauensakte und die Explizierung der Seelenpflichten, welche mit einiger Zwangsläufigkeit auf die Annahme und Explizierung menschlich seelischer Unterschiede führt und dann im Zuge der Lebenspflicht des rechten Auffassens auf die Frage, welche Regelmäßigkeiten sie wohl begleiten mögen.

Es ist dieser Fragenkomplex, aus welchem verschiedene Religionen entstehen, aber auch unterschiedliche areligiöse Lebensweisen, wobei es bei den Lebenspflichten weniger darum geht, sie anzunehmen/anzuerkennen, als vielmehr darum, sie einfach nur zu verstehen, was aber nichts anderes heißt, als den entsprechenden geistigen Horizont zu besitzen, in welchem Fall die Anerkennung der Pflicht für einen obligatorisch wird.

Nun ist es allerdings so, daß Religionsstifter und Religionsanhänger nicht unbedingt denselben geistigen Horizont haben müssen, was insbesondere in bezug auf die Vertrauensakte schwierige Fragen aufwirft.

Einige Religionen haben es tatsächlich gewagt, die Vertrauensakte zu explizieren, und ihre Ausübung in die Hände eines Schamanen, nennen wir ihn einmal so, zu legen. Das ist natürlich ziemlich gefährlich, denn wenn es auch beispielsweise möglich ist, durch das eigene Vertrauen Regen herbeizuführen, so kann es doch leicht dazu kommen, daß eine Gemeinde mit ihrem Regenmann nicht zufrieden ist. Freilich verbessern sich die Chancen auf Akzeptanz, wenn ein beträchtlicher Teil der Gemeinde aus engen Verwandten des Regenmanns besteht.

Ein anderes Beispiel selektiver Vertrauensakteausübung begegnet uns in Indien, wo die Vertrauensakte hingegen nicht expliziert werden, was dann aber die Frage aufwirft, warum die Gemeinde ihren Guru durchfüttern sollte. Die Antwort darauf bilden in Indien die prominent gepredigten Seelenpflichten.

Das Christentum hat sich in diesem Punkt für eine recht seltsame Lösung entschieden, nämlich grundsätzlich jeden anzuhalten zu vertrauen, ohne ihn genauer zu instruieren. Auf diese Weise wird natürlich schon dafür gesorgt, daß, solange die Menschen dem nachkommen, die nötigen Vertrauensakte ausgeübt werden, aber offenbar stellt sich so die Frage, aus welchem Grund eine Gemeinde, welche fast ausschließlich aus Menschen besteht, deren geistiger Horizont die Transzendenz nicht miteinschließt, an einer solchen Religion festhalten sollte. Die historische Antwort darauf lautet natürlich weltliche Gewalt.

Schon Paulus empfiehlt das Niederbrennen von Bibliotheken zum Zwecke der Verbreitung des Christentums, und es stellt sich die Frage, ob es überhaupt jemals Umstände gegeben haben könnte, unter welchen sich das Christentum ohne die Unterstützung durch weltliche Gewalt hätte verbreiten können. Nicht, daß weltliche Gewalt immer häßlich aussehen müßte, es mag sich bei ihr auch schlicht um ein für alle Seiten vorteilhaftes Abkommen handeln, aber daß sich Menschen einmal en masse aus spirituellen Gründen dem Christentum angeschlossen haben, erscheint nur vor dem Hintergrund außerordentlicher Not, und der aus ihr entspringenden Notwendigkeit zu außerordentlichem Vertrauen, glaubhaft. Und so wäre auch die Offenbarung zu verstehen, als Hinweis darauf, was kommen muß, damit die Menschen sich wieder zum Christentum bekehren, nachdem es keine weltlichen Gründe mehr gibt, an ihm festzuhalten.

Ich halte es übrigens für sicher, daß diese Strategien zur Glaubensdurchsetzung des Christentums nichts mit seinem Religionsstifter zu tun haben, sondern römisch-griechischen Zirkeln entspringen. Ich glaube auch nicht, daß Paulus eine historische Figur war, denn kein Jude kann so unfehlbar jedes antisemitische Vorurteil verkörpern, wie Paulus (nicht als Saulus, wohlgemerkt) es getan hat, Anstiftung zur Einschüchterung durch Lügen, Abzweigung von Spendengeldern, Bestechung, das schon angesprochene Niederbrennen von Bibliotheken... ein wahrer Heiliger.

Aber nützlich. Und ein Prototyp. Wie gesagt, was sonst?

Doch genug von den spezifischen weltlichen Mitteln, welche das Überleben des Christentums garantieren.

Die bisher beschriebenen Religionen, Schamanismus, Hinduismus und Christentum beinhalten Vertrauen als zentrales Element, aber wie gesagt in unterschiedlicher Form.

Neben den Vertrauensakten sind es die Seelenpflichten, in welchen sich die Religionen hauptsächlich unterscheiden. Seelenpflichten spielen wie gesagt im Hinduismus eine große Rolle und im Buddhismus eine sogar noch größere, da er Lebenspflichten keine Bedeutung beimißt.

Eine Religion, welche Transzendenz hingegen ausschließlich in Form von Inspiration kennt, ist der Islam. Charakteristisch für eine solche Religion ist, daß sie Vertrauen durch weltliche Verantwortung ersetzt und ihre Anhänger unter einen Glaubensumsetzungszwang setzt, was sich in vergleichsweise großer Unabhängigkeit und Agressivität bemerkbar macht.

Der direkte Vergleich zwischen Christentum und Islam ist insofern interessant, als daß beide Religionen in gewisser Weise im Vergleich zur anderen atheistisch erscheinen. Beim Christentum ist es das weltliche Fundament, auf welchem es ruhen muß, und beim Islam die Verpflichtung, mit eigenen Händen dafür zu sorgen, daß Gottes Wille geschehe. Eine Synthese ist hier natürlich nicht möglich. Hingegen könnte man den Hinduismus, ahistorisch allerdings, als Synthese von Christentum und Buddhismus bezeichnen, insofern er Lebens- und Seelenpflichten beider in sich vereinigt.

Ob man menschlich seelische Unterschiede annimmt, spielt natürlich nicht nur dafür eine Rolle, ob es einem überhaupt möglich ist, an Seelenpflichten zu glauben, sondern auch bei der Art und Weise wie man andere Menschen behandelt und wie man die Erfahrungen, welche man mit anderen Menschen gesammelt hat, mit einander in Einklang bringt.

Generell ist es so, daß man jemandem, welchen man gleich zu sich denkt, freundschaftlicher entgegen tritt, und seinen Mitmenschen freundschaftlich entgegen zu treten, ist selbst eine Seelenpflicht. Mithin gefährdet die Voraussetzung des Glaubens an die Pflicht hier ihre Erfüllung. Im Christentum fällt dies natürlich unter das Liebesgebot, welches selber aber nicht christlich begründet werden kann, sondern nur durch Rückgriff auf heidnische Vorstellungen von Himmel und Hölle, mithin implizit wieder durch die Annahme menschlich seelischer Unterschiede, denn jenen entspringt ja die Vorstellung von Himmel und Hölle.

Das Christentum gibt also auch in diesem Punkt die Parole aus: Mach das Richtige und dir keinen Kopf darüber, warum es richtig sein soll. Was ohne weltliche Macht nicht funktioniert und wahrscheinlich auch erklärt, warum gerade Europäer so selten unkritisch sind.

Wenn man hingegen das Offensichtliche ausspricht, und die unterschiedliche Beseelung der Menschen zur Lehre macht, so muß dieses also im Rahmen der eigenen seelischen Pflichten geschehen, um einen gottgefälligen Umgang der unterschiedlich beseelten Menschen mit einander auch nur zu ermöglichen.

Andererseits gibt es durchaus auch weltliche Leiden an der Annahme, daß alle Menschen gleich beseelt wären, weil man dann eben seine eigenen Erfahrungen nur auf abwegige Weisen mit einander in Einklang bringen kann, aber mit Blick auf das Ganze mögen diese Leiden vergleichsweise gering sein, darauf bauend, daß die meisten Menschen eh nur ihrem Instinkt folgen. (Lustig in diesem Zusammenhang ist das Verhältnis der Intellektuellen zum instinktiven Rassisten, welcher aus lauter Dummheit doch immer am besten wegzukommen scheint, und welchen sie auch oftmals, bei nicht ganz so fortgeschrittenem Selbsthaß, verteidigen.)

Ich könnte noch diesen oder jenen Fall genauer beleuchten, aber ich bin mit der erreichten Abdeckung und Durchdringung der unterschiedlichen Geisteshaltungen, welche sich aus der Stellung zu den genannten Punkten ergeben, zufrieden, wobei ich die Orientierung an Vorbildern, welche sich notwendig daraus ergibt, daß wir Pflichten anerkennen und in Gemeinschaft mit anderen Menschen leben, ja bereits im vorigen Beitrag behandelt hatte. Hier möchte ich diesbezüglich nur anfügen, daß diese Orientierung eben auch für den Atheisten, welcher nur die drei immanenten Lebenspflichten anerkennt, von entscheidender Bedeutung ist und gerade deswegen die gesamte Moderne, einschließlich aller Atheisten, durch die Entscheidung der Reformation geprägt wird, sich nicht an konkreten Vorbildern zu orientieren.

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