Nochmals zum Glauben
Ich bin fast umgekippt, als ich diese Version gehört habe:
(Furtwängler, Wiener Philharmoniker 1951)
Wie kann das bloß sein?
Wie? Kann? Das? Bloß? Sein?
Es ist ja nicht irgendein Stück. Nicht irgendein obskures Stück, welches nur im Kontext seiner Zeit verstanden werden kann und zu welchem wir heute einfach keinen Zugang mehr finden oder anders?
Beschämender wird es doch nicht mehr.
Ja, es stimmt, Glaube ist oftmals Kompensation für Gebrechlichkeit, aber wer ihn deshalb pauschal als pathologisch erklärt, mag seine eigene Stärke dabei überschätzen. Und wozu überhaupt Musik einfach nur herunterspulen?
Was ich sonst so höre ist bestenfalls streckenweise sentimental, normalerweise aber einfach nur der Beweis dafür, daß hundert Musiker fleißig gelernt haben, zusammen auf die Pauke zu hauen.
Aber das sagt etwas aus über die Menschen. Glaube läßt sich nicht selektieren. Ein Reich von hunderten Millionen Menschen kann, wenn ihm ihr Glaube fremd ist, nicht einmal hundert auswählen, welche seine Hymne in ihm spielen.
Historisch natürlich interessant, daß dies 1951 in Wien noch ging.
Und auch ein bißchen seltsam, nicht wahr? Mußten wir diesen Glauben nicht bereits mit dem Einsetzen der Industrialisierung zu Grabe tragen? Wie Jünger später in In Stahlgewittern schreiben sollte, durch die moderne Technik wird die Masse durch den speziell ausgebildeten Trupp ersetzt. Oder kann dieser Glaube gar neben grundlegend veränderten militärischen Kräfteverhältnissen weiterbestehen?
Ist Brüderlichkeit am Ende mehr als bloß etwas zu einer bestimmten Zeit militärisch verwertbar Gewesenes?
Und wenn ja, in welcher Form lebte sie dann 1951 in Wien noch, heute aber nicht mehr?
Genug der Rhetorik. Das Spezifische des Beethovenschen Glaubens ist seine Buchstäblichkeit, nicht Brüder im Glauben sind gemeint, sondern der Glaube daran, daß die Menschen einander Brüder sein können, so wie sie sind, nicht erst durch irgendein Bekenntnis, nicht als Organisationsform, nicht als eine Gruppe, welche sich gegenseitig unterstützt, sondern als Gruppe, welche sich gegenseitig versteht und dieses Verständnis ihrer Unterschiedlichkeit in guter Absicht verwendet.
Und das lebte 1951 in Wien noch und ist jetzt tot.
Reden wir allgemeiner von diesen Dingen. Glaube ist die Brücke zum Idealen, aber er ist anfällig für Beleidigungen. Und deshalb ist es eben auch gelungen, den Menschen seit 1951 das Maß an Brüderlichkeit, welches sie besaßen, auszutreiben. Der Angriff in diesem speziellen Fall zielte auf die mangelnde Universalität der Brüderlichkeit, was ausreichte, um die Brüderlichkeit, welche immer nur ein verständnisvoller Umgang mit dem Verwandten ist und sein kann, aus der Welt zu schaffen. Alle Menschen sind auch schon dann Brüder, wenn sie nicht alle einander Brüder sind. Wer sagt, daß die Menschen eine Familie bilden oder bilden sollten? Der Einwand ist leicht genug, doch die meisten Menschen glauben so, wie sie auf einer Gesellschaft der Unterhaltung eines benachbarten Paares lauschen, sobald sie etwas ablenkt, finden sie den Faden nicht wieder.
Es gibt indes auch heute noch Glauben, wenn auch nicht diesen an dieser Stelle, nur daß sie auf dieselbe Weise bedroht werden wie jener es wurde, nämlich durch Glaubenssurrogate, welche aus keines Menschen Herzen kommen und auch nicht im Stande sind eines Menschen Herzen zu erreichen, dafür aber umso geeigneter sind, sich seiner Vernunft mit tausenden unerfüllbaren und in sich widersprüchlichen Forderungen zu bemächtigen.
Deshalb sage ich dies. Wer ein Herz hat, Glauben zu beherbergen und dies zum Beispiel daran erkennt, daß ihm eine Aufführung von Beethovens Neunter nicht gleich einer anderen ist, der hüte es. Verschließ er seine Ohren und lausche nicht jenen, welche selbst bereits erstarrt sind in ihren Überzeugungen, sondern lasse da wachsen, was in seinem Herzen keimt. Und dessen Wert kenne er! Eine seltene und überaus nützliche Gabe ist ein eigener Glaube, welchen man stets noch wiederfindet, um sich an ihn zu halten, gleich wie einen die Welt auch ablenken mag.
(Furtwängler, Wiener Philharmoniker 1951)
Wie kann das bloß sein?
Wie? Kann? Das? Bloß? Sein?
Es ist ja nicht irgendein Stück. Nicht irgendein obskures Stück, welches nur im Kontext seiner Zeit verstanden werden kann und zu welchem wir heute einfach keinen Zugang mehr finden oder anders?
Beschämender wird es doch nicht mehr.
Ja, es stimmt, Glaube ist oftmals Kompensation für Gebrechlichkeit, aber wer ihn deshalb pauschal als pathologisch erklärt, mag seine eigene Stärke dabei überschätzen. Und wozu überhaupt Musik einfach nur herunterspulen?
Was ich sonst so höre ist bestenfalls streckenweise sentimental, normalerweise aber einfach nur der Beweis dafür, daß hundert Musiker fleißig gelernt haben, zusammen auf die Pauke zu hauen.
Aber das sagt etwas aus über die Menschen. Glaube läßt sich nicht selektieren. Ein Reich von hunderten Millionen Menschen kann, wenn ihm ihr Glaube fremd ist, nicht einmal hundert auswählen, welche seine Hymne in ihm spielen.
Historisch natürlich interessant, daß dies 1951 in Wien noch ging.
Und auch ein bißchen seltsam, nicht wahr? Mußten wir diesen Glauben nicht bereits mit dem Einsetzen der Industrialisierung zu Grabe tragen? Wie Jünger später in In Stahlgewittern schreiben sollte, durch die moderne Technik wird die Masse durch den speziell ausgebildeten Trupp ersetzt. Oder kann dieser Glaube gar neben grundlegend veränderten militärischen Kräfteverhältnissen weiterbestehen?
Ist Brüderlichkeit am Ende mehr als bloß etwas zu einer bestimmten Zeit militärisch verwertbar Gewesenes?
Und wenn ja, in welcher Form lebte sie dann 1951 in Wien noch, heute aber nicht mehr?
Genug der Rhetorik. Das Spezifische des Beethovenschen Glaubens ist seine Buchstäblichkeit, nicht Brüder im Glauben sind gemeint, sondern der Glaube daran, daß die Menschen einander Brüder sein können, so wie sie sind, nicht erst durch irgendein Bekenntnis, nicht als Organisationsform, nicht als eine Gruppe, welche sich gegenseitig unterstützt, sondern als Gruppe, welche sich gegenseitig versteht und dieses Verständnis ihrer Unterschiedlichkeit in guter Absicht verwendet.
Und das lebte 1951 in Wien noch und ist jetzt tot.
Reden wir allgemeiner von diesen Dingen. Glaube ist die Brücke zum Idealen, aber er ist anfällig für Beleidigungen. Und deshalb ist es eben auch gelungen, den Menschen seit 1951 das Maß an Brüderlichkeit, welches sie besaßen, auszutreiben. Der Angriff in diesem speziellen Fall zielte auf die mangelnde Universalität der Brüderlichkeit, was ausreichte, um die Brüderlichkeit, welche immer nur ein verständnisvoller Umgang mit dem Verwandten ist und sein kann, aus der Welt zu schaffen. Alle Menschen sind auch schon dann Brüder, wenn sie nicht alle einander Brüder sind. Wer sagt, daß die Menschen eine Familie bilden oder bilden sollten? Der Einwand ist leicht genug, doch die meisten Menschen glauben so, wie sie auf einer Gesellschaft der Unterhaltung eines benachbarten Paares lauschen, sobald sie etwas ablenkt, finden sie den Faden nicht wieder.
Es gibt indes auch heute noch Glauben, wenn auch nicht diesen an dieser Stelle, nur daß sie auf dieselbe Weise bedroht werden wie jener es wurde, nämlich durch Glaubenssurrogate, welche aus keines Menschen Herzen kommen und auch nicht im Stande sind eines Menschen Herzen zu erreichen, dafür aber umso geeigneter sind, sich seiner Vernunft mit tausenden unerfüllbaren und in sich widersprüchlichen Forderungen zu bemächtigen.
Deshalb sage ich dies. Wer ein Herz hat, Glauben zu beherbergen und dies zum Beispiel daran erkennt, daß ihm eine Aufführung von Beethovens Neunter nicht gleich einer anderen ist, der hüte es. Verschließ er seine Ohren und lausche nicht jenen, welche selbst bereits erstarrt sind in ihren Überzeugungen, sondern lasse da wachsen, was in seinem Herzen keimt. Und dessen Wert kenne er! Eine seltene und überaus nützliche Gabe ist ein eigener Glaube, welchen man stets noch wiederfindet, um sich an ihn zu halten, gleich wie einen die Welt auch ablenken mag.