Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

18. November 2011

Eigentlich

Deutschlehrer mögen das Wort nicht, sie halten es für den Ausdruck eines unreifen Geistes.

Das ist es zumeist natürlich auch, aber was passiert eigentlich mit einem unreifen Geist, wenn man ihm einschärft, seine Unreife bloß nicht zur Schau zu stellen?

Und in welchen Situationen stellt er sie eigentlich zur Schau?

Ich glaube nämlich nicht, daß das Bemühen gerade von Deutschlehrern um ein klares, geordnetes Denken gar so edel ist, wie es zunächst den Anschein haben mag.

Kinder kennen die Situation natürlich nur allzu gut, daß sie selber lieber etwas anderes gemacht hätten, dann aber einem äußeren Druck nachgeben und in der Folge etwas anderes tun, als was sie eigentlich tun wollten. Diese Verwendung ist richtig. Die folgenden, jedenfalls oberflächlich betrachtet, nicht mehr:
  • Früher haben Eltern ihre Kinder geschlagen. Heute ist das verboten und Eltern schlagen ihre Kinder nicht mehr. Aber eigentlich schlagen sie sie immer noch manchmal.
  • Wir leben in einer Demokratie und alle Menschen bestimmen, welche politischen Entscheidungen getroffen werden, auch wenn sie eigentlich keinen Einfluß auf sie haben.
  • Seit Jahrzehnten wird das Wetter immer wärmer, auch wenn die letzten beiden Winter eigentlich so kalt waren, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.

Und so weiter. Auch hier sagt das Kind etwas auf äußeren Druck hin und stellt ihm seine eigene naiverweise durch eigentlich gekennzeichnete Ansicht gegenüber.

Es liegt nahe, den Haß von neurolinguistischen Programmierern auf das Wort eigentlich dadurch zu erklären, daß es ihren Opfern die Möglichkeit gibt, die Programmierung außer Kraft zu setzen. Aber nehmen wir das jetzt einmal großzügigerweise nicht an, sondern sehen im Kampf gegen eigentlich nur einen Kampf für ein klares, geordnetes Denken. Die Frage ist, ergibt dieser Kampf irgendeinen Sinn?

Wer eigentlich in der oben beschriebenen Weise verwendet, stellt damit zur Schau, daß, wenn es nach ihm ginge, ein Verletzung gleichzeitig tödlich und nicht tödlich sein könnte oder, um es knapper zu sagen, daß er seinem eigenen Urteilsvermögen nicht traut.

Wenn der nun nicht mehr eigentlich sagt, wird sein Urteilsvermögen dadurch besser?

Oder ist es vielmehr so, daß gerade der Gebrauch von eigentlich das Urteilsvermögen langsam schärft, indem dem Verstand so lange Widersprüche vorgehalten werden, bis er sich schließlich für eine Variante entscheiden mag?

Was man hieran exemplarisch sieht ist, was ich vor langer Zeit sagte, daß es nur eine Methode gibt, jemandem etwas einsichtig zu machen, nämlich indem man ihn auf etwas hinweist. Regeln zu befolgen lehrt einen nichts, außer wie es ist, wenn man Regeln befolgt. Manchmal geht es auch gerade darum, etwa beim sprechen lernen, doch denken ist etwas gänzlich anderes, als eine gesellschaftliche Konvention zu verinnerlichen.

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