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18. Oktober 2011

Der Zeitgeist damals

Ich las jüngst über den Wandel des Purusha Begriffs im Hinduismus und konnte nicht umhin, die Parallele zu den Begriffen Weltseele und Idee des Guten nach Plotinos' Verständnis derselben zu bemerken.

Nachdem Purusha anfangs Ymir gleich die Substanz symbolisierte, aus welcher die gesamte Welt gemacht ist, lag der Schwerpunkt in der zweiten Phase auf dem Bewußtsein, welches in allen Dingen steckt, mit anderen Worten wurden zu der Zeit Purusha und Brahman eines, Brahman aber ist die Weltseele der Stoiker.

Letztere ist es natürlich auch, welche ich Gott nenne, also das verbindende Element zwischen diesen seinen Ausflüssen, welche wir als individuelle Bewußtsein kennen. Damit haben sich die Menschen zwischen Griechenland und Indien aber nicht begnügt. An jener Stelle sind sie vielmehr dazu übergegangen, das Gott zu nennen, was die Beziehungen zwischen allen Teilen der Welt, Einzelseelen und Weltseele, Einzelseelen und Körper, regelt, ja, auch der Begriff der Seele wurde fortan im doppelte Sinne verwendet, also einmal als Geist und einmal als sein Prinzip.

Mir scheint damit in der Sache wenig gewonnen, einzig daß hinter unserem Willen ein Prinzip steht, welches wir Charakter zu nennen pflegen (ein Begriff, welchen Immanuel Kant 2000 Jahre später wieder auf dieselbe Weise verdoppelt hat), ist von einigem praktischen Interesse. Das göttliche Prinzip verstehen wir eh nicht, und wenn wir beginnen, religiöse Fragen auf diese Weise zu stellen, nimmt es wenig Wunder, wenn sich unsere Gedanken alsbald verwirren sollten.

Mir geht es aber weniger um den blutigen Streit zwischen jenen, welche Gott lebendig denken und jenen, welche auf der Idealität der Unveränderlichkeit beharren, welcher sich seitdem entsponnen hat (auch der lebendige Gott erscheint uns selbstverständlich als wenig veränderlich, sozusagen eingefahren, wenn es uns schon bei alten Bäumen so geht), als vielmehr um die spezielle Richtung, in welcher eine Lösung für das Problem, das Unveränderliche im Veränderlichen zu erkennen, gefunden wurde.

Es ist dies doch gerade der Punkt, an welchem die allgemeine Gültigkeit von Naturgesetzen zum ersten Mal, der Wahrscheinlichkeit nach, postuliert wurde. Der Wille zu einer solchen Beschreibung der Welt war damit da, es fehlte zunächst nur die Mathematik als Werkzeug, genauer gesagt fehlte nicht die Mathematik, sondern lediglich die Erfahrung, daß sie zu diesem Zweck taugt, denn bemerkenswerterweise ging das Interesse an ihr von Anfang an mit just jenem Willen einher, allgemein, nicht nur in einem speziellen Fall, was natürlich, wenn man sich etwas in die Sache hineindenkt, auch wieder nicht so verwunderlich ist, da Mathematik eben genau jene Unveränderlichkeit liefert, an welcher ein Interesse bestand, nur zunächst in Bereichen, welche nichts mit dem Lauf der Welt zu tun haben.

Selbstverständlich läßt sich dies alles auch schlicht unter dem Wunsch, das Leben zu begreifen, subsumieren, aber eine so allgemeine Betrachtungsweise nivelliert den historischen Fortschritt, ja, Durchbruch an dieser Stelle.

Die Moderne ist diesbezüglich etwas selbstvergessen, sie wendet ein Programm an, dessen Motivation sie zwar als Erlebnis kennt, also wie es ist, wenn man erklären kann, wie sich etwas verhält, dessen ursprüngliche Zielsetzung aber, nämlich das Zusammenspiel von Gott, Welt und einzelnem Bewußtsein zu erfassen, ihr nicht nur fremd ist, sondern darüber hinaus ausdrücklich verfemt: religiös steht sie wieder am Anfang, Purusha ist heute wieder Ymir, Substanz.

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