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25. Mai 2012

Die Geister der Lebenden und der Toten

Neben den sich nur alle 15000 Jahre (nicht 10000, wie Platon meinte) erneuernden menschlichen Geistern, deren letzte also vor ungefähr 15000 (Y-DNS Haplogruppe R1a), 30000 (Y-DNS Haplogruppe MNOPS) und 45000 (Y-DNS Haplogruppe F) Jahren in die Welt kamen, gibt es natürlich auch noch den so genannten Zeitgeist, welcher uns als Geist der Epoche bewußt ist.

Ich tauchte gestern Nacht, Dank meinem geistigen Brückenschlag zu Euler und Gauß, in den Geist der europäischen Moderne ein, denn so muß man sie, im Gegensatz zur europäischen Klassik, ja nennen.

Die europäische Klassik, das sind Pythagoras, Parmenides, Platon usw, und die europäische Moderne, das sind Euler, Legendre, Gauß usw. Dazwischen befindet sich das Mittelalter und danach die Endzeit.

Der Geist der europäischen Klassik ist ein Geist der Erkenntnis der menschlichen Seinslage, der Geist des Mittelalters ein Geist des Pflegens und Gedeihen Lassens, der Geist der europäischen Moderne ein Geist der Unternehmung aus Muße und der Geist der Endzeit ein Geist des Leistens.

Die einzige Tugend des Geistes der Endzeit ist die Redlichkeit, sich nichts einzubilden, welche indes leicht in eine allgemeine Anklage des Lebens umschlägt, wenn man die von ihr implizierte totale Sinnlosigkeit des Lebens bedenkt, eine Sinnlosigkeit, welche sich nicht daraus ergibt, daß das Leben in irgendeiner Weise falsch wäre, sondern daraus, daß es überhaupt kein Falsch und Richtig gibt.

Und um es ganz klar zu sagen, jeder, welcher in einer Epoche etwas bedeutet, ist einer der stärksten Streiter im Geiste dieser Epoche, auch und gerade in Kunst und Wissenschaft. Viele hervorragende Wissenschaftler haben wir, wenn man Leistung als Maßstab anlegt, doch als Menschen sind sie nicht mehr als unsere Olympiasieger im 100 Meter Lauf.

Ihr Schaffen ist nicht inhaltlich geleitet, sie trachten einzig danach, sich in Schwierigkeiten zu beweisen.

In der Kunst freilich bedeutet dieses Prinzip Spezialeffekte im Film und sonst nichts. Komikverfilmungen von Superheldengeschichten sind der logische Endpunkt der Kunst der Endzeit.

Es läßt mich erschauern, wenn ich daneben jene halte, welche aus dem Reichtum ihres Privatlebens Anschläge auf Kunst und Wissenschaft unternahmen, das hoffend aufzubringen, was sie im Unbekannten ahnten. Ihre Tugend war die Hingabe an die Zukunft, und nichts kann sie zurückbringen.

Atavismen gibt es immer, aber ein Atavismus kann schon alleine deshalb nicht in seinem Geiste leben, weil ihm immer und überall wie einem Dinosaurier in der Mönkebergstraße begegnet wird, die Attraktion seiner Exotik verschattet ihre Substanz.

Die Menschen im Mittelalter waren noch halbe Götter, Wunder wirkend, Leben gebend. Und die davor ganze, könnte man sagen.

Ging es zwangsläufig bergab? Vielleicht, aber wenn dem so wäre, läge der Zwang in etwas anderem begründet als dem Potential. Das Potential hat stets zugenommen, nur mit seiner Direktion ging es beständig bergab. Die Krankheit des Geistes ist eine Krankheit der Orientierung in überbordenden Möglichkeiten.

Man kann es auch so sagen. Anfangs gab es nur die Idee, dann ihr Geschöpf, dann erkannte das Geschöpf seine geschichtliche Rolle und schließlich seine wirtschaftliche, zunächst seinen Wert als Initiator, dann seinen Wert als Motor, und indem es sich so der bloßen Fortführung verschieb, wurde es gänzlich geistlos.

Aber Fortführung ist das Gebot der Stunde, das, was die Heutigen mit Zähnen und Klauen verteidigen werden, es sei denn, man erschlüge sie. So vieles liegt angebrochen vor uns, daß es subjektiv fortgeführt werden will. Objektiv hingegen ist es längst belanglos geworden. Wichtiger als die Gegenstände, mit denen sich Menschen beschäftigen, ist die Bedeutung dieser Beschäftigung für sie selbst.

Nicht nur die Welt, auch der Mensch will geformt sein. Und indem das Leben für ihn zu reiner Leistung verkommt, sinkt er auf die Stufe eines seiner Organe, des Herzens, hinab. Nicht so will ihn Gott. Nicht so wird Gott ihn leben lassen.

Gott gibt allen Menschen die Antwort auf ihr Streben, führt sie an den Ort seiner Erfüllung oder stößt sie in den Abgrund, welcher jenen vorbehalten ist, deren Streben fehl ging. Das tut er, weil ihr Streben unentreißbar in ihnen steckt, die Welt ist aus den Manifestationen der Ideen gebaut, deshalb vollzieht sich alles in ihr durch ihre Manifestationen, und somit muß auch alles Herrliche und Schreckliche Manifestationen treffen, welche für sich betrachtet kaum Wert scheinen, daß ihnen solche Größe im Guten wie im Schlechten zukommt.

Dies gilt für die Manifestationen allen Lebenswillens, nicht für mich.

Mein Leben ward früh zum Opfer der Offenbarung, den Schleier von der Welt zu reißen und zu ermessen, was in ihr ist, denn was zählt mein Leben schon im Vergleich zu ihm?

Nichts.

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