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26. Juni 2013

Der Lebenszyklus des Betens

Ich habe mich in mehreren vorangegangenen Beiträgen mit der Frage nach der rechten Rolle der Transzendenz in zukünftigen Gesellschaften herumgeschlagen, ohne eindeutige Antworten gefunden zu haben, also etwa in den Beiträgen Über die transzendenten Anteile an Glauben und zuletzt, die Grenzen des Gegenstandes hervorhebend, Von Wesen und Möglichkeit des Wesentlichen.

Meine Schwierigkeiten in dieser Angelegenheit rühren daher, daß hier etwas ausgesprochen Eigenartiges begegnet, welches, wenn man es durch die begriffliche Brille betrachtet, geradezu unmöglich scheint, nämlich daß wir transzendente Akte vorsätzlich einleiten können, ohne uns ihrer bewußt zu sein.

Nein, das ist nicht widersprüchlich, es scheint nur so, zum Vergleich bedenke man Erektionen oder, falls Sie sich Ihres Eregierens bewußt sein sollten, Trunkenheit.

So ist es also auch mit den transzendenten Akten, oder jedenfalls denen des materiellen Zykels, als welche für den Zustand einer Gesellschaft in jedem Sinne die grundlegendste Bedeutung haben.

Es gibt nämlich altersspezifische Formen des Betens, abhängig davon, in welcher Phase des Zykels der Lust wir uns befinden; ich verweise dazu noch einmal auf den Beitrag Zykel der Lust musikalisch ausgedrückt, wobei, wie gesagt, nicht jeder Song eindeutig zuordenbar ist und Stop to Love etwa auch sexuelle Elemente enthält.

Die altersspezifischen Formen des Betens also sind.
  • Hoffnung: Flehen,
  • Vertrauen: Glücksspiel,
  • Gewahrsein: Entziehen,
  • Genuß: Glücksrittertum,
  • Sexualität: Tagträumen,
  • Schmerz: Segnen.
Flehen. Beim Flehen geht es darum, unbeschadet durch eine Situation zu kommen, welche außerhalb des eigenen Verständnisses liegt.

Glücksspiel. Beim Glücksspiel geht es um einzelne, vom eigenen Schicksal losgelöste Anschläge auf die Welt, darum, herauszufinden, was man kann, unter welchen Umständen man sich durchzusetzen vermag. Die Welt ist auch hier noch fremd, aber man beginnt, einen Zugriff auf sie zu finden.

Entziehen. Beim Entziehen geht es darum, die Grenze zwischen sich und der Welt in Richtung auf sich undurchlässig zu machen. Die Welt ist hier zum ersten Mal nicht mehr bestimmend und zum letzten noch nicht bestimmt.

Glücksrittertum. Beim Glücksrittertum geht es im Gegensatz zum Glücksspiel darum, sich mit seiner ganzen Person in die Schlacht zu werfen und sein Glück zu versuchen.

Tagträumen. Beim Tagträumen geht es um Dinge, welche nicht direkt begrüßenswert sind, hier hat der Betende bereits alle Selbstdisziplin verloren und unterwirft die Welt seiner Willkür.

Segnen. Das Segnen entspricht dem Zurücksetzen des materiellen Zykels und ist als solches bereits beschrieben worden.

Jeder geht durch diese Phasen, wenngleich sich nicht jeder gleich lange in ihnen aufhält. Ringende, oder auch Erregte, Sanguiniker, beispielsweise sind recht schnell durch die ersten drei durch und verbringen den Großteil ihres Lebens in der vierten und fünften, was der konkrete Grund für ihre geringere soziale Verwertbarkeit ist.

Ich selbst befinde mich zur Zeit irgendwo zwischen Glücksspiel und Entziehen, es sieht bisher in etwa so aus: Flehen bis 24, Glücksspiel bis 36, Grenzen eher niedriger veranschlagt.

Nun, damit ist nun endlich der Stoff vorhanden, um mich in sinnvoller Weise mit der Frage nach der rechten Rolle der Transzendenz in zukünftigen Gesellschaften zu beschäftigen.

Zum ersten ist Beten im obigen Sinne allgemein anzuraten, das heißt, die Gesellschaft sollte sich bemühen, die unterschiedlichen Formen in ihren Mitgliedern anzustoßen. Zum zweiten, zur Gewichtung, Flehen und Segnen erfährt im christlichen Glauben, wie er heute gelebt wird, die richtige Gewichtung, Glücksspiel, Entziehen und Glücksrittertum werden vernachlässigt und Tagträumen wird zwar nicht von den Christen übertrieben, sehr wohl aber von unserer Gesellschaft insgesamt.

Was letztere angeht, in ihr hat das Glücksspiel wohl das richtige Gewicht, etwa in Form von Mutproben und Wettkämpfen, Entziehen und Glücksrittertum werden aber auch von ihr vernachlässigt, um Flehen und Segnen kümmert sie sich nicht, das ist allgemein anerkannt christlicher Zuständigkeitsbereich.

Anleitungen zum Entziehen kann man generell in Asien finden, Glücksrittertum erfordert einen Umbau der Wirtschaft, wenn es nicht zur Scharade werden soll. In unserer Wirtschaftsform gibt es keinen Platz für persönliche Prägung, weil es keine wirtschaftliche Grundsicherheit gibt, mithin wirtschaftlicher Erfolg eine Frage von Leben und Tod ist und entsprechend die ganze Wirtschaft naturgemäß dem Flehen verhaftet ist, was der einzelne Glücksritter schon beizeiten lernte. Nun gut, es gibt Ausnahmen, aber es sind Ausnahmen.

Und daran ändert auch Sozialhilfe nichts, da sie eine Welt außerhalb der Wirtschaft darstellt, welche keinen Einfluß auf letztere nimmt, jedenfalls keinen erleichternden Einfluß, es ist sogar umgekehrt, je mehr sie anwächst, desto mehr wird die Wirtschaft zu einer Frage des Überlebens, desto kleiner werden ihre Spielräume.

Würde hingegen wirtschaftliche Grundsicherheit bestehen, und sie bestünde durch Teilhabe an Produktionsanlagen, arbeiten müßte man schon selbst, so gäbe es wahrscheinlicherweise auch alltägliche Gelegenheiten zur persönlichen Prägung der lokalen Wirtschaft.

Formen, dies zu verwirklichen, gibt es viele, insbesondere, wenn man informale hinzuzählt. Aber wie auch immer das geregelt wird, das Volk selbst muß den Anspruch auf seine selbstbestimmte wirtschaftliche Einbindung stellen. Ist es dazu nicht fähig, handelt es sich um eine bloße Ansammlung von Sklaven, für welche niemand Verantwortung übernimmt.

Konkret unterscheiden sich diese Formen, wie schon zuvor beschrieben, in erster Linie dadurch, ob die Bereitstellung der Produktionsanlagen öffentlich oder privat erfolgt. Ja, letzteres ist auch möglich, setzt aber Neigung dazu voraus - und eine Machtkonstellation, welche es begünstigt, üblicherweise einen Gegensatz zwischen verschiedenen Fraktionen, welche ihre Produktionsanlagen bereitwillig zur Verfügung stellen, um ihre Stärke im Vergleich zu den anderen zu wahren.

So verhält es sich für gewöhnlich bei von Achtenden, oder auch Leistungserwartenden, dominierten Gesellschaften. Dominieren hingegen Versuchende, oder auch Umgangserwartende, so findet eine solche Fraktionierung nicht statt, stattdessen wird die Gesellschaft von einer Vorstellung von Bürgerpflichten beherrscht, welche mit entsprechenden Bürgerrechten einhergehen, und zwar Rechten auf Teilhabe.

Dies liegt auch ganz offen zu Tage, und Universalismen, welche noch immer Partikularismen sind, weil es keine universelle Form gibt, sind nichts weiter als Verbrechen an der Natur anderer, und damit letzten Endes gotteslästerlich.

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