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9. Juni 2013

Zu den Grenzen der Zuständigkeit einer Kirche

Im Laufe der letzten Filmbesprechung bin ich auf die Frage nach der Rechtfertigung der Kontrolle von Glauben gestoßen, welche der Klarheit halber verdient, eigens behandelt zu werden.

Wie ich bereits mehrmals betont habe, kann eine Gesellschaft nur dann bestehen, wenn sie in einem Glauben verbunden ist. Dieser Glaube mag sich für verschiedene Teile der Gesellschaft auffächern, etwa wie der Hinduismus für die verschiedenen Kasten oder im Falle des Finanzsektors im mittelalterlichen Europa, aber der Vielfalt der Auffächerung muß ein innewohnendes, verbindendes Konzept zu Grunde liegen, wie es beispielsweise im Mittelalter durch die Drei Schwüre gegeben war.

Das heißt nun aber nicht, daß eine Kirche sich darauf berufen könnte, um den eigenen Glauben zur staatstragenden Notwendigkeit zu machen, denn das ist nicht ihre Angelegenheit. Es ist die Angelegenheit der Gesellschaft, sich in Glaubensfragen um Einigkeit zu bemühen. Die Angelegenheit der Kirche ist es, die weltliche Verwirklichung des Glaubens zu überwachen, und das fängt mit der Frage der Ketzerei an.

Was ist Ketzerei?

Wenn jemand sagt, er glaube, daß Gott wolle, daß er dieses und jenes tue, so hat die Kirche keinerlei Recht, ihn daran zu hindern. Fragen der Ketzerei entstehen hingegen, wenn einer sagt, er glaube, daß eine bestimmte Passage der Bibel von ihrem Autor nur so gemeint sein könne und nicht anders, nicht, weil Gott es nur so gemeint haben kann, sondern weil es nicht zum Autor passen würde, es anders gemeint zu haben.

Ein Beispiel. μακαριοι οι πτωχοι τω πνευματι.

Dies sei zu verstehen wie Psalm 51, Vers 19. Was ich nicht recht glauben kann, da arm und geängstet und zerschlagen einfach nicht dasselbe sind. Dabei geht es nicht um den Inhalt, sondern um die Form. In parallelen Stellen heißt es wütend im Geiste oder traurig. Nun ja, das sind ja auch alles Begriffe, welche Geisteszustände ausdrücken: geängstet, zerschlagen, wütend, traurig und wir könnten fortsetzen: froh, versucht, beschämt, hoffend. Aber wir können nicht fortsetzen: gelb, nass, arm, reich. Jedenfalls traue ich den alten Griechen einen solchen Frevel nicht zu.

Es geht nicht um den Inhalt, Psalm 51, Vers 19: Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstet und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten. unterschreibe ich sofort, das ist die Essenz meiner Auslassungen zur Transzendenz, es geht darum, daß es Matthäus keine Schwierigkeiten bereitet hätte zu schreiben: Gesegnet sind die Verzweifelten im Geiste, wenn er das gemeint hätte.

Die zitierte Stelle ist also als Im Geiste gesegnet sind die Armen. zu verstehen, und dazu Stellung zu beziehen, liegt im Verantwortungsbereich einer Kirche.

Übrigens ist dies ein Prüfstein für die begriffliche Klarheit, welche einer besitzt. Arm im Geiste bedeutet per se schlicht nichts. Man muß dem vielmehr eine Bedeutung geben: ungebildet, dumm, verzweifelt, sich vorstellend, ärmer zu sein, als man ist oder dergleichen mehr. Daß auf diese Weise dann am Ende nicht: Gesegnet sind die Geizigen. herauskommt, ist reine Glückssache.

Dieses Beispiel ist bezeichnend, man streitet um des Kaisers Bart und macht sich zum Ketzer, ohne daß man unterschiedliche Glaubensvorstellungen hätte - ein Problem aller Normierung, welche indes ein notwendiges Übel darstellt.

Gut, und nachdem die Kirche sich also um ihre öffentliche Positionierung durch den ihr zu Grunde liegenden Glaubenstext gekümmert hat, hat sie sich in der Folge auch um die Form seiner Befolgung zu kümmern.

Teilen die Menschen den Glauben der Kirche, so übernimmt sie derart die höchste gesellschaftliche Verantwortung für sie, wenden sie sich mehrheitlich einem anderen Glauben zu, so geht diese Verantwortung auf einen Orden jenes Glaubens über - das prophezeite Scheitern des die katholische Kirche beerbt habenden Ordens behandelte ich ja schon, wahrlich keine schöne Sache, und dessen sollte man sich klar sein.

Übrigens sollten unterschiedliche Glauben sich über ihr Verhältnis zu einander im Klaren sein, also ob sie einen anderen Glauben mehr als lokale Anpassung der eigenen höchsten Ideen betrachten und entsprechend keine Missionierungsversuche in seine Richtung unternehmen, es sei denn außerhalb der Zone der Anpassung, oder ob sie in einem Glauben einen Anachronismus erkennen oder gar eine fatale Verirrung.

Im letzteren Fall dürften sie unter Umständen auch Gewalt anraten, aber nicht befehlen oder auf sonstige Weise erzwingen. Es muß die freie Gewissensentscheidung der Gläubigen bleiben.

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