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14. April 2014

Gemeinschaftskulturen

Um es gleich vorweg zu sagen, die Überschrift meint keine Kulturen, welche die Gemeinschaft in den Vordergrund stellen, sondern unterschiedliche Kulturen der Gemeinschaftsbildung.

Und als zweite Vorbemerkung sei gesagt, daß man aus dem Charakter eines Volkes immer nur Tendenzen zu konkreten Gemeinschaftskulturen ableiten kann. Wer den Charakter eines Volkes versteht, weiß, was sich mit ihm machen läßt, das heißt, welche Unterstützung er für und welche Widerstände er gegen seine Pläne zu erwarten hat.

Doch reden wir nun von den realexistierenden europäischen Gemeinschaftskulturen.

Schwer fällt es nicht, da Gemeinschaftskulturen naturgemäß offenherzig sind. Sie könnten ja gar keine Kulturen, Gemeinschaften zu bilden, sein, wenn sie nicht Jedem unmißverständlich bedeuten würden, was sie von ihm im Rahmen der Gemeinschaftsbildung erwarten.

Beginnen wir mit der dominanten Kultur heute, der amerikanischen, denn ich wurde durch einen virtuellen Trip nach Portsmouth, Rhode Island, via Google Streetview auf das Thema gestoßen. Wenn man sich all die gepflegten Gärten da ansieht, picobello und gleichzeitig lässig, fast kulissenhaft, jedenfalls auf individuellen Nutzen verzichtend, keine Obstbäume, nichts, was einem potentiellen Käufer mißfallen könnte, irgendeinen nicht zum Standard gehörenden Zeitaufwand verursachen könnte, im Grunde alle gleich, dieselbe Idee des perfekten Anwesens an der Küste verwirklichend, wenn man so will ein Dorf der Glücklichen, in welches stets neue Familien zu Besuch kommen, so wird einem überdeutlich, daß örtliche Gemeinschaft der amerikanischen Kultur nichts bedeutet. Nachbarschaftshilfe gibt es wohl, aber sie ist eine geradezu professionelle Angelegenheit.

Die Hoffnungen der Menschen richten sich auf Entlegeneres. Die Nachbarn, das sind Leute, welche denselben Geschmack haben, was das Lebensgefühl angeht. Oder jedenfalls ist das die Sicht, welche die Kultur den Menschen vermittelt.

Ich würde die amerikanische Gemeinschaftskultur also eine Verschlagungskultur nennen, es verschlägt einen irgendwohin. Halt finden die Leute in einer solchen Kultur bei der Arbeit, entweder beim Staat oder in einem privaten Betrieb. Und jedenfalls in Amerika gehört es ebenfalls zu dieser Kultur, ständig Rollen zu spielen, seit bald zwei Jahrzehnten selbst im privaten Bereich.

Die Ursprünge dieser Kultur liegen in der Reformation und der ungelenkten Bedarfsdeckung, siehe dazu eine ganze Reihe von Beiträgen, welche ich zuletzt schrieb, sowie den Beitrag Touristen. Und sie findet sich entsprechend im nicht-katholischen Bereich Westeuropas, wiewohl nicht überall so konsequent wie in Amerika.

Gehen wir nun, nicht länger als nötig, die übrigen wesentlichen Gemeinschaftskulturen Europas durch, um schließlich zu meinem eigenen Ideal zu kommen.

Der katholische Bereich Westeuropas wird von einer Kultur geprägt, welche auf gefügte Strukturen Rücksicht nimmt, das heißt, es wird allgemein akzeptiert, daß bestimmte Einzelpersonen lokale Institutionen sind. Die Hoffnung der Menschen gilt bis zu einem gewissen Grade zwar auch dem Staat, in Frankreich mehr als sonstwo, hängt aber auch sehr an den Fähigkeiten Einzelner, welchen man die Wahrung der Traditionen anvertraut. Ich möchte diese Gemeinschaftskultur also eine personalinstitutionale Kultur nennen.

Die Situation im Südosten Europas ist in gewisser Weise ähnlich, etwa in Griechenland, nur daß die angesehenen Einzelpersonen dort keinen institutionalen Pflichten nachkommen müssen, es sind schlicht große Männer, so daß ich diese Gemeinschaftskultur als autokratische Kultur bezeichnen möchte.

Bleibt Osteuropa. Die osteuropäische Gemeinschaftskultur unterscheidet sich deutlich von den vorangegangenen. Es gibt eine lokale Verwurzelung, die Menschen fühlen sich in ihren Gemeinden wohl und zu Hause, aber dies hat nichts mit einzelnen lokalen Persönlichkeiten zu tun. Im Gegenteil, es besteht stets der Argwohn, daß eine solche Persönlichkeit ein Autokrat sein könnte, welchen man nicht in seiner Nähe haben will, entsprechend gibt es auch keine Personen, welche lokale Institutionen sind, sondern eine improvisierte Verteilung der Aufgaben lokaler Institutionen auf die Gemeinde. Um es auf den Punkt zu bringen, die osteuropäische Gemeinschaftskultur ist eine Pächterkultur von Leuten, welche stets befürchten, ihnen könnte der Pachtvertrag gekündigt werden.

Damit wären jedenfalls die größeren realexistierenden europäischen Gemeinschaftskulturen behandelt.

Nun, mein Ideal hat schon etwas mit Verdiensten zu tun, aber mich schreckt die Starre der katholischen Welt. Etwas müßte aus der Gemeinde erwachsen können, ohne ihr Wesen zu ändern. Institution sollte nicht das sein, auf was man sich stützt, sondern das, was jenes hervorbringt. Der Stolz der Menschen sollte nicht der Ausführung einer Arbeit gelten, sondern ihrer Planung. Die Gemeinschaft sollte in allem die Vorläufigkeit ihrer Werke und die Kontinuität ihrer Ideen betonen, und zwar bei deutlich erkennbarer heimatlicher Verwurzelung, das heißt lokale Traditionen respektierend: Jeder kann sich seiner eigenen Errungenschaften sicher sein, weil jeder zugleich dem anderen entgegenkommt.

Als Leitgedanke gefällt mir die ewige Gründung in seiner ganzen Doppeldeutigkeit, daß es eine Gründung ist, welche ewig dauert, ebenso wie, daß in Ewigkeit neu gegründet wird.

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