Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

24. Oktober 2014

Vom Vorrang Gottes

Spiegel Online porträtiert seit einiger Zeit den Islamischen Staat, Leben, Menschen, Sitten, Ideologie, man könnte fast sagen, daß er viele Lichtjahre von jedem Königshaus entfernt in Galaxien vordringt, die nie eine Illustrierte zuvor gesehen hat.

Zuletzt ein Streitgespräch mit einem Rekrutierer des Islamischen Staats.

Wie wirkte es auf mich?

Ehrlich gesagt hat es mich sehr an meine Schulzeit erinnert, denn Hasnain Kazim bringt es fertigt, die Attitüde der typischen Deutschlehrerin exakt zu treffen: Ihm gegenüber der trotzige Pubertierende, über welchen man natürlich den Kopf schütteln muß, dessen rebellischer Geist andererseits aber auch unzweifelhaft ergötzlich ist, welcher mit einiger Souveränität an die Grundlage des Gesellschaftsvertrags herangeführt wird.

Der Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß man die ganze Geschichte beim Spiegel auch gerade deswegen so locker nimmt: Die Diskussion ist sattsam bekannt - und ihr Ausgang auch.

Ich will hier indes nicht weiter auf die Gefahren der Verniedlichung der Wirklichkeit eingehen, welche im vorliegenden Fall aus der völlig unkritischen Übernahme der Vorstellung einer jugendlichen Protestbewegung heraus entstehen: Freilich kann man mit Jugendlichen über alles reden, aber andererseits lassen sich Jugendliche, wie die Geschichte bereits etliche Male bewiesen hat, auch erfolgreich als Axt im Walde einspannen, und dabei kommt es einzig auf die Ziele dessen an, welcher sich ihrer bemächtigt.

Daß diese Art der Porträtierung der Propaganda des Islamischen Staats entgegenwirkt, mag schon sein, allerdings wohl in erster Linie bei Leuten, welche nicht zu seiner Zielgruppe gehören. Hingegen vermute ich ausnahmsweise mal keine sinistren Motive beim Spiegel, sondern wie schon erwähnt Leichtfertigtkeit.

Denn, um mich hiermit dem Thema dieses Beitrags zu nähern, der Spiegel sieht den Islamischen Staat offenbar durch die Linse der moralischen Befreiung, also des Zurückweichens der Sorge vor der Lust.

Und damit hat er auf gewisse Weise natürlich auch Recht, denn die Annahme stimmt, daß der Islamische Staat, unabhängig davon, was der einzelne Anhänger auch denken und fühlen mag, insgesamt zwangsläufig zu einer Entwurzelung der Umma beiträgt.

Allerdings, was das weitere angeht, daß nach der Loslösung von der Tradition zwangsläufig der Vorrang der individuellen Wünsche heraufzieht, da, denke ich, irrt sich der Spiegel.

Dieser Vorrang setzt nämlich voraus, daß die Gemeinschaft in ihrer individuellen Fokussiertheit eine heilsgeschichtlich relevante Phase erblickt.

Diese Dinge sind untrennbar mit einander verbunden. Der Glaube will gefunden werden, dann in eine Gesellschaftsform übersetzt und schließlich persönlich gelebt.

Das ist immer so, aber dabei ist der private Glaube vom gemeinschaftlichen zu unterscheiden. Der private interessiert hier nicht weiter, und was den gemeinschaftlichen angeht, so macht es einen sehr großen Unterschied, ob er auf Entdeckung zielt oder auf Schlichtung, ich verweise dazu auf Gemeinschaftsstiftende Erzählungen.

Der Glaube, welcher das Reich Gottes entdecken will, meint irgendwann, die zu ihm gehörenden Institutionen gefunden zu haben, und drängt fortan in die Verbesserung des Verhältnisses des Einzelnen zur Welt, heute also längeres Leben, weniger Arbeit und so weiter.

Das ist zwangsläufig so, wiewohl die spezielle Vorstellung des Paradieses nicht feststeht. Aber was durchaus feststeht, ist daß das Paradies nicht an einem Tag erbaut werden kann. Und daraus ergibt sich die heilsgeschichtliche Relevanz der auf das Individuelle fokussierten Phase.

Wo hingegen der gemeinschaftliche Glaube auf die Schlichtung von Gegensätzen verschiedener Gelüste abzielt, steht die persönliche Entwicklung im Vordergrund, während die Gesellschaft gerade zu dem Grad gedeiht, zu welchem ihre Mitglieder ihren Glauben erfolgreich persönlich entwickeln.

Um das vielleicht etwas prägnanter zu sagen: Ein Moslem arbeitet nicht auf das Paradies hin, wenn er etwas paradiesisches sieht, nimmt er es sich einfach. Und weil das so ist, bedeutet das Zurückweichen der Sorge vor der Lust immer Plünderung, Verarmung, Sorgen für die Umma.

In dem Zusammenhang möchte ich hier auch noch auf den Beitrag Zeit und Klima verweisen. Wir befinden uns gerade im Herbst, der Zeit der Ernte, welchen es im arabischen Raum gar nicht gibt. Da gibt es nur Regen und Dürre.

Man verzeihe die Weitschweifigkeit, aber es nunmal leicht, mit knappen Worten scheinbare Gewißheiten wachzukitzeln, deren Zurechtweisung einen weiteren Horizont erfordert.

Die Behauptung, daß der Einzelne das Recht habe, seine eigenen Wünsche in den Mittelpunkt zu stellen, ist also bedingt richtig. Wenn der Glaube auf die Entdeckung des Himmelreiches zielt und gesamtgesellschaftlich die persönliche Phase erreicht hat, dann entspricht es Gottes Willen, daß der Teufel, wie es heißt, für eine kleine Weile loskommt.

In den übrigen Phasen desselben Glaubens entspricht es Gottes Willen nicht. Und was die übrigen Glauben angeht, dem Glauben an die Schlichtung zwischen gegensätzlichen Gelüsten entspricht es nie und dem Glauben an den Zwang des himmlischen Gesetzes auch nur zu bestimmten Zeiten, Dschingis Khan etc., wiewohl es in dem Falle kein allgemeines Menschenrecht ist, sondern das Recht einzelner Erwählter.

Man soll sich also nicht irren, nichts geschieht auf der Welt, welches Gott nicht so bestimmt hat, und weil er für Verschiedene Verschiedenes bestimmt hat, kann es zu Konflikten kommen, wenn den Betroffenen nicht Gottes persönliche Führung dabei bewußt ist. Ist sie es ihnen aber, werden sie sich nicht in jene verstricken.

Es führt zu weit, dies im Einzelnen auszuführen, aber es stimmt, denn was Gott bestimmt, ist alleine dadurch für den angemessen, für welchen er es bestimmt hat, und menschliche Eitelkeit allein führt auf Abwege.

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