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27. Dezember 2014

Inspirationsverschiebungen

Ich möchte an dieser Stelle endlich einige Redeweisen klären, welche ich arg lange ausschließlich evozierend verwendet habe.

Beginnen wir mit der Inspiration als solcher. Es handelt sich bei ihr meiner Einschätzung nach nicht um einen Ausfluß individuellen Wollens, sondern um einen der Welt inhärenten Geist, wobei ich nicht sage, daß der Welt stets nur ein Geist inhärent sei, welcher das Denken dessen, welcher sich ihm öffnet, beflügelt, wobei dieses Öffnen einerseits vom individuellen Willen des Sich-Öffnenden und andererseits von den Umständen, in welchen er sich befindet, abhängt.

Wäre es anders, wie erklärte es sich dann, daß man ein Mal mit Melodien überfließt und ein ander Mal nichts zu Stande bringt?

Gut, man friert auch ein Mal und ein ander Mal nicht. Aber man kann sich jederzeit vorstellen zu frieren.

Es kommt also spürbar etwas in einen hinein, welches hervorzubringen nicht Teil des eigenen Besinnens ist. Genauer gesagt handelt es sich dabei um Einsichten einer oder der anderen Art, etwa daß eine Melodie ein bestimmtes Empfinden ausdrücke.

Natürlich gibt es Einsichten, etwa daß 1 + 1 = 2 ist, welche sich zuverlässig einstellen, wenn man sich nach ihnen fragt, aber fragen, also öffnen, muß man sich. Und selbst an diesem Beispiel kann man erkennen, daß es unmöglich ist, Einsichten zu erinnern. Man kann sich erinnern, einen mathematischen Beweis geführt zu haben, man kann sich an seine Stationen erinnern, aber nicht an die Einsichten, aus welchen seine Beweiskraft strömt. Und so ist es auch mit einer Melodie. An sie selbst kann man sich erinnern, auch an die Gefühle, welche sie wachruft, nicht aber an den Grund dieses Wachrufens, die Kraft, welche Töne und Gefühle zusammenzwingt.

Wenn sich also Inspiration verschiebt, muß sich die Art der Einsichten, welche einen ausfüllen, ändern.

Das Zeitalter der Werke sei der Inspiration durch das Schöne geschuldet, sagte ich.

An welcher Art Einsichten zeigt sich Schönheit?

An der Reflexion der Verhältnisse der Wirklichkeit, an der Reflexion der Verhältnisse der äußeren Welt.

Besteht diese Erklärung eine genauere Betrachtung?

Die Schönheit einer Melodie besteht nicht darin, daß sie überhaupt Gefühle wachruft, sondern in der Angemessenheit dieser Gefühle einer bestimmten Lage gegenüber. Man blickt auf die Lage, dann auf die Gefühle, und man befindet, daß das Verhalten, welches das Gemisch der wachgerufenen Gefühle in sich birgt, der Lage angemessen ist.

Mit anderen Worten besteht die Schönheit einer Melodie in der Ethik, welche den von ihr wachgerufenen Gefühlen entspricht.

Aber diese Ethik ist eine spezielle Ethik, es sind auch andere Ansätze denkbar, ethisch ist nach ihr, was sich für den Einzelnen in seiner Lage am besten anfühlt, und nicht, welches Verhalten den Einzelnen insgesamt am besten bekommt, wenn alle es aufgreifen.

Also nochmal, die Schönheit einer Melodie besteht aus der Gehobenheit der individuellen Stimmung, welche sich aus der Haltung, welche den von der Melodie wachgerufenen Gefühle entspricht, in einer bestimmten Lage ergibt.

Aber in wiefern ist dieser Ansatz äußerlich zu nennen?

Nun, ich denke schon, daß er es auf gewisse Weise ist. Er nimmt die Lage, und er nimmt den Menschen, und er fragt, welches das ideale Verhältnis zwischen beiden sei. Er nimmt keine tiefere Verbindung zwischen beiden an. Die Lage ist, wie sie ist, und der Mensch ist, wie er ist, und es bleibt einzig das Glied zu finden, welches sie ins bestmögliche Verhältnis zu einander setzt, nämlich die Haltung, mit welcher der Mensch der Lage begegnet.

Es wird, wenn man so will, der beste Mensch unter den bestehenden Umständen gesucht, ebenso wie man das beste Werkzeug für einen bestimmten Zweck suchte oder die beste Bepflanzung eines Stück Bodens.

In allen Fällen ist das Schöne durch das Gefallen an den Auswirkungen von in einem bestimmten Verhältnis zu einander stehenden Wirkungen gegeben, der Sanddorn gedeiht im Sand, der Spalthammer spaltet das Holz, die eigene Haltung wird der Lage Herr.

Halten wir fest:
  • Das Schöne bezieht sich auf die Einsicht von Auswirkungen.
Und ein Zeitalter, welches dieser Inspiration folgt, konvergiert inhärent gegen einen statischen Zustand maximaler Schönheit, mehr ist an dieser Stelle nicht dazu zu sagen.

Worauf kann sich Einsicht noch richten außer Auswirkungen?

Oder, was gleichbedeutend damit ist, wann sprechen wir nicht von Auswirkungen?

Wenn einem Entschluß etwas zu tun, Taten folgen, so nennen wir das wohl anders. Aber was läßt sich daran einsehen?

Die eigene Verantwortlichkeit. Interessant wird das natürlich nur, wo einem gar nicht klar war, daß man etwas tun kann, also in den transzendenten Akten, im Gebet. Dabei verläuft der Prozeß der Einsicht wie folgt.
  1. Man bemerkt einen Teil des eigenen Wollens, welcher sich nicht auszudrücken vermag.
  2. Man rückt diesen Teil ins eigene Bewußtsein und erlaubt es ihm, das eigene Schicksal zu bestimmen, sei es durch Unterwerfung oder Auslieferung, man entschließt sich zu der ihm innewohnenden Tat.
  3. Man beobachtet, welche Folgen das hat.
Wir erhalten somit:
  • Das Wesentliche bezieht sich als Gefallen auf die Einsicht von Verantwortlichkeit.
Der Mensch will halt nicht nur in einer schönen Welt leben, sondern auch für die Umstände seines Lebens verantwortlich sein. Der tiefere Witz an dieser Banalität ist, daß das Streben nach paradiesischen Zuständen die Verantwortung des jeweils anderen Einzelnen aufhebt, da jede schöne Auswirkung auf immer gleichen Wirkungen beruht.

Wollen in der voranstehenden Erklärung äußert sich natürlich durch Gefühle, zum Teil sehr vage. Und ein spezielles Gefühl ist es, für nichts verantwortlich zu sein, oder gleichbedeutend damit, daß nichts am eigenen Leben wesentlich sei. Und selbstverständlich zwingt einen materieller Determinismus, wenn man ihn geistig durchdringt, in dieses Gefühl. Es kommt dann also zu der reinsten Form der Suche nach Verantwortung, nämlich der Verantwortung um der Verantwortung willen.

Auf diese Weise schafft ein Zeitalter durch die ihm ureigene Weltsicht den nötigen Leidensdruck, um das nächste in Schwung zu bringen. Und auch, muß ich zugeben, die nötige Befriedigung, um nicht in den ersten schweren Tagen abtrünnig zu werden.

Was nun die Dynamik des Zeitalters der Wunder angeht, so beruht sie offenbar darauf, Willen zu finden und andere ihn finden zu lassen, um ihn wirklich werden zu lassen. Und was an seinem Anfang stand, die Verantwortung um der Verantwortung willen, ist zugleich ein Menetekel für sein Ende, ebenso wie es das Paradies für das Zeitalter der Werke ist.

Wichtig ist aber, so wie der heilige Geist zur Schönheit inspirieren kann, kann er auch zur Wesentlichkeit inspirieren, und um dies etwas mit Leben zu füllen, habe ich die letzten Beiträge über die Weite des Gewölbes und das Wasser des Lebens geschrieben, wiewohl mir selbst diese Inspiration eher fremd ist. Ich taufe mit Wasser, er mit Geist, erkennen, indes, würde ich ihn.

Gut, kommen wir nun zur dritten Art Einsicht, welche es nach dem vorangegangenen geben muß. Ich tat zuletzt stets so, als wüßte ich darüber kaum etwas zu sagen. Nun ja, ich war halt faul und lyrisch gestimmt. Ich habe dazu nämlich schon sehr viel gesagt, und zwar im Beitrag Gedanken zum Gegensatz zwischen Menschensohn und Götterhimmel.

Zunächst ein paar Bemerkungen zu diesem Beitrag.

Der Verfall des Götterhimmels, welchen ich dort angesprochen habe, und welcher ja auch historisch belegt ist, fällt, denke ich, nicht in die Zeit seiner größten Blüte, wie ich es in jenem Beitrag dargestellt habe, sondern vielmehr in die Anfangszeit des nächsten Zeitalters, in welchem sich einige halt noch nicht von den Traditionen des letzten gelöst haben, und nun ohne innere Anleitung an ihnen fortstricken.

Auch ist der Menschensohn wohl nie als restaurative Maßnahme gemeint gewesen. Der Unterschied zwischen der Ethik des Zeitalters der Wacht und der Ethik des Zeitalters der Werke ist weit fundamentaler, als ich es dort beschrieben habe, und was ich als Verderben des Glaubens an den Menschensohn bezeichnet habe, war von Anfang an ein Teil von ihm.

Gut, dennoch ist der genannte Beitrag ein willkommener Einstieg, um uns der Ethik des Zeitalters der Wacht zu nähern.

Die Unterwerfung unter einen Gott des Götterhimmels bedeutet, ein ethisch vollkommenes Muster auf sich zu übertragen, wobei, das liegt im Wesen der Sache, dies mit der Unterwerfung unter ein bestimmtes Gefühl zusammenfällt.

Bevor dies geschehen kann, müssen die Haltungen, welche den bestimmenden Gefühlen entsprechen, natürlich hinreichend genau studiert worden sein. Doch ist dies wohl nichts, was erst im Zeitalter der Wacht zu vollbringen wäre, da das nämliche Wissen bereits am Ende des Zeitalters der Wunder vorhanden sein sollte.

Was indes im Zeitalter der Wacht zu erforschen ist, worin seine Ethik liegt, und die Einsichten, an welchen sich das es inspirierende Gefallen entzündet, sind die Lagen, in welchen es sich dem einen oder dem anderen Gott des Götterhimmels zu unterwerfen gilt.

Dabei geht es nicht um die eigene Stimmung, welche sich mit der zugehörigen Haltung einstellt, denn nach dem Zeitalter der Wunder ist die eigene Stimmung bei diesen Unterwerfungen stets vollendet, da die Abwendung des ansonsten anstehenden Unheils im Mittelpunkt steht, sondern es geht um die weitere Entwicklung des Schicksals, welche aufmerksam, und über viele Jahre hinweg, studiert werden muß.

Es verhält sich damit also so:
  • Das Mächtige bezieht sich als Gefallen auf die Einsicht von Heilswirkung,
wobei mit Heilswirkung die geschichtsgestaltende Kraft bestimmter Gefühle gemeint ist.

Am Ende des Zeitalters der Wacht ist diese bekannt, aber die dadurch entstandene Legitimation der verschiedenen Gefühlswallungen verhärtet die Menschen. Es fehlt ihnen dann an Gnade, daß etwas sich von alleine zum Gute füge, und nicht alles durch eigene Anstrengung bewirkt wird. Wodurch sich die Inspiration zur Schönheit verschiebt.

Also, gnädig möge die Welt sein, aber wenn sie es ist, sind wir nicht mehr verantwortlich, verantwortlich mögen wir sein, aber wenn wir es sind, wirkt nichts mehr zum Heil, und zum Heil möge die Gegenwart wirken, aber wenn sie es tut, gibt es keine Gnade mehr.

Was immer man ernstlich aufgreift wird einen von etwas anderem abbringen.

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