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5. Oktober 2019

Das Paradox der Freiheit

Das Paradox der Freiheit lautet:
Der freie Mensch ist gebunden und der gebundene Mensch frei.
Wir werden das nach dem folgenden genau verstehen. Der Schlüssel zu ihm liegt in der Frage nach dem Ursprung des Guten:
  • Entspringt das Gute der Wahrnehmung oder
  • dem Willen oder
  • der Tat?
Je nachdem, wie wir das beantworten, kommen wir zu unterschiedlichen Ansichten darüber, was wir sind und worin unsere Aufgabe besteht, nämlich
  • wenn es der Wahrnehmung entspringt, so sind wir zur Mitteilung berufene Ansammlungen,
  • entspringt es dem Willen, so sind wir zur Unterstützung berufene Keime und
  • entspringt es der Tat, so sind wir zur Darstellung berufene Eigengeschöpfe.
Wie ich im Beitrag Aktions- und Reaktionsmuster ausführte, versucht der Mensch von der Wahrnehmung zum Wollen, vom Wollen zur Tat und von der Tat zur Wahrnehmung zu gehen. Und die entscheidende Frage hier ist, ob der Wille in der betrachteten Wegstrecke der Tat vorangeht oder nicht. Letzteres ist nur in der Abfolge Tat, Wahrnehmung, Wille der Fall, dem Studieren. Beim Empfangen (Wahrnehmung, Wille, Tat) und beim Verfolgen (Wille, Tat, Wahrnehmung) ist ersteres der Fall, wobei wir die Wegstrecke mit dem Ursprung des Guten beginnen lassen. Ist ersteres der Fall, so erfüllt das Gute unseren Willen, bevor es unser Tun erfüllt, sonst aber nicht: vielmehr studieren wir den Wert der Darstellung des von uns gewählten Guten. Und das Problem damit ist, daß wir auf diese Weise zu Konkurrenten werden, welche jeweils ihre Darstellung vorherrschen sehen wollen, wie ich es in den Beiträgen Die Dämonen der Mißgunst und Die Auftrittsformen der Seelenteile dargelegt habe.

Wer sagt, das Gute verzaubere uns, erzieht uns zu Brüdern. Wer sagt, das Gute sei uns in unser Herz gelegt, erzieht uns zu Mitstreitern. Wer aber sagt, das Gute entstehe aus unserer Entscheidung für es, der erzieht uns zu Konkurrenten.

Die Konkurrenten aber sind durch Mißgunst gebunden, wiewohl in der Erzeugung des Guten frei, wohingegen Brüder und Mitstreiter an das Gute gebunden sind, dafür aber von den Dämonen der Mißgunst frei.

Der Teufel wird einwenden, daß die Mitstreiter doch Parteien bilden werden, welche sich bekriegen, doch so ist die Natur des Guten nicht, daß es die Herzen gegen einander füllt. Vielmehr füllt es die Herzen der Menschen neben einander.

Und um den Gegensatz in der Freiheit, um welchen es hier geht, noch deutlicher zu machen, seien diese beiden Zyklen betrachtet, nämlich der provinzielle Versauerungszyklus und der koloniale Verjüngungszyklus.

Provinzieller Versauerungszyklus.

Die Provinz ist zur Darstellung der Staatsdoktrin verdonnert, auf deren Gestaltung sie keinen Einfluß hat.

Auf diese Weise ergibt sich der folgende Teufelskreis:
  • Vorhersehbarkeit der Ideen,
  • Desinteresse,
  • Rückzug der Öffentlichkeit aus der Debatte,
  • Stärkung der Unangefochtenheit der Staatsdoktrin,
welcher eben den provinziellen Versauerungszyklus bildet. Richard Wagner war in dieser Hinsicht sehr feinfühlig und hat gegen Ende seines Lebens ganz richtig prophezeit, was Deutschland diesbezüglich zu erwarten hatte.

Allerdings war dem einfachen preußischen Beamten gar nicht klar, daß seine Oberen sich als Eigengeschöpfe betrachteten. Er selbst sah sich als Mitstreiter. Doch die Politik den anderen deutschen Teilstaaten gegenüber wurde selbstverständlich durch die Philosophie der Oberen bestimmt.

Kolonialer Verjüngungszyklus.

Kolonien wurden selbstverständlich nur zur Unterstützung gegründet, doch was im Rahmen der Christianisierung für die Mitteilung unternommen wurde, unterscheidet sich nicht wesentlich.

Der koloniale Verjüngunszyklus ist also folgender:
  • neue Verantwortungsbereiche,
  • neue Ideen,
  • Interesse,
  • Einbringung der Öffentlichkeit in die Debatte,
  • neue Institutionen.
Das Überlassen der Verantwortung, welche die Freiheit ausmacht, ist der Grund für das Wachstum, und zugleich die Folge dessen, daß die eigenen moralischen Ansichten nicht als das eigene freie Werk angesehen werden, sondern als Gegenstand gemeinsamer Gebundenheit. So sehr diejenigen, welche Moral für menschengemacht halten, die Sache auch simulieren wollten, es steht ihnen doch die eigene Überzeugung, daß ihre Moral durch dominante Darstellung erzeugt werden muß, im Wege. Sie selbst sind gebunden und ihre Untertanen binden sie auch, wenn sie ihnen auch eine Spielwiese und etwas Auslauf lassen, nachdem sie hinreichend sicher konditioniert wurden.

So schwer fällt es nicht, eine solche Täuschung zu erkennen. Das Paradox der Freiheit gilt, gleich wie wenig es manchen behagt.

Post Scriptum vom 15. Oktober 2019.  Die hier beschriebene Erziehung zu Brüdern, Mitstreitern und Konkurrenten gilt für die allgemein menschlichen Ebene, sie kann durch gemeinschaftsstiftende Erzählungen kulturintern überlagert werden.

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