Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

12. Dezember 2014

Von der Schwierigkeit des Zeitungslesens

Ich meine das gar nicht polemisch. Hin und wieder erscheinen in der Frankfurter Allgemeinen Artikel, welche mehr oder weniger zusammenhangslos Andeutungspfeile in die verschiedensten Richtungen und auf den verschiedensten Ebenen abfeuern. Vielleicht ergibt sich ja ein Erkenntnisgewinn, wenn ich das einmal am Beispiel einer TV-Kritik aufdrösele, wobei mir die Bemerkung verstattet sei, daß ich mich nicht erinnern kann, früher in Zeitungen überhaupt TV-Kritiken gefunden zu haben: Es hat so etwas Inzestuöses, wenn die Presse den Staatsfunk auch noch wiederkäut, so etwas Abgeschottetes, auf Englisch echo chamber genannt.

Davon werde ich hier absehen, mir geht es nicht um den Inhalt, nur um die Weise der Gedankenführung.
Damals ging es letztlich um ein administratives Problem, das die staatliche Bürokratie lösen kann. Jetzt geht es um die Legitimation der Politik, sich überhaupt noch mit diesen Problemen zu beschäftigen. Richters Beobachtung, „ihr hört uns sowieso nicht mehr zu“, dokumentiert diese neue Qualität in der politischen Auseinandersetzung.
Das ist eine Schwerpunktsetzung, hier wird suggeriert, der Artikel werde sich fortan der Frage der Herausforderung des politischen Systems widmen und nicht der Flüchtlingspolitik als solcher.
Für sie wollen sich die Dresdner Demonstranten lediglich mit den Feinheiten des deutschen Asylrechts beschäftigen. Es muss sich jeden Montagabend, so war sie zu verstehen, um eine Art juristisches Oberseminar unter freien Himmel handeln. Schließlich wollten sie nur die Umsetzung des geltenden Rechts durchsetzen.
Und das ist... seit wann beschäftigen sich Juristen mit der Durchsetzung des Rechts? Müßte es hier nicht Auslegung heißen, damit es überhaupt einen Sinn ergibt? Was ist es also? Bewußte Begriffsverwirrung, um ein Nachdenken darüber, an welcher Stelle ein Ansetzen erfolgen müßte, zu erschweren, also ob die Verantwortlichkeit bei der Judikative oder der Exekutive liegt?

Jedenfalls sieht es so aus. Außerdem kommt nun gerade doch die Flüchtlingspolitik als solche in den Blick und nicht die Herausforderung des politischen Systems. Bei der vorherigen Suggestion handelt es sich also um eine Finte. Wozu? Um das Gefühl zu vermitteln, man hätte sich mit etwas beschäftigt, mit welchem man sich gar nicht beschäftigt hat?
Frau Petry geht es allerdings weder um die Feinheiten des Asylrechts, noch um eine veränderte Einwanderungspolitik für Deutschland. In einem Binnenmarkt namens EU, der 500 Millionen Bürgern Freizügigkeit gewährt, brauchen wir alles, nur keine klassische Einwanderungspolitik wie in Kanada.
Was hier geschieht ist folgendes: Frau Petry sagt A und B, und der Artikel greift sich B heraus und weist daraufhin, daß B nicht nur mit dem Thema, der Flüchtlingspolitik, nichts zu tun hat, sondern auch innerhalb des Rahmens der EU unsinnig ist, was ein völlig anderes Thema ist, da man innerhalb der EU nicht von Flüchtlingen reden kann.
  • A: Wir sollten uns nicht als Flüchtlingslager verstehen,
  • B: sondern Qualifizierung zur Voraussetzung der Zuwanderung machen.
Mit anderen Worten nutzt der Autor die Gelegenheit, um mit Verweis auf Frau Petrys halbe Themenabweichung ganz vom Thema abzukommen.
Sie haben zudem das berechtigte Gefühl, in diesem politischen System nicht mehr wahrgenommen zu werden. Das betrifft keineswegs nur den Umgang mit Flüchtlingen, sondern schon das Verständnis von Politik. In der erwähnten Studie der Friedrich Ebert Stiftung wird das „marktförmiger Extremismus“ genannt. Er sei davon geprägt, „das eigene Selbst einem unternehmerischen Universalismus zu unterwerfen, die den Wettbewerb überbetont und menschliche Fehler unverzeihlich findet“. Diese Einstellung, so die Autoren, sei bei AfD-Wählern besonders häufig zu finden. Sundermeyer sprach das an, allerdings ohne den Kontext deutlich zu machen. Darin drückt sich ein Politikverständnis aus, das von der Politik der Herrmann und Özdemir nichts mehr erwartet, außer von denen noch für die eigene Misere verantwortlich gemacht zu werden.
Himmel hilf! Hier wird nun vorgeblich auf die politische Gesamtlage eingegangen, um diese im Konzept des marktförmigen Extremismus' zu verdichten, ohne allerdings zu klären, was damit gemeint ist, um dann zu behaupten, daß aus ihm folge, Herrmann und Özdemir für untätig zu halten.

Klar ausgesprochen, in Abwesenheit dem entgegen stehender Tatsachen, bedeutet marktförmiger Extremismus nach der hier vorgebrachten, ins Allgemeine fliehenden Definition, Selbständigkeit als gesellschaftliches Ideal anzusehen.

Der Schlußsatz wirkt nun so, als wolle der Autor sagen, daß wer an Selbständigkeit glaube, doch besser seine eigene Misere behebe, als demonstrieren zu gehen. Oder schwingt da doch so etwas wie Verständnis für die Steuer- und Hypothekbeladenen mit?

Es läßt sich vieles denken, und gleichzeitig  ist nicht sicher, daß der Autor dabei auch nur an irgendetwas bestimmtes gedacht hat. Ich denke aber, daß er hier durchaus bewußt einen Absatz geschaffen hat, welcher zum Hineingeheimnissen einlädt.

Zusammenfassend, so ein Artikel ist eine Zumutung. Sich dergleichen täglich zuzuführen deutet entweder auf Verwirrtheit oder Masochismus, möglicherweise auch auf Sadismus, wenn sich der Leser mit dem Autor identifiziert und sich das Leid vorstellt, welches der jeweilige Artikel anderen Lesern zufügt. In allen Fällen aber ist er eine enorme Zeitverschwendung. Ich hoffe aber, daß ich meine Zeit damit nun nicht auch gänzlich verschwendet habe.

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