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23. Januar 2015

Die Rolle der Lüge

Es gibt nicht nur eine weltgeschichtliche Wahrheit, sondern auch eine weltgeschichtliche Lüge, kurz die Lüge genannt.

Die Lüge also ist von folgender Art. Sie verspricht jenen, welche auf sie hören, die Befreiung von einer im Leben angelegten Gesetzmäßigkeit, bewirkt also, daß Menschen Bereiche ihrer Verantwortung nicht wahrnehmen, weil sie die Notwendigkeit dazu als nicht gegeben ansehen.

Die allgemeine Form der Lüge lautet:
Wer die Macht nicht aus den Augen läßt, wird sie nicht verlieren.
Und diese konkreten Ausprägungen ihrer sind mir zu meinen Lebzeiten begegnet:
  1. der Glaube, daß Abschottung vor dem Neuen sein Aufkommen verhindere,
  2. der Glaube, daß es darum ginge, seine Jugend möglichst lange zu bewahren,
  3. der Glaube, daß nur die nächsten Verwandten aufgrund ihrer Ähnlichkeit Konkurrenten sein können,
  4. der Glaube, daß Gott die Welt den Menschen überlassen hat.
Und in allen Fällen hat sich die Wahrheit zu Wort gemeldet:
  1. durch den informationstechnischen Fortschritt,
  2. durch die Entsorgung der Alten,
  3. durch die Verschiebung der globalen Machtverhältnisse,
  4. durch Sein Einschreiten.
Die vierte Ausprägung ist natürlich die zäheste, was daran liegt, daß die Vorstellung, daß Gott bereits im Voraus alles auf die beste Weise eingerichtet hätte, dem Zeitalter der Werke angemessen ist. Aber diese Vorstellung ist nicht genau. Genau genommen handelt es sich in diesem Zeitalter bei dem Gebet: Lasse mich deine Herrlichkeit erkennen! um das angemessene Gebet.

Jene Vorstellung ist nur eine es stützende Kosmogonie.

Daß es sich bei ihr nicht wirklich um die Wahrheit handelt, erscheint im Christentum im Gewand der Vorstellung des Jüngsten Gerichts. Am deutlichsten stellt dabei das Gleichnis von den bösen Weingärtnern das Wesen der Lüge heraus:
Er fing aber an, zu sagen dem Volk dies Gleichnis: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und tat ihn den Weingärtnern aus und zog über Land eine gute Zeit. Und zu seiner Zeit sandte er einen Knecht zu den Weingärtnern, daß sie ihm gäben von der Frucht des Weinberges. Aber die Weingärtner stäupten ihn und ließen ihn leer von sich. Und über das sandte er noch einen anderen Knecht; sie aber stäupten den auch und höhnten ihn und ließen ihn leer von sich. Und über das sandte er den dritten; sie aber verwundeten den auch und stießen ihn hinaus. Da sprach der Herr des Weinberges: Was soll ich tun? Ich will meinen lieben Sohn senden; vielleicht, wenn sie den sehen, werden sie sich scheuen. Da aber die Weingärtner den Sohn sahen, dachten sie bei sich selbst und sprachen: Das ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten, daß das Erbe unser sei! Und sie stießen ihn hinaus vor den Weinberg und töteten ihn. Was wird nun der Herr des Weinberges ihnen tun? Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern austun. Da sie das hörten, sprachen sie: Das sei ferne! Er aber sah sie an und sprach: Was ist denn das, was geschrieben steht: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden"? Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen aber er fällt, den wird er zermalmen.
Welcher Stein?

Gott selbst. Als Schöpfer, Erhalter und, wenn nötig, Zerstörer der Welt.

Die vierte Lüge ist die schlimmste und verdient diese Strafe auch, wobei es keine Rolle spielt, in welcher Form genau der Mensch sich der Welt anmaßt, ob er es aufgrund seiner immanenten oder transzendenten Möglichkeiten tut, entscheidend ist, daß er den göttlichen Grund, auf welchem er steht, vergißt, also Einsicht, Entfaltung oder Läuterung.

Nur demjenigen, welcher nach Einsicht in die Wunder der Welt strebt, bleiben die Gesetze der Welt treu - zur Unterdrückung sind sie nicht gemacht.

Nur demjenigen, welcher eine heilige Vorstellung des Menschseins aus sich austreiben lassen will, bleiben die transzendenten Akte treu - zur Willkür sind sie nicht gemacht.

Nur demjenigen, welcher Läuterung anstrebt, bleibt das Gleichgewicht der Mächte treu - zur Einkerkerung ist es nicht gemacht.

Aber der Mensch vergißt, die Lüge verschlingt - und die Zeit fließt, als notwendige Behauptung der Wahrheit.

So ist unsere Welt gemacht. Das ewige Leben ist die sich in allen Umständen bewährende Wahrheit, beziehungsweise die Erkenntnis derselben.

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