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19. September 2020

Habgier und Vorwitz

In der Sprache des Neuen Testaments sind nicht wenige Kinder von einem Daimon der verklemmten Dreistigkeit besessen, welchen wir, wenn er sich geschickt anstellt, Frechheit nennen.

Was diesem Phänomen zu Grunde liegt ist die Habgier nach Gewachsenheit in der Seele des Kindes, welche meint, darauf verzichten zu können, sich würdig zu erweisen, und also zum Vorwitz greift.

Stellt sich das Kind dabei geschickt an, so lassen wir es sein und lachen über seine Frechheit. Stellt es sich hingegen ungeschickt an, so müssen wir ihm seine Ungewachsenheit verdeutlichen, üblicherweise durch Schläge, damit es begreift*, daß es sich zunächst würdig erweisen muß, bevor es gewachsen sein kann. Frechheit bedeutet in diesem Zusammenhang, daß ein Kind erkennt, wodurch es seine Ungewachsenheit bloßstellen würde, und damit, daß es die Grenzen seiner Würdigkeit kennt, und also nicht unbedingt auf sie hingewiesen werden muß.

Das ungeschickte Kind ist aber nicht unbedingt schlechter dran, wenn es sich notgedrungen eingehender mit dem Zusammenhang zwischen Würdigkeit, das heißt erworbenen Qualifikationen, und Gewachsenheit, der Fähigkeit, eine Aufgabe zu bewältigen, beschäftigt. Vielmehr ist dies ein Beispiel dafür, daß, wie Schopenhauer sagen würde, Vernunft mangelnden Verstand wettmachen kann.

* Das Kind begreift durch Angst um das, wonach die Habgier trachtet, daß es ihm nicht näher kommt, indem es der Habgier folgt. Die Habgier ist dabei ein Gemisch aus Begehren, Kühnheit und Liebe, und ihre Überwindung besteht darin, diese Bestandteile von einander zu lösen.

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