Das Rudelgebet
Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, genau weiß ich es nicht mehr, hatten wir einen Hund, Timmy, welcher irgendwann anfing, nach dem Parfüm meines Klavierlehrers zu riechen, und dessen Verhalten sich danach veränderte, dergestalt er ständig unruhig, ja, aufgekratzt war, was ein paar Wochen anhielt, bis er vor ein Auto lief und sich ein Bein brach und sich winselnd in sein Körbchen zurückzog und aufhörte zu fressen.
Ich kann die Empfindung gut genug nachvollziehen, um zu sagen, um was es sich bei ihr handelt, nämlich um ein fügendes Gebet, welches das Rudel mit einem günstigeren Los segnet, als welches man selber erfahren hat.*
Schopenhauer bezieht sich auf dieses (abschirmende) Gebet, wenn er sagt, daß der Selbstmörder nicht resigniert habe, sondern hoffe, unter günstigeren Umständen wiedergeboren zu werden, wobei nach ihm natürlich ein Hund wie der andere ist.
Was ich hingegen nicht nachvollziehen kann, ist, wie unkritisch dieses Gebet in unserer Gesellschaft zur Rechtfertigung instinktiven Versagens, so nach dem Motto: Es ist zwar bitter, aber ist es nicht auch süß?, herangezogen wird, wenn es darum geht, Abschied zu nehmen, sei es von herangewachsenen Kindern, deren Los man instinktiv als ungünstig einschätzt, oder auch von der Welt, wenn man nach einem langen Leben mit ihr zusammen alles verliert, was einem teuer ist: Eltern sollten ihre Kinder nicht unvorbereitet einem ungünstigen Los überlassen, und der Mensch sollte im Laufe seines Lebens mehr wertzuschätzen lernen, als seine eigenen Gelegenheiten.
Aus der Bemühung der Edelkeit des Rudelgebets spricht die Weigerung, für die Gesellschaft, in welcher man lebt, Verantwortung zu übernehmen, und diese Weigerung ist mir verhaßt. Ich sah gestern Open Season, und Boog hat nicht ein Mal in der Wildnis etwas zu fressen gefunden, so daß Beth allen Grund hat, sich über sein Los Sorgen zu machen. Und dennoch soll der Zuschauer glauben, daß alles in Ordnung ist und seinen natürlichen Gang geht.
Der Film ist übrigens nicht ganz so schlecht wie ähnliche: bei aller Posiererei besitzt er einen äußerst lebenserfahrungsgesättigten Unterton, welcher zum Ende hin allerdings in die zynische Bemerkung mündet, daß, wer's anders nicht schafft, es eben auf kriminellem, oder sagen wir einmal unorthodoxem, Wege versuchen muß. Aber auch das läßt sich verteidigen, wenn man es als Gesellschaftskritik und nicht als persönliche Aufforderung versteht, wiewohl Oliver Stone's Scarface natürlich zeigt, wie wenig Manche geneigt sind, selbst die klarste gesellschaftliche Kritik als Tragödie, statt als Heldenepos, zu verstehen.
* Es ist tatsächlich ein fügendes und kein gebietendes Gebet, das heißt, das Los wird nicht gesucht und heraufbeschworen, sondern augenblicklich auf ein günstigeres Gleis gestellt.
Ich kann die Empfindung gut genug nachvollziehen, um zu sagen, um was es sich bei ihr handelt, nämlich um ein fügendes Gebet, welches das Rudel mit einem günstigeren Los segnet, als welches man selber erfahren hat.*
Schopenhauer bezieht sich auf dieses (abschirmende) Gebet, wenn er sagt, daß der Selbstmörder nicht resigniert habe, sondern hoffe, unter günstigeren Umständen wiedergeboren zu werden, wobei nach ihm natürlich ein Hund wie der andere ist.
Was ich hingegen nicht nachvollziehen kann, ist, wie unkritisch dieses Gebet in unserer Gesellschaft zur Rechtfertigung instinktiven Versagens, so nach dem Motto: Es ist zwar bitter, aber ist es nicht auch süß?, herangezogen wird, wenn es darum geht, Abschied zu nehmen, sei es von herangewachsenen Kindern, deren Los man instinktiv als ungünstig einschätzt, oder auch von der Welt, wenn man nach einem langen Leben mit ihr zusammen alles verliert, was einem teuer ist: Eltern sollten ihre Kinder nicht unvorbereitet einem ungünstigen Los überlassen, und der Mensch sollte im Laufe seines Lebens mehr wertzuschätzen lernen, als seine eigenen Gelegenheiten.
Aus der Bemühung der Edelkeit des Rudelgebets spricht die Weigerung, für die Gesellschaft, in welcher man lebt, Verantwortung zu übernehmen, und diese Weigerung ist mir verhaßt. Ich sah gestern Open Season, und Boog hat nicht ein Mal in der Wildnis etwas zu fressen gefunden, so daß Beth allen Grund hat, sich über sein Los Sorgen zu machen. Und dennoch soll der Zuschauer glauben, daß alles in Ordnung ist und seinen natürlichen Gang geht.
Der Film ist übrigens nicht ganz so schlecht wie ähnliche: bei aller Posiererei besitzt er einen äußerst lebenserfahrungsgesättigten Unterton, welcher zum Ende hin allerdings in die zynische Bemerkung mündet, daß, wer's anders nicht schafft, es eben auf kriminellem, oder sagen wir einmal unorthodoxem, Wege versuchen muß. Aber auch das läßt sich verteidigen, wenn man es als Gesellschaftskritik und nicht als persönliche Aufforderung versteht, wiewohl Oliver Stone's Scarface natürlich zeigt, wie wenig Manche geneigt sind, selbst die klarste gesellschaftliche Kritik als Tragödie, statt als Heldenepos, zu verstehen.
* Es ist tatsächlich ein fügendes und kein gebietendes Gebet, das heißt, das Los wird nicht gesucht und heraufbeschworen, sondern augenblicklich auf ein günstigeres Gleis gestellt.
Labels: 37, filmkritik, formalisierung, geschichte, gesellschaftsentwurf, gesellschaftskritik, gesetze, identitäten, institutionen, metaphysik, rezension, sehhilfen, wahrnehmungen, zeitgeschichte, ἰδέα, φιλοσοφία