Bereitschaftsbeitrag

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25. Januar 2016

Persönliche und gesellschaftliche Überzeugungen

Zeugen, abgeleitet von zeigen, mit der Bedeutung von sich zeigen.

Und Überzeugung?

Mehr als das, was einer von sich zeigt? Oder dasjenige, welches bestimmt, was einer von sich zeigt?

Das von sich Zeigen spielt bei Überzeugungen jedenfalls eine nicht unwesentliche Rolle, da wir dazu neigen, unsere Überzeugungen in geradezu lächerlichem Ausmaß zu verbergen, und so kann es dazu kommen, daß es uns selbst überrascht, wenn wir einmal eine unserer Überzeugungen als Grundlage einer konkreten Handlung in Erwägung ziehen.

Genau das ist es nämlich, wenn es uns wie Schuppen von den Augen fällt, wenn wir ob der Einfachheit der sich uns darstellenden Lage lachen müssen: Das überraschte Eingeständnis unserer Selbstdomestizierung.

Dem Kläffer, welcher an der Leine zerrt, bis sie reißt, und dann betreten bemerkt, daß er jetzt nicht mehr zurück kann, versperrt die eigene Überzeugung den Weg zur Tat, seine Handlungsweise entspringt einer gesellschaftlichen Überzeugung, welche im Laufe der Handlung mit seiner persönlichen Überzeugung kollidiert. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall, wo das gesellschaftliche Hemmnis entfällt und die persönliche Überzeugung nach langem Dornröschenschlaf Handlungsraum gewinnt.

Was will ich? Mit wem verträgt sich das? Wem kann ich vertrauen? über diese drei Stufen tritt der Einzelwille in die Welt ein. Zivilisierung heißt, ihn auf der zweiten für die Gesellschaft urbar zu machen. Wenn dies aber mit nicht hinreichender Berücksichtigung der dritten Stufe geschieht, so befreit sich der Einzelwille wieder von der Gesellschaft, sobald er jene betritt, und alternative Verträglichkeitsformen werden zu Tage treten, welche den persönlichen Überzeugungen treuer sind.

Anders ausgedrückt sind Gesellschaftsordnungen mit den ihr innewohnenden Vorstellungen von Verträglichkeit präreflektierte Ansätze, sofern sie nicht auf dem Einverständnis mit einem glaubensstiftenden Weltverständnis beruhen, in welchem Falle es sich aber schon nicht mehr um eine Gesellschaft, sondern bereits um einen Orden handelt, weshalb realexistierende christliche Gesellschaften eben zusätzlich zum christlichen Kern eine große Menge präreflektiertes Gerümpel mit sich führen, dessen Glaubensprüfung immer wieder ansteht.

Die Injektion persönlicher Überzeugungen in die Gesellschaft findet also in Wellen statt, welche unterschiedlich tiefreichend, das heißt von unterschiedlicher Allgemeinheit im Hinblick auf die injizierten persönlichen Überzeugungen sind. Wir stehen am Anfang einer solchen Welle, aber die Tiefe der Umwandlung ängstigt uns zu Recht, denn in der Tat müssen wir noch viel erwägen, bevor wir der Transformation gewachsen sein werden, hier in diesem Strom, welcher unsere Welt ist.

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