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30. April 2016

Der Spiegel (1975)

Bezeichnete man den Spiegel als Fußnote zu Solaris, hätte man nichts Ungeheuerliches geäußert, letztlich legt Tarkowski nur seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Dasein nach.

Ich muß schon sagen, daß ich ziemliches Glück hatte, auch noch den Spiegel nach Solaris und Stalker aus der baltischen Tarkowski-Reihe zu ergattern, es war, soweit ich es überblicken kann, das letzte Exemplar, welches in Estland zum Verkauf stand.

Im Gegensatz zu Solaris gab es diesmal keine Schwierigkeiten mit den Untertiteln, nur an einer Stelle mußte ich eine inhaltliche Änderung vornehmen, weil sich mir der Sinn des Geschriebenen nicht erschloß. Es handelt sich um den Anpfiff um die 30. Minute. Der Sinn ist, wie mir meine Frau versicherte, daß sich der Vater, wenn er nicht zurückkäme, im letzten Augenblick vor dem verderblichen Einfluß seiner Frau gerettet hätte.

Schon lustig, daß ich ausgerechnet die Stelle meiner Frau wiederholt zur Übersetzung vorspielen mußte, aber letztlich ist Lisas Auffassung der Lage tatsächlich Idiotie, wenngleich im Prinzipium ihrer Kritik, nämlich das Banale gegen das Hochgeistige in Anschlag zu bringen, durchaus Wahrheit steckt, denn was ist es, was Vater und Mutter versucht haben?

Das, wem sich der Sohn verpflichtet fühlt, ohne damit glücklich zu werden?

Enkel Ignat liest es vor, ungewollt, Rousseaus Dictum zum Nutzen von Wissenschaft und Kunst für das Seelenwohl: Sie sind ihm abträglich. Oder, um nicht in andersgeartete Gefilde abzuschweifen: Es zahlt sich nicht aus, seinen Alltag zu etwas besonderem zu machen, denn die Gewohnheit macht ihn zum Maß aller Dinge, und wer sich an das Besondere gewöhnt hat, kann nur noch unglücklich werden.

Lebenskunst zeigt sich nicht in monumentaler Breite, sondern in der Gemäßheit der Einrichtungen für ihren Zweck, das Feierliche feierlich, das Alltägliche erträglich. Es ist interessant zu beobachten, wie Tarkowski seinen Weg zur zentralen Einsicht von Stalker gefunden hat, daß das Höchste der menschlichen Existenz für die höchste Not aufgespart ist.

Auch die hat ihre banale Seite: Don't fix it, if it isn't broken, aber in unserer verwirrten Zeit ist der Weg zum Verständnis der Seele und damit zu ihrem Frieden eine große Anstrengung.

Nun, vielleicht verdient dieser Punkt noch ein paar Worte: Fluch und Segen der Sentimentalität, ihre natürlichen Grenzen und Aufgabe. Es ist schon so, die Dickfelligsten begehen die wenigsten Dummheiten. Aber was beziehen die Dickfelligsten in ihre Überlegungen ein?

Es ist das Los der Sentimentalen ihre Fühler auszustrecken und auf der Strecke zu bleiben, welche sie über sich hinaus in die Welt geworfen haben. Die Lebensklugheit gebietet, diese Strecke ins Religiöse auszurichten, in die Tiefe der Zeit und nicht die Weite des Raums, wie Tarkowski wohl erkannte.

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