Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

2. Oktober 2021

Politische Verantwortung in Demokratien

Politische Verantwortung besteht zum einen darin, das gesellschaftliche Leben durch Institutionen zu regeln, und zum anderen darin, die Institutionen zu tragen und die Regeln umzusetzen.

Allerdings kann man, wenn man den Einzelnen betrachtet, nur dann davon sprechen, daß er politische Verantwortung trägt, wenn sein Verantwortungssinn mit den betroffenen oder betreffenden Regeln übereinstimmt, andernfalls er nämlich unverantwortlich handelt.

Ob jemand somit politische Verantwortung bei der Umsetzung der Regeln tragen kann, hängt davon ab, ob es Institutionen gibt, mit deren Regelungen er übereinstimmt, was ich für mich wenigstens im Falle der Landesverteidigung bejahen kann, also auf räuberische Horden wohlgeordnet zu schießen. Die Frage, in wiefern jemand politische Verantwortung bei der Regelung des gesellschaftlichen Lebens tragen kann, ist verwickelter.

Nicht umsonst wird Regelungswünschen eine Ideologie unterstellt, denn wenn Regelungswünsche keiner Ideologie entspringen, so müssen sie machtpolitisch ausgehandelt werden und werden weniger verantwortet als hingenommen. Und damit stellt sich die Frage, welche Formen ideologischer Pluralismus annehmen kann, denn wenn es nur eine Ideologie in einem Staat geben kann, so können offenbar nur jene politische Verantwortung bei der Regelung des gesellschaftlichen Lebens tragen, welche mit dieser Ideologie übereinstimmen, wiewohl hinsichtlich der Gewichtung von Ideologie und Pragmatismus noch Spielraum besteht.

Es gibt zwei Entwürfe der demokratischen gesellschaftlichen Regelung:
  • entweder Ideologien wirken im vorpolitischen Raum oder
  • Ideologien wirken im politischen Raum.
Wenn Ideologien im vorpolitischen Raum wirken, so stimmt das Volk über Regelungen ab, wirken sie hingegen im politischen Raum, so stimmt das Volk über Ideologien ab.

Damit ist nicht gesagt, daß es im (vor-)politischen Raum mehr als eine Ideologie geben kann, es handelt sich schlicht um eine theoretische Betrachtung, denn daß ideologischer Pluralismus in Demokratien grundsätzlich Einschränkungen unterworfen ist, folgt bereits aus dem Abstimmen, dessen Sinn ja gerade darin besteht, daß die unterlegene Seite ihre Verantwortung an die siegreiche abtritt, was bei größeren ideologischen Spannungen schwerlich geschehen dürfte.

Allerdings ist die Entscheidung, ob Ideologien im vorpolitischen oder im politischen Raum wirken diesbezüglich nicht folgenlos, denn wenn sie im vorpolitischen Raum wirken, geraten sie ja nur über einzelnen Regelungen aneinander, so daß gegenstandsspezifische machtpolitische Verhandlungen die Lage entschärfen können, was dazu führt, daß alle Ideologien eine pragmatische Gelassenheit gegenüber rivalisierenden Ideologien entwickeln und einen etwaig vorhandenen Allgestaltungsanspruch aufweichen, wiewohl im Falle krasser Gegensätze natürlich nur eingeschränkt.

Wirken Ideologien hingegen im politischen Raum, so tritt genau das Gegenteil ein: rivalisierende Ideologien drohen sie bei jeder Wahl vollständig von der Gestaltung auszuschließen, und es genügt bereits ein zu gestaltender Bereich, um eine Wahl zu entscheiden, so daß es für Ideologien überlebensnotwendig wird, ihre Rivalen zu vernichten und einen Allgestaltungsanspruch zu entwickeln.

Besteht in einem Staat kein Allgestaltungsanspruch der vorherrschenden Ideologie, so kann politische Verantwortung im Rahmen einer anderen Ideologie in vergleichsweise vielen Gestaltungsbereichen übernommen werden, indem ethische Argumente zu deren institutionaler Regelung vorgebracht werden. Besteht er hingegen, so kann politische Verantwortung im Rahmen einer anderen Ideologie nur dadurch übernommen werden, sich auf Bereiche zu verlegen, deren Regelung die vorherrschende Ideologie weder für nötig, noch für aussichtsreich hält, und diese durch nichtstaatliche Institutionen zu regeln.

Erfolg dabei muß stets auf einem Vorsprung an Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge beruhen, aber nicht immer hilft größere Einsicht: Beispielsweise ist es mir völlig klar, daß hinter der ganzen Globalisierung nichts anderes steht als der Wunsch des Alters, Rechte zu sichern, wohingegen sich die Jugend Möglichkeiten wünscht. Junge Gesellschaften sind entsprechend dynamisch und alte statisch. Und wer Platons Nomoi gelesen hat, weiß, wie die greisenfreundlichste aller Gesellschaftsformen aussieht, nämlich in der faktischen Entrechtung aller Handwerker, damit die Landbesitzer, während sie sich in Krieg und Mathematik üben, darüber wachen können, daß sich nichts ändert und genauso getanzt und gesungen wird wie zur Zeit ihrer Urahnen. Weil sie keine Zukunft sehen, setzen Menschen nur wenige Kinder in die Welt. Und wenn die Kinder in einer Gesellschaft Wenige geworden sind, wird ihr politisches Interesse an einer Zukunft nicht mehr berücksichtigt. Das ist die ganze Geschichte. Der Sinn der Zivilisation besteht darin, Krankenpfleger bereitzustellen. Alles andere sind gefährliche Phantastereien. Nur, wie gesagt, es hilft nichts, dies zu verstehen. Das Zeitalter der Werke kommt an sein digitales, kybernetisches, gentechnisches Ende, und es ist nicht schön, und so vergreist die Gesellschaft und klammert sich in der Starre des Todes an den letzten Stand der Technik. Helfen tun nur konkrete Auswege: Sicherheiten zu gewähren und ebenfalls Hoffnungen institutional zu berücksichtigen.

Post Scriptum vom folgenden Tag. Auch hier sollte etwas nicht fehlen:

Labels: , , , , , , , , , , ,