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28. Juni 2012

Reinlichkeit

Ich unterbreche meine (eher) wirtschaftlichen Betrachtungen für eine psychologische Detailbetrachtung, welche indes von einiger Wichtigkeit ist.

Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, sich dem Guten, Schönen, Erhabenen anzunähern, und es ist die natürliche Aufgabe einer jeden Religion dieses Bedürfnis sowohl anzuleiten als auch zu befeuern.

Zu diesem Zweck sagt jede Religion, daß der Mensch dreckig ist und sich säubern müsse. Indes unterscheidet sich der Grad der Bildlichkeit dieser Aussage bei den verschiedenen Religionen.

Um zu verstehen, worum es hierbei geht, hilft es, die Sache gänzlich areligiös zu betrachten.

Nehmen wir einmal an, wir sind ein Toilettenpapierhersteller und haben vor, ein Premiumprodukt auf den Markt zu bringen. (Der Leser entschuldige bitte diesen neuerlichen Abstecher in die Wirtschaft.) Wie werden wir unsere Werbung gestalten? Welche Aspekte werden wir betonen? Nun, es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß es für unseren Umsatz am günstigsten wäre, wenn wir dem Verbraucher einreden könnten, daß sein Arsch, wenn er ihn sich mit normalem Toilettenpapier abwischt, dreckig bleibt und stinkt. Da der Fernsehzuschauer aber höchst ungern beschimpft wird, müssen wir dabei sehr vorsichtig sein, und die größere Gründlichkeit unseres Toilettenpapiers dezent am Rande, am besten zum Schluß, damit sich die Gedanken des Verbrauchers im Anschluß noch weiter mit diesem Aspekt beschäftigen, erwähnen, nachdem wir zuvor einen den Kunden eher schmeichelnden Aspekt in den Mittelpunkt gestellt haben, also, um hier bei den Tatsachen zu bleiben, daß unser Toilettenpapier ganz besonders weich und angenehm für den Hintern des Benutzers ist.

Also bringen wir unser Toilettenpapier an den Mann und ganz besonders auch an die Frau.

Das macht uns reicher, aber macht es unsere Kunden auch glücklicher?

Jedesmal wenn sie nun zu unserem Toilettenpapier greifen, denken sie daran, wie dreckig sie doch ohne es wären. Glück sieht anders aus.

Glück, das ist bei dem Wort Vollmond an einen nackten Hintern im Gras zu denken.

Seltsam, wie hier Unschuld und unvollkommen  gereinigte Ärsche zusammengehen.

Aber sie tun es. Schönheit kommt von innen, Reinheit auch. Man fängt, wenn einen die Reinlichkeitsneurose erst einmal befallen hat, die Sache vom völlig falschen Ende her an. Man denke auch an Jesu Worte, daß uns nicht verunreinigt, was in unsere Münder hineingeht (und andernorts ja auch wieder heraus), sondern die Worte, welche wir sprechen.

Nicht, daß ich hier Gestank und Bakterienbrut das Wort reden möchte, aber die Wahrheit ist, daß es dort draußen völlig ausreicht, die nötige Ordnung zu halten.

Die Unglücklichen hingegen, welche die Reinlichkeitsneurose befallen hat, werden zusehens verdrießlicher angesichts ihres elitären Wissens um die von ihren Mitmenschen so schamlos ignorierten Bakterienherde.

Manchmal kommt es gar vor, daß sie einen aus heiterem Himmel beschimpfen, weil man rücksichtsloserweise etwas mit bloßen Händen angefaßt hat.

Und wie fühlt sich so jemand dann?

Verzweifelt er nicht daran, daß er nicht den gerechten Lohn für seine Bemühungen um die eigene Reinheit bekommt? Daß ihn jeder ungewaschene Passant verspottet, indem er das Zehnfache dessen an Bakterien verbreitet, was jener in mühsamer Arbeit an seinem Körper eingespart hat?

Doch wohl genau das. Das ist der Grund für die Dauerbeleidigtheit dieser Menschen, egal ob nun religiös unterfüttert oder nicht.

Allerdings, wenn diese Neurose religiös unterfüttert ist, so besteht das Problem, daß sie dem Betroffenen gerechtfertigt erscheint, denn das Streben nach dem Guten, Schönen, Erhabenen ist gerechtfertigt. Man kann ihm also nicht einfach sagen, daß es eine Neurose ist und schädlich für ihn.

Religionen nun dürfen wie gesagt jenes Streben befeuern, aber wenn sie es um den Preis einer psychischen Störung tun, so machen sie etwas falsch. Ein ständiges Eindringen in seine Intimsphäre verstört einen Menschen. Es ist letztlich egal, wer dort eindringt, ob es Pädagogen, Ärzte oder Geistliche sind, die Folgen sind immer die gleichen, und sie sind nicht gut.

Wer einigermaßen gesund sein möchte, muß sich diesem Punkt gegebenenfalls stellen.

Im Übrigen ist es kurios, daß jene, welche die Sexualmoral der Kirche aus just diesem Grund am vehementesten ablehnen, oftmals dieselben sind, welche in puncto Reinlichkeitsterror genau die gleichen Methoden verwenden. Und dabei kann ein Priester das Thema durchaus rein seelisch behandeln, es liegt also kein systematisches Eindringen in die Intimsphäre vor, wenngleich es viele Priester aus einem Hang zur Direktheit machen mögen.

Nachdem einer das nun alles gelesen hat, wird er wahrscheinlich darüber lachen, welches Gewicht ich all diesem beimesse. Doch während Lachen ansonsten ein zuverlässiger Richter über die Lächerlichkeit einer Aussage ist, so ist das bei genau diesem Thema nicht der Fall. Jeder Mensch verdrängt die Eingriffe in seine Intimsphäre, welche er hinnehmen mußte, jeder Mensch hält sie für unwichtig, und das sind sie im Alltag zumeist auch. Aber es gibt typische Streßsituationen, in welchen sie sich als just jene Verzweiflung, welche ich oben beschrieben habe, bemerkbar machen. Nur Einzelne sind buchstäblich die ganze Zeit beleidigt, aber fast alle sind es ab einem bestimmten Druck.

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