Bereitschaftsbeitrag

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15. August 2012

Parlamentarismus

Wenn man die Parlamente verschiedener Länder beobachtet, stellt man fest, daß die meisten von ihnen von zwei einander entgegengesetzten Fraktionen dominiert werden, und zwar derart, daß eine Fraktion die Verhältnisse verändern möchte und die andere sie so belassen, wie sie sind.

Ich behaupte, daß es einen sehr allgemeinen Grund für diese Zusammensetzung der Parlamente gibt. Die Verhältnisse ändern zu wollen, setzt voraus, Mißstände in den gegenwärtigen Verhältnissen zu sehen. Aber im Gegensatz zur direkten Demokratie wird in der parlamentarischen Demokratie ja nicht über einzelne Verhältnisse abgestimmt, welche möglicherweise verbesserungsbedürftig sind, sondern immer über alle zusammen. Damit nun eine Partei überhaupt gewählt werden kann, um alle Verhältnisse zum Besseren zu wenden, ist es zwingend nötig, daß diese Partei eine allgemeine Ethik vertritt, aus welcher heraus sämtliche Verhältnisse auf ihre Verbesserungswürdigkeit betrachtet werden können.

Die parlamentarische Demokratie ist von Haus aus ideologisch, die direkte Demokratie von Haus aus pragmatisch.

Der Grund nun für die beobachtete Zusammensetzung der Parlamente besteht darin, daß die überwältigende Mehrheit der Menschen in einem Land stets derselben allgemeinen Ethik anhängt. Und wo das der Fall ist, besteht die parlamentarische Demokratie in nichts anderem als darin, dem Volk das Urteil darüber zu überlassen, ob nach der vorherrschenden allgemeinen Ethik die Dinge gut laufen oder im Argen liegen.

Freilich, daß die überwältigende Mehrheit der Menschen eines Landes stets derselben allgemeinen Ethik anhängt, ist nur so zu verstehen, daß dieser Zustand der einzig stabile ist, in welchen das System also stets wieder zurückkehrt, es bedeutet nicht, daß es nicht Übergänge von einer allgemeinen Ethik zu einer anderen geben könnte.

Aufgrund des inhärent ideologischen Charakters der parlamentarischen Demokratie nimmt es wenig Wunder, daß sie oftmals geradezu groteske Schwierigkeiten mit der Lösung recht einfacher praktischer Probleme hat. Wenn dieses Scheitern systematisch wird, wird eine Schwelle erreicht, welche es erlaubt, Politik auf der Grundlage einer alternativen Ethik öffentlich mit einigem Erfolg zu vertreten.

Man darf dabei aber eine Sache nicht vergessen. Diese alternative Ethik verdankt ihren öffentlichen Anklang einzig einem praktischen Problem und dem Wunsch der Menschen, es zu lösen. Weil dieses im Rahmen der vorherrschenden Ideologie nicht möglich ist, sind viele Menschen, man muß sagen, die Vernünftigen eines Volkes, dazu bereit, durch die temporäre Unterstützung einer alternativen Ideologie einen Zustand im Parlament herzustellen, welcher praktisch gesehen ein pragmatischer ist.

Auf diese Weise vollziehen sich die Übergänge von einer allgemeinen Ethik zu einer anderen nicht. Damit eine allgemeine Ethik durch eine andere ersetzt werden kann, ist es notwendig, daß sich die Situation in dem betreffenden Land so grundlegend ändert, daß die bestanden habende allgemeine Ethik keine Antworten mehr auf die ihr innewohnenden Fragen formulieren kann.

Wobei man natürlich sehen muß, daß jede Ethik ein Kompositum aus vielen Teilen ist, und das keinesfalls alle Teile ersetzt zu werden pflegen.

Mit anderen Worten verkürzt die parlamentarische Demokratie nicht die Lebensdauer einer allgemeinen Ethik, sondern führt lediglich dazu, daß ihre Schwächen augrund ihrer systematischen Anwendung deutlicher zum Vorschein treten, was indes keinen Lernprozeß anstößt, wie man vielleicht denken könnte, da es den meisten Menschen völlig klar ist, daß auch gute Regeln Ausnahmen besitzen.

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