Bereitschaftsbeitrag

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26. März 2013

Kommunismus und Protestantismus

Da ich gestern drauf gestoßen wurde und die Sache zwar nur von mäßigem intellektuellen Interesse ist, dafür aber von erheblicher praktischer Relevanz, möchte ich sie heute noch einmal explizit behandeln.

Das Charakteristikum des Protestantismusses ist die Entkörperung des Heiligen, und folglich nimmt es wenig Wunder, daß die grundlegende protestantische Sehnsucht in der Wiederverkörperung des Heiligen besteht. Da es ihm im Kern um die Verwerfung einer als unzugehörig empfundenen, zentral organisierten Kirche ging, nimmt es wenig Wunder, daß er diese Wiederverkörperung im kommunalen Rahmen sucht.

Ich schrieb im bereits zuletzt verlinkten Beitrag Touristen von der Heimat des Protestanten in Hinterhorizontanien und der Chance, daß das Internet den Menschen einen endgültigen Horizont gibt, hinter welchem sie Hinterhorizontanien nicht mehr vermuten können, mithin von einem äußeren Ereignis, welches die Konkretisierung des protestantischen Glaubens erzwingen könnte.

Sehen wir mal. Das Resultat wird nur gemeindezentriert sein können, wie es auch in den früheren Konkretisierungen gemeindezentriert war, wie etwa eben bei den Amischen. Und wenn Karl Marx auch einen Stammbaum hatte, welcher jeden Rabbiner mit Stolz erfüllen würde, so ist es offensichtlich der protestantische Geist seiner Zeit gewesen, welcher den Stoff für die Bewegung der Geschichte auf den Kommunismus hin geliefert hat.

Vor diesem Hintergrund stellt sich dann allerdings schon die Frage, wie es dazu kommen konnte, daß es ausgerechnet Rußland erwischt hat. Nun, ich denke, daß es letztlich daran liegt, daß Rußland nie nationalistisch war, im Sinne Smetana's, es keine Phase gab, in welcher die Stärke des Slawentums beschworen wurde, und in Ermangelung einer solchen inneren Ausprägungssuche war das russische Volk auch weiterhin für westliche Einflüsse offen, wobei ich ehrlich gesagt Eklektizismus als einen wesenhaften Zug an ihm sehe und die innere Ausprägungssuche also als noch wesensfremder als aufgenommene fremde Einflüsse. Dahinter steht wahrscheinlich der hochdruckgebietsbestimmte Winter und das Gefühl der Herrschaft, welches er vermittelt, eine innere Ruhe, welche es nur noch auszuschmücken gilt.

Es ist also bei den Russen keinesfalls von einer damals vorhandenen Sehnsucht nach dem Kommunismus auszugehen, sondern allenfalls von einem späteren Gefallen an bestimmen Elementen des Sozialismusses.

Andererseits schließt sie das natürlich von nichts aus, wie ich schon an anderer Stelle sagte: Die Russen sind systemisch orientiert, nicht pragmatisch, sich zu organisieren bereitet ihnen, aufgrund des hohen Anteils Versuchender an ihnen, als solches schon Freude.

Nun gut, damit wäre dieser Punkt erschöpfend behandelt. Was bleibt? Wahrscheinlich die andere Seite der Frage nach der Universalität des Kommunismusses.

Halten wir dazu noch einmal fest: Kommunismus ist ein Ausgleich zwischen persönlicher Handlungsfreiheit und gemeinschaftlicher gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme, dessen Notwendigkeit für die Protestanten aus der Verbannung der Kirche aus letzterem Bereich entstand. Es ist also nicht davon auszugehen, daß ein Land kommunistisch wird, in welchem der letztere Bereich nicht verwaist ist, es sei denn, dieses Land wäre in seinen sozialen Strukturen hochgradig dynamisch, wie es Rußland eben ist, oder es würde dazu gezwungen, was etwa den Chinesen passieren könnte.

Wenn man es strenger betrachtet, ist es sogar so, daß nur der christliche Anspruch verhindert, daß sich ad hoc Strukturen entwickeln, welche eine hinreichende gemeinschaftliche gesellschaftliche Verantwortungsübernahme gewährleisten würden. Würde dieser Anspruch also aufgegeben, und übernähmen etwa mafiöse Strukturen unter öffentlichem Zuspruch diese Funktion, so könnte man den Kommunismus an dem entsprechenden Ort vergessen.

Mit anderen Worten, aufgrund der eingangs geschilderten Wirkung des Internets mag Kommunismus heute in viel größerem Umfang als bei den Amischen möglich werden, aber von einer Weltbewegung ist er meilenweit entfernt. Es ist schon ein sehr spezifisches Profil, auf welches er zugeschnitten ist, wobei die entscheidende Frage lautet, ob eine Gesellschaft denkt, daß sie gewisse Aufgaben besser bestimmten Autoritäten überlassen sollte oder nicht. Nun, im europäischen Rahmen ist das die entscheidende Frage. Ansonsten müßte man auch noch fragen, ob überhaupt gesellschaftliche Aspirationen vorhanden sind und wenn ja, wie viele sie eifrig sabotieren würden; Punkte welche sogar in Kin-Dza-Dza! aufgeworfen wurden.

Die politische Lage da draußen in der wirklichen Welt ist tragikomisch. Die Menschen negieren ihre Verschiedenheit, nur um sich der Möglichkeit zu begeben, Verhaltensweisen zu finden, um mit einander auszukommen. Ich kann nicht sagen, wie sehr ich Sigmund Freud dafür verachte, daß er der Menschheit den Floh ins Ohr gesetzt hat, daß man alle Kinder nur früh genug einsammeln müsse, um zu erreichen, daß sie später alle gleich sein werden, wobei er teuflischerweise auch noch die antiken Charaktere verwendet hat. Gewiß, seit der Antike plagen die Menschheit die Probleme mit der oralen und der analen Phase, weshalb es also lust- und achtungsbetonte Menschen gibt. Agatha Christie hat den Blödsinn freilich durchschaut, aber zu viele durchschauen ihn nicht.

Am Ende, wenn sie sehen, daß sie doch verschieden sind, werden sie glauben, sie müßten alle Andersartigen töten. Ungeheuerlich! Man erzieht sich geistige Analphabeten und erhofft sich das Paradies von ihnen. Aber gut, so weit wird es natürlich nicht kommen, das ist nur das, was sie Zukunft nennen, das, vor wem man keine Angst haben sollte. Nun, die habe ich auch nicht, ungeheuerlich ist es trotzdem.

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