Bereitschaftsbeitrag

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13. Oktober 2013

Gesellschaftliche Disziplin und Eigenverantwortung

Die Qualität des Lebens in einem Staat hängt wesentlich davon ab, in wie weit sich seine Verantwortungsträger an Verhaltensstandards messen lassen.

Ich möchte an dieser Stelle auf eine diesbezügliche Staffelung hinweisen. In einem Rechtsstaat sind Verantwortungsträgern bestimmte Verwendungen ihrer Macht untersagt und, so er tatsächlich einer ist, auch strafbewehrt erschwert.

Die Grundlage dessen ist eine gesellschaftliche Übereinkunft über persönliche Schutzbereiche, welche der Rechtsstaat also schützt. Dies verhindert aber natürlich nicht, daß Verantwortungsträger ihre Verantwortung ausschließlich nach Maßgabe ihrer eigenen Sympathien und Aversionen tragen, und ein Rechtsstaat wäre auch schlecht beraten, wenn er diesen Mißstand mit seinen Mitteln aufheben wollte, denn das macht seine Verantwortungsträger nur schlecht gelaunter und bewirkt sonst nichts.

Dennoch ist ein Rechtsstaat im Vergleich zu Staaten, in welchen es keine persönlichen Schutzbereiche gibt, ein recht angenehmer Lebensort. Man schimpft auf die Verantwortungsträger, aber man fürchtet sie nicht.

Andererseits zeigt sich in den schlecht beratenen Tendenzen heutzutage eben, daß dieses Schimpfen nicht rein oberflächlich ist, sondern daß es vielen Menschen in einem bloßen Rechtsstaat doch an etwas wesentlichem mangelt.

Ich hatte dieses Thema ja auch schon am Wickel, als ich vom Gegensatz zwischen Privatsphäre und gesellschaftlicher Transparenz schrieb. Indes möchte ich hier nicht auf die charakterlichen Voraussetzungen unterschiedlich verfaßter Gesellschaften abheben, sondern es bei der rein institutionellen Seite belassen.

Institutionell also haben wir zum einen das Recht, und was darüberhinaus?

Die Aufgabe, auch Pflicht genannt.

Das Problem heute, wenn man es noch einmal genauer betrachtet, besteht darin, die Aufgabe als eine freie Wahl der Gesellschaft zu betrachten, und zwar buchstäblich in dem Sinne, daß die freie und geheime Wahl dazu dienen soll, die Aufgabe auszuwählen, welcher sich das Volk mehrheitlich verpflichtet fühlt.

Das ist ziemlich erheiternd, wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtet. Natürlich wählt das Volk immer nur die Aufgabe, welche zuvor beworben wurde, aber dessen ungeachtet ist ja auch schon die Vorstellung als solche, daß man sich seine Pflichten wählen könnte, absurd. Nichtsdestotrotz geht ein Großteil der deutschen - und nicht nur der deutschen - Bevölkerung mit der Gewißheit zur Wahl, dem Staat eine würdige Aufgabe zu wählen, und es ist nur natürlich, daß dabei die tatsächlichen Pflichten vernachlässigt werden.

Diese Erscheinung ist nun aber wieder die Frucht der Religionsfreiheit, also des Fehlens von Religion. Glauben zum politischen Gegenstand zu machen, und nichts anderes heißt es ja, die Menschen darüber abstimmen zu lassen, worum sie sich gemeinsam sorgen sollten, bedeutet, das Heilige gegen sich selbst auszuspielen, denn das ist das Wesen aller Politik, daß durch das Ausspielen verschiedener Interessen gegen einander Kompromisse gefunden werden. Das Heilige aber ist von der Art, daß es verbunden werden muß. Und diese Verbindung bedarf des Austauschs in ernsthaftem Bemühen.

Das Volk, indem es Parteien wählt, deren Profil in der einseitigen Sorge um Teilaufgaben besteht, ist nicht nur von diesem Austausch ausgeschlossen, es sabotiert ihn darüberhinaus auch noch auf anderer Ebene.

Wenn man diese Dinge betrachtet, fällt es schwer zu glauben, daß die modernen Staaten zu einem anderen Zweck verfaßt wurden, als die glaubensmäßigen Gemeinsamkeiten ihrer jeweiligen Gesellschaften aufzulösen, siehe die Jesuiten, siehe die Offenbarung.

Nun denn, aber kommen wir zur eigentlichen Angelegenheit zurück. Was wäre mithin ein Pflichtenstaat?

Einer, in welchem die staatlichen Pflichten, ebenso wie das Recht, im Einklang mit dem Empfinden seiner Gesellschaft expliziert und verbindlich wären. Sie festlegen können aber nur von dieser Gesellschaft Betraute, und zwar im Austausch in ernsthaftem Bemühen. Damit bilden diese aber eine Kirche, zwangsläufig eine.

Ein Staat ohne Staatskirche kann also kein Pflichtenstaat sein, sie ist seine kanonische charakteristische Institution.

Ein Ausweg aus dieser Notwendigkeit ist einzig dadurch gegeben, Rechte und Pflichten für alle Zeiten festzuschreiben, denn dann sind nur noch Richter der Schrift zu bestimmen, und das kann kommunal unabhängig erfolgen.

Doch zurück zur dynamischen Situation. Die Kirche bestimmte die Pflichten und das Volk selbst seine Rechte, gerne auch vermittels Parteien, denn zu diesem Zweck haben sie ihre Funktion. Bleibt aber noch ihre Vermählung mit einander, und diese kann meines Erachtens nur vom Volk in direkter Abstimmung in jedem strittigen Fall erfolgen.

Das politische System eines Pflichtenstaates ist also ausgesprochen aufwendig, und so leicht könnte sich heute kaum ein Staat seinen Mantel umhängen. Andererseits wäre ein so verfaßter Staat den übrigen Staaten gesellschaftlich weit überlegen.

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