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8. Dezember 2013

Die Grenzen des Gesprächs

Das folgende, auch wenn es apokryphischen Ursprungs ist, stimmt.
Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Vergleicht mich mit jemandem, sagt mir, wem ich gleiche.“
Simon Petrus sprach zu ihm: „Du gleichst einem gerechten Engel.“
Matthäus sprach zu ihm: „Du gleichst einem weisen Philosophen.“
Thomas sprach zu ihm: „Meister, mein Mund ist völlig unfähig auszusprechen, wem du gleichst.“
Jesus sprach: „Ich bin nicht dein Meister. Da du getrunken hast, bist du trunken geworden von der sprudelnden Quelle, welche ich dir zugemessen habe.“
Und er nahm ihn und zog sich zurück und sagte ihm drei Dinge. Als Thomas aber zu seinen Gefährten zurückkehrte, fragten sie ihn: „Was hat dir Jesus gesagt?“
Thomas sprach zu ihnen: „Wenn ich euch eines der Dinge sage, welche er mir gesagt hat, werdet ihr Steine nehmen und sie nach mir werfen, und ein Feuer wird aus den Steinen hervorkommen und euch verbrennen.“
Ich habe es erst jüngst verstanden. Die Grundlage jeden Gesprächs ist jenes, an welches beide Gesprächspartner glauben. Wenn nun einer von ihnen dem anderen etwas sagt, was dessen Glauben unmittelbar betrifft, so kommt es zu einem augenblicklichen Einströmen aller Einwände, welche dieser gegen es hat, und dieses Einströmen gleicht fürwahr einem Feuer. Es trennt und verbrennt. Es ist so, wirklich genau so, als ob ein großer Strom mit großer Spannung durch einen fadendicken Leiter flösse: erst glüht er, dann brennt er durch. Die Dicke des Leiters in diesem Bild ist die Länge der Zeit, welche zwischen der Konfrontation mit einem Umstand und seiner angemahnten Einordnung vergeht. Es ist also so, daß erschütternde Umstände langsam vermittelt werden müssen.

Wenn ich beispielsweise über die Aussichten der Menschheit spreche, so tue ich das ja, ohne die wahren Gründe offenzulegen, warum ich erwarte, was ich erwarte. Und dadurch werden meine Aussagen zu bloßen Thesen.

Das ist bequem für beide Seiten. Spräche ich von meinen wahren Gründen, so entzündete sich bloß jenes Feuer.

Und es ist wohl wahr, daß niemandem dadurch geholfen ist zu wissen, was ich erfahren zu haben vorgebe, er aber nicht erfahren hat. Und wohl umso weniger, desto mehr es ihn beunruhigte. Und was mich betrifft, mir gefällt es auch nicht - ich öffne mich ja seiner Sicht der Dinge und durchlebe seine Einwände mit ihm.

Freilich, schon oft in der Geschichte haben Menschen gedacht, daß bestimmte Entwicklungen unausweichlich sind, und drastische Maßnahmen gegen sie gefordert, welche sich später als völlig unnötig herausstellten. Allerdings haben diese den Menschen, zumindest in größeren Gruppen, den freien Willen abgesprochen, und zwar derart - um hier nicht unnötige Diskussionen in die Wege zu leiten - daß sie die zeitliche Konstanz eines bestimmten Gruppenverhaltens postulierten: Heute tun sie dies, also morgen auch, und wenn sie es morgen auch tun, dann haben wir Probleme.

Meine Sorge nun ist nicht von der Art, sondern betrifft die Frage, was die Menschen wohl tun können, wenn sie in einem Umfeld leben, welches sie vor Dilemmata stellt, in welchen von freier Entscheidung noch nicht einmal ansatzweise die Rede sein kann. In welchem sie systematisch dazu gezwungen werden, alles zu verraten, an was sie vielleicht einmal geglaubt haben.

Diese Lage ist allerdings von Natur aus kompliziert. Wer auf die Details schaut, sieht sich breit und tief verästelnde Entscheidungsmöglichkeiten, welche er nie durchdringen kann, genauso wenig wie ich, und gemäß seiner ihn bestimmenden Ausrichtung wird er gerade deswegen auch weiterhin in diesem Gewirr einen Ausweg suchen.

Habe ich die Autorität, ihn davon abzubringen?

Nein, die habe ich nicht. Nichts, was ich tun könnte, würde es bewirken. Und insbesondere auch nichts, was ich ihm sagen würde, was davon kündete, daß eben nicht nur ich oder er etwas tun kann. Die These kann ich vorstellen, wenn ich sie belege, fragt er sich nur, was er mit diesem Beleg soll. Es ist mein Beleg, so sieht es nun einmal aus.

Es wird nicht im Gespräch entschieden. Die Zeit wird die Zukunft enthüllen. Es stellt sich nur die Frage, ob die Menschen nicht vielleicht einen Tritt in den Hintern gebrauchen könnten, um sich neu auszurichten.

Aber diesbezüglich stellt sich auch ein Dilemma: Wie geht man mit Nitroglycerin um? Mal etwas durchschütteln, damit endlich was passiert?

Nun, noch ist nicht aller Tage Abend, ich genieße besser den neuen Schnee.

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