Bereitschaftsbeitrag

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18. November 2013

Projektionen

Vorletzte Nacht traf ich im Traum unverhofft wieder einmal auf meine Idealvorstellungen.

Und in dieser Angelegenheit gibt es noch etwas zu klären, denn es genügt nicht zu behaupten, daß unsere Idealvorstellungen halt unserer Vernunft ihre Ziele vorgeben. Die Sache ist weiter gespannt.

Denn wie käme unser Wille dazu, uns Idealbilder unserer Mitmenschen vor die Augen zu stellen? Wie die sich halten, ist schließlich deren Sache. Und doch ist es so, in jedem Menschen ahnen wir ein Ideal, dessen verzerrte Karikatur er nur ist.

Ich glaube kaum, daß wir von Natur aus dazu neigen, anderen vorzuschreiben, auf welches Ziel hin sie sich zu entwickeln hätten. Aber was ist dann der Zweck dieser Vorstellungen?

Nun, ich habe es erwogen, rein praktisch. Es geht wohl kaum nur darum zu wissen, was eine einem genehme Gesellschaft ist, aus welcher man sich also gegebenfalls zu lösen hätte. Nein, es geht um mehr, der Nutzen muß größer sein. Es geht darum, beurteilen zu können, ob sich die eigenen Mitmenschen günstig oder ungünstig entwickeln, denn daran hängt viel. Zu wissen, ob sie in Frieden wachsen oder ob sie etwas innerlich zerfrißt.

Aber wenn dies die Funktion unserer Projektionen ist, also daß wir vom Ganzen nur das Schöne sehen, dann wäre es verfehlt, wenn sie im Individuum wurzelten.

Allerdings gibt es durchaus einander widersprechende Projektionen, sagt einem jemand etwa, daß man ausgsprochen gut aussähe, wenn man sich gerade ausgesprochen schlecht fühlt. Ich denke aber, daß dies nicht auf individuellen Sichtweisen beruht, sondern auf seelenteilsmäßigen Sichtweisen, genauer gesagt unsere Projektionen unsere anschaulichen Erfassungen der Ideale der drei Seelenteile sind, also unsere Vorstellungen davon, wie Lust, Achtung und Sorge sich im Menschengeschlecht ausdrücken wollen, und wenn sich zwei Projektionen also nicht decken, so deshalb, weil die Empfindlichkeit der Betrachtenden für die drei Seelenteile unterschiedlich stark ausgeprägt ist.

Einer sieht etwa die roten Wangen und ist zufrieden, während ein anderer vielleicht den Blick erforscht.

Nun, damit wäre geklärt, wie zwei verschiedene Menschen in einem Menschen verschiedenes sehen können, nicht aber, wie ein Mensch in zwei verschiedenen Menschen verschiedenes sehen kann.

Weiter schwer ist das aber nicht, die Seelenteile im Betrachter wissen eben, was sie im Betrachteten bilden wollen. Und alles, was also verbleibt, ist dieses intuitive Wissen vermittels der eigenen Phantasie in die anschauliche Form zu überführen.

Damit wäre das Zustandekommen der Projektionen im menschlichen Bewußtsein soweit geklärt. Es bleibt aber noch über die Qualität der projizierenden Existenz zu sprechen.

Diese ist zunächst einmal bitter, weil wir überall nur Karikaturen sehen und wahrer Friede und wahre Erfüllung uns nur in unserer Vorstellung und unseren Träumen begegnen. Zum anderen ist sie konvergent.

Konvergent ist sie allerdings nicht deswegen, weil wir unseren Idealen beliebig nahe kämen, sondern weil das Projizieren dazu führt, daß verschiedenen Individuen ein und dasselbe Ideal zugewiesen wird, welchem sie in der Regel wenigstens etwas näher kommen, mit anderen Worten konvergiert nicht der Lebensweg des Einzelnen, sondern die Lebenswege mehrerer demselben Ideal Zugeordneter im Laufe mehrerer Generationen in Form ihrer Nachkommenschaft, wobei wir in dieser Frage besser keine zu große Genauigkeit walten lassen sollten, da die Zuordnung eines Ideals zu einem Menschen nicht so ohne weiteres erklärt werden kann, der Geist vererbt sich väterlicherseits, das Ideal nicht.

Und so kommt es denn wohl auch, daß man sich besonders schämt, wenn man jemanden sieht, welcher demselben Ideal zugeordnet ist, wie man selbst, welcher sich besonders rückständig aufführt. In solchen Momenten zweifelt man wohl gar daran, daß die Annäherung an dieses Ideal der Gruppe aller ihm Vertrauten gelingt - ein primitiver Vorfahr, allerdings, beruhigt aus eben demselben Grunde.

Nun, das sind Randbetrachtungen. Zu diesen gehört auch, daß männlichen Idealen weibliche zur Verbindung korrespondieren und man immer wieder dieselben Paarungen sieht, wenn natürlich auch nicht jedes Mal - indes sind jene als ideale Paarungen auch zu erkennen.

Wenn wir zittern, wenn wir betrachten, was aus uns geworden ist, so im Hinblick auf die Projektion unserer selbst. Sie ist es, welche unsere Seele anklagt oder verteidigt, wenn zum Gericht über unser Leben gesessen wird. Und wenn, um den Faden weiterzuspinnen, welchen ich zuletzt aufnahm, wir dahinkommen zu erkennen, daß alles für sie verloren ist, wenn sich die Dinge so verhalten, wie sie sich uns darstellen, dann rufen wir Gott wohl zu Gericht, daß er augenblicklich seines Amtes walten möge.

Die frohe Kunde ist, so verhält sich's nicht, die betrübliche, daß es sich nur dadurch nicht so verhält, daß Gott uns richtet. Wenn er uns aber richtet, so liegt die Erfüllung der Projektion unserer selbst dafür wohl im Bereich des Möglichen.

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