Bereitschaftsbeitrag

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3. September 2015

Geteilte Einsicht

Wozu bemüht man sich um andere Menschen?

Ich meine dies. Genauso, wie man eine Arbeit für andere ordentlicher macht als für sich selbst, weil der geringere Arbeitsaufwand für einen selbst die entstehenden Einbußen aufwiegt, während das Mißtrauen der anderen letztere überbewertet, versucht man auch in einem Gespräch mit einem anderen in weit mehr Verhältnisse Einsicht zu erlangen, als man es für sich selbst täte.

Der Grund hierfür ist aber weniger das Mißtrauen des anderen, mit welchem er die eigene Einsichtslosigkeit überbewertete und einen also für dümmer hielte, als man es wirklich ist, als vielmehr die Wertschätzung, genauer gesagt die Schönheit geteilter Einsicht.

Die Schönheit einer Einsicht als solcher verdankt sich der größeren Ordnung, welche sie in die eigene Haltung bringt, und je mehr sie unseren Geist auf diese Weise für das Leben öffnet, ihn aus dem Morast seiner Zerstrittenheit befreit, desto schöner ist sie. Insbesondere wird uns aufgrund des Widerstreits zwischen unserer Unternehmungslust und unserer Faulheit, das heißt aufgrund der Erschöpfbarkeit unserer Lust, also jede Einsicht schön erscheinen, welche eine Unternehmung leichter macht.

Die Schönheit einer geteilten Einsicht ist aber eine andere. Natürlich bezieht auch sie Schönheit daraus, wenn sie unsere Haltung ordnet und beispielsweise eine Unternehmung leichter macht, aber ihr charakteristischer Reiz besteht darin, in eine Beziehung zu anderen Einsehenden einzutreten und an den gemeinschaftlichen Betrachtungen dieser sich über ihre Einsicht definierenden Gruppe teilzunehmen.

Aber auch hierbei gibt es einen Widerstreit, nämlich durch den Zweck des Ganzen. Eine Gruppe, welche Einsichten teilt und weiterverfolgt, wird versuchen, sie unternehmerisch auszubeuten, sie kann gar nicht anders, und auch ein Einzelner, welcher seine Haltung ordnet, wird das versuchen. Doch für den Einzelnen ist dabei die Haltung wesentlich, welche er entwickelt, und für die Gruppe der Fortbestand der Gruppe. Ironischerweise ist es dabei so, daß der einzelne Sterbliche, indem er seinen Fortbestand durch die Ordnung seiner Haltung zu befördern sucht, etwas Unsterbliches, weil Übertragbares, entwickelt, wohingegen die a priori unsterbliche Gruppe nur ihr konkretes sterbliches Bestehen entwickeln kann, also nichts, was sich übertragen ließe.

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