Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

2. September 2015

Wozu dieses Gesicht schlagen?

Wer das Gefühl hat, daß sein Vertrauen einer Welt galt, in welcher er sich gar nicht befindet, der sinnt wohl darauf, sich an den treulosen Besetzern der ewig Unschuldigen zu rächen.

Das einzige Problem damit ist, daß die Rache nicht die Ursache, sondern stets nur die Wirkung des Verrats trifft. Sie kommt immer einen Tag zu spät, gestern hätte sie da sein müssen, dann hätte sie dem Unrecht Einhalt gebieten können und die Entfremdung eines Geistes verhindern, heute kann sie nur selbst den ersten Schritt in die Entfremdung tun.

Freilich, auf's Ganze gesehen kommt der Punkt, an welchem die Gesellschaft insgesamt kippt, auch wenn die Gnade von Tod und Geburt sie stets von neuem reinigt. Die Luft wird schwer von gesuchter Vergeltung.

Was wird indes mit dem Gesicht einer solchen Gesellschaft geschehen? Wird es härter und härter werden und wie ein Diamant die Zeit überstehen?

Diamanten brennen, und auch die entfremdete Gesellschaft wartet nur auf den Funken, welcher die ihr innewohnenden Spannungen gegen sie selbst wendet.

Die Gleichgültigkeit ist eine Fluchtbewegung, diesem Schicksal zu entkommen, ein Medikament, welches das Immunsystem ruhigstellt, um nicht im Fieber umzukommen, doch welche Chancen birgt sie?

Der Ursprung der Entfremdung liegt in den Regeln, in den Institutionen. Sie ist kein bloßer Unglücksfall. Platons vollkommene Aristokratie gibt es nicht, jeder menschliche Entwurf weist Mängel auf, die menschliche Natur selbst begrenzt die Möglichkeiten ihrer Befriedung. Es genügt nicht, Mißstände zu ertragen, denn sie schwächen einen, wer leben will, muß sie beheben. Dazu haben wir ein Immunsystem: Es reagiert des öfteren unverhältnismäßig und gefährdet dadurch selbst unsere Gesundheit, aber es verspricht, ihre ursprüngliche Kraft wiederherzustellen, denn nur das ist Heilung.

Ich sähe mich selbst gern geheilt von den Wunden, welche das Leben schlug, ich bin nicht gleichgültig, doch weder bin ich jemand, welcher das Feuer sucht, um in der Asche der Ruinen einen neuen Anfang zu nehmen. So steh' ich und leide, und ich darf's, denn ich bin sterblich und gar nicht dazu gedacht, mich fortwährend wiederherzustellen.

Vergebung betrifft gerade dies, eine Milderung des Leidens, ohne gleichgültig zu werden, verursacht durch die Erkenntnis der Hinfälligkeit des Menschen und verbunden damit, seine Aufmerksamkeit von ihm weg hin auf die Regeln und Institutionen zu lenken, welche ihn verderben.

Letzteren freilich kann man nicht vergeben, sie sind unsterblich, der Fluch ihres Giftes bleibt in alle Ewigkeit, wenn sie ihren Lebenszykel nicht stets von neuem durchlaufen und auf diese Weise von ihren Mißständen entladen werden.

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