Mischung von Freiheit und Zwang in der Gemeinschaft
Einen freiwilligen Zusammenschluß nenne ich einen Orden, einen durch die Umstände aufgedrängten einen Stand, siehe Orden und Stände. In letzter Zeit habe ich allerdings vermehrt Bekanntschaft mit Mischformen dieser beiden Extreme gemacht, über welche ich mir hier nun einen Überblick verschaffen möchte.
Beginnen wir also die dialektische Analyse.
Unser Grundbegriff ist die Gemeinschaft. Diesen zerlegen wir in Liebschaft und Dienerschaft, abhängig davon, ob die Taten der Gemeinschaftsmitglieder von ihnen einzeln oder von der Gemeinschaft als Ganzes verantwortet werden.
Die Liebschaft zerlegen wir weiter in Orden und Scheinorden, wobei letztere lediglich den Anschein erwecken, als ob die einzelnen Mitglieder ihrer Überzeugung folgten.
Und die Dienerschaft zerlegen wir weiter in Stände und Wahlstände, wobei die Umstände bei letzteren selbstgewählt sind.
Scheinorden und Wahlstände unterteilen wir jeweils nach der Art der Motivation zum Zusammenschluß in Abgöttischaft und Vertreterschaft, beziehungsweise Gefolgschaft und Andienschaft, wobei bei den ersteren beiden Zustimmung und bei den letzteren beiden Abwägung den Ausschlag gibt.
Insgesamt haben wir also sechs Gemeinschaften.
Bruderschaft (Orden)
Abgöttischaft Vertreterschaft
Gefolgschaft Andienschaft
Gefangenschaft (Stand)
Orden und Stand wurden schon beschrieben, bleiben also die übrigen vier.
Abgöttischaft. Bei einer Abgöttischaft handelt es sich um die Gemeinschaft derjenigen, welche zu bestimmten Verhaltensweisen überredet wurden, welche ihnen also hinreichend schmackhaft gemacht wurden.
Ein Beispiel habe ich letzten Sylvesterabend im estnischen Fernsehen mitverfolgen dürfen. In allzu transparenter Weise traten dort Schwestern, Mütter und Brüder auf, wobei der fehlende Vater, der Staat, grinsend im Hintergrund stand: Die Schwestern legten eine Nummer hin, wie sie wohl in deutsche Offizierskasinos während des Zweiten Weltkriegs gepaßt hätte, die Mütter versprühten Umsicht und die Brüder feierten verschwitzte Nähe zu den Klängen der Schweineorgel.
Was genau den estnischen Abgöttischen damit suggeriert werden sollte ist nicht schwer auszubuchstabieren, nämlich Aufstachelung, Uneigennützigkeit und still leidender Einsatz bis an die Schmerzgrenze.
Vertreterschaft. Im Gegensatz zur Abgöttischaft gibt es bei der Vertreterschaft handfestere Gründe zur Vertretung bestimmter Standpunkte und der Befolgung der mit ihnen zusammenhängenden Gesetze.
Beispiele sind nicht leicht anzugeben, aber es lassen sich unter geeigneten Annahmen leicht welche denken, also wenn wir etwa annehmen, daß wir im Mittelalter lebten und uns die Kirche die Wahl ließe, Christ oder Jude zu sein, je nachdem, was wir tun wollten und welche Gesetze befolgen, in welchem Fall unsere Religiösität uns nicht zu Brüdern machte, sondern lediglich zu Vertretern.
Gefolgschaft. Setze ich als bekannt voraus, konstituiert sich durch die freiwillige Unterordnung unter eine als vorbildlich angesehene Führung.
Andienschaft. Bei einer Andienschaft handelt es sich um die Gemeinschaft derer, welche zur Erlangung gewisser Vorteile die Interessen derjenigen, welche diese Vorteile gewähren, berücksichtigen und in ihrem Rahmen durchsetzen.
Beispiele sind die Kammern und Verbände in totalitären Staaten, also die Reichsschriftumskammer oder der Schriftstellerverband der UdSSR, um die beiden geringfügigsten zu nennen. Wesentlicher sind selbstverständlich die Gremien, in welchen die Bedingungen des Wirtschaftens verhandelt werden.
Allen diesen Mischformen haftet etwas Widerwärtiges an, wo der Mensch frei ist, sei er frei, und wo er gezwungen ist, berücksichtige er das und leugne es nicht: Auf diese Weise geht es allen am besten.
Persönlich gefällt mir von diesen vieren die Gefolgschaft noch am besten, aber allzu oft führt sie zu Situationen wie der in Elephant Boy, wo der Vater vor den Tiger springt, weil er die Fähigkeiten seines Herrn überschätzt, was schlecht für ihn und peinlich für den Herrn ist.
Die Andienschaft ist seit einiger Zeit auf dem Rückzug. Sie ist eine Gemeinschaft, in welcher Binnen- und Außeninteressen verhandelt werden, und sie bringt charakteristische Gestalten hervor, wie die Prachtochsen an der Spitze und die grauen Existenzen in den hinteren Bänken. Sie ist im höchsten Grade abstoßend, vermag aber Spannungen abzufedern und ist noch jedem Mann der Tat ein akzeptierter Ersatz für Gefolgschaft.
Über Abgöttischaft möchte ich mich nicht weiter groß auslassen, sie erschien mir schon als Kind von sechs Jahren als Versuchung und heute verstehe ich, warum, nämlich weil sie den Boden aller Tatsachen, die göttliche Natur, verläßt. Ich denke nicht, daß sie zunimmt, aber sie geht auch nicht in dem Maße zurück, in welchem man es erwarten könnte. Merkwürdigerweise hat sie die Anhebung des Bildungsniveaus relativ unbeschadet überstanden. In den 70er Jahren zehrte sie noch von Phantasien, aber ungefähr seit 2000 hat sich ein Zustand der bewußt bejahten Willkür eingestellt, welcher charakteristisch für Postmoderne, Agenda 21 und Multikulturalismus ist und heute im Gerede von alternativen Realitäten, wenn es um unliebsame Tatsachen geht, seinen logischen Endpunkt gefunden hat.
Man kann auch sagen: Heute erscheint die Politeia wieder weniger töricht zum Thema Schüler unterrichten Lehrer als Pippi Langstrumpf - der Scheitelpunkt des Fortschrittsglaubens ist überwunden.
All dies geht also zurück oder stagniert, und Orden und Stände gehen auch zurück, wie verhält es sich also mit Vertreterschaft?
Vertreterschaft, denke ich, nimmt zu. Zunehmend scheinen mir Personen mit maßgeblichem Bekanntheitsgrad Angehörige einer andersgestellten Schicht zu sein, welche ihre Zugehörigkeit mit einem andersgearteten Verhaltenskodex erkaufen. Wenn ich diesen Leuten in die Augen blicke, so sehe ich da nicht den Apparatschik, den Andienenden, welcher seinem Herren dient, entweder mit einem Blick verletzter Ehre oder überzeugten Müssens, sondern ich sehe da den Klienten, welcher alle Verträge unterschrieben hat und jetzt seinen Preis will.
Allerdings reden wir auch weiterhin von einer relativ kleinen Gemeinschaft. Gemeinschaft insgesamt geht also zurück. Vertreterschaft legt absolut und anteilsmäßig zu und Abgöttischaft noch anteilsmäßig. Gefolgschaft geht selbst anteilsmäßig zurück, und Andienschaft mag anteilsmäßig stagnieren.
Diese vier sind technischer Natur, Orden und Stände aber grundsätzlicher und können im Falle von Orientierungslosigkeit respektive Systemversagen also schlagartig zulegen, weswegen sich ihre quantifizierende Verfolgung erübrigt. Worum es mir hingegen bei dieser Analyse geht ist, daß sich die uns bekannten Gemeinschaftsformen im Umbruch befinden, und insbesondere, daß wir in einer Lage weitverbreiteter Bindungslosigkeit mit uns fremden Gemeinschaftsformen konfrontiert werden, was die staatliche Ordnung ab einem bestimmten Punkt auflösen wird, bis zu welchem die Abgöttischen die Rolle von Potemkin'schen Dörfern spielen.
Beginnen wir also die dialektische Analyse.
Unser Grundbegriff ist die Gemeinschaft. Diesen zerlegen wir in Liebschaft und Dienerschaft, abhängig davon, ob die Taten der Gemeinschaftsmitglieder von ihnen einzeln oder von der Gemeinschaft als Ganzes verantwortet werden.
Die Liebschaft zerlegen wir weiter in Orden und Scheinorden, wobei letztere lediglich den Anschein erwecken, als ob die einzelnen Mitglieder ihrer Überzeugung folgten.
Und die Dienerschaft zerlegen wir weiter in Stände und Wahlstände, wobei die Umstände bei letzteren selbstgewählt sind.
Scheinorden und Wahlstände unterteilen wir jeweils nach der Art der Motivation zum Zusammenschluß in Abgöttischaft und Vertreterschaft, beziehungsweise Gefolgschaft und Andienschaft, wobei bei den ersteren beiden Zustimmung und bei den letzteren beiden Abwägung den Ausschlag gibt.
Insgesamt haben wir also sechs Gemeinschaften.
Bruderschaft (Orden)
Abgöttischaft Vertreterschaft
Gefolgschaft Andienschaft
Gefangenschaft (Stand)
Orden und Stand wurden schon beschrieben, bleiben also die übrigen vier.
Abgöttischaft. Bei einer Abgöttischaft handelt es sich um die Gemeinschaft derjenigen, welche zu bestimmten Verhaltensweisen überredet wurden, welche ihnen also hinreichend schmackhaft gemacht wurden.
Ein Beispiel habe ich letzten Sylvesterabend im estnischen Fernsehen mitverfolgen dürfen. In allzu transparenter Weise traten dort Schwestern, Mütter und Brüder auf, wobei der fehlende Vater, der Staat, grinsend im Hintergrund stand: Die Schwestern legten eine Nummer hin, wie sie wohl in deutsche Offizierskasinos während des Zweiten Weltkriegs gepaßt hätte, die Mütter versprühten Umsicht und die Brüder feierten verschwitzte Nähe zu den Klängen der Schweineorgel.
Was genau den estnischen Abgöttischen damit suggeriert werden sollte ist nicht schwer auszubuchstabieren, nämlich Aufstachelung, Uneigennützigkeit und still leidender Einsatz bis an die Schmerzgrenze.
Vertreterschaft. Im Gegensatz zur Abgöttischaft gibt es bei der Vertreterschaft handfestere Gründe zur Vertretung bestimmter Standpunkte und der Befolgung der mit ihnen zusammenhängenden Gesetze.
Beispiele sind nicht leicht anzugeben, aber es lassen sich unter geeigneten Annahmen leicht welche denken, also wenn wir etwa annehmen, daß wir im Mittelalter lebten und uns die Kirche die Wahl ließe, Christ oder Jude zu sein, je nachdem, was wir tun wollten und welche Gesetze befolgen, in welchem Fall unsere Religiösität uns nicht zu Brüdern machte, sondern lediglich zu Vertretern.
Gefolgschaft. Setze ich als bekannt voraus, konstituiert sich durch die freiwillige Unterordnung unter eine als vorbildlich angesehene Führung.
Andienschaft. Bei einer Andienschaft handelt es sich um die Gemeinschaft derer, welche zur Erlangung gewisser Vorteile die Interessen derjenigen, welche diese Vorteile gewähren, berücksichtigen und in ihrem Rahmen durchsetzen.
Beispiele sind die Kammern und Verbände in totalitären Staaten, also die Reichsschriftumskammer oder der Schriftstellerverband der UdSSR, um die beiden geringfügigsten zu nennen. Wesentlicher sind selbstverständlich die Gremien, in welchen die Bedingungen des Wirtschaftens verhandelt werden.
Allen diesen Mischformen haftet etwas Widerwärtiges an, wo der Mensch frei ist, sei er frei, und wo er gezwungen ist, berücksichtige er das und leugne es nicht: Auf diese Weise geht es allen am besten.
Persönlich gefällt mir von diesen vieren die Gefolgschaft noch am besten, aber allzu oft führt sie zu Situationen wie der in Elephant Boy, wo der Vater vor den Tiger springt, weil er die Fähigkeiten seines Herrn überschätzt, was schlecht für ihn und peinlich für den Herrn ist.
Die Andienschaft ist seit einiger Zeit auf dem Rückzug. Sie ist eine Gemeinschaft, in welcher Binnen- und Außeninteressen verhandelt werden, und sie bringt charakteristische Gestalten hervor, wie die Prachtochsen an der Spitze und die grauen Existenzen in den hinteren Bänken. Sie ist im höchsten Grade abstoßend, vermag aber Spannungen abzufedern und ist noch jedem Mann der Tat ein akzeptierter Ersatz für Gefolgschaft.
Über Abgöttischaft möchte ich mich nicht weiter groß auslassen, sie erschien mir schon als Kind von sechs Jahren als Versuchung und heute verstehe ich, warum, nämlich weil sie den Boden aller Tatsachen, die göttliche Natur, verläßt. Ich denke nicht, daß sie zunimmt, aber sie geht auch nicht in dem Maße zurück, in welchem man es erwarten könnte. Merkwürdigerweise hat sie die Anhebung des Bildungsniveaus relativ unbeschadet überstanden. In den 70er Jahren zehrte sie noch von Phantasien, aber ungefähr seit 2000 hat sich ein Zustand der bewußt bejahten Willkür eingestellt, welcher charakteristisch für Postmoderne, Agenda 21 und Multikulturalismus ist und heute im Gerede von alternativen Realitäten, wenn es um unliebsame Tatsachen geht, seinen logischen Endpunkt gefunden hat.
Man kann auch sagen: Heute erscheint die Politeia wieder weniger töricht zum Thema Schüler unterrichten Lehrer als Pippi Langstrumpf - der Scheitelpunkt des Fortschrittsglaubens ist überwunden.
All dies geht also zurück oder stagniert, und Orden und Stände gehen auch zurück, wie verhält es sich also mit Vertreterschaft?
Vertreterschaft, denke ich, nimmt zu. Zunehmend scheinen mir Personen mit maßgeblichem Bekanntheitsgrad Angehörige einer andersgestellten Schicht zu sein, welche ihre Zugehörigkeit mit einem andersgearteten Verhaltenskodex erkaufen. Wenn ich diesen Leuten in die Augen blicke, so sehe ich da nicht den Apparatschik, den Andienenden, welcher seinem Herren dient, entweder mit einem Blick verletzter Ehre oder überzeugten Müssens, sondern ich sehe da den Klienten, welcher alle Verträge unterschrieben hat und jetzt seinen Preis will.
Allerdings reden wir auch weiterhin von einer relativ kleinen Gemeinschaft. Gemeinschaft insgesamt geht also zurück. Vertreterschaft legt absolut und anteilsmäßig zu und Abgöttischaft noch anteilsmäßig. Gefolgschaft geht selbst anteilsmäßig zurück, und Andienschaft mag anteilsmäßig stagnieren.
Diese vier sind technischer Natur, Orden und Stände aber grundsätzlicher und können im Falle von Orientierungslosigkeit respektive Systemversagen also schlagartig zulegen, weswegen sich ihre quantifizierende Verfolgung erübrigt. Worum es mir hingegen bei dieser Analyse geht ist, daß sich die uns bekannten Gemeinschaftsformen im Umbruch befinden, und insbesondere, daß wir in einer Lage weitverbreiteter Bindungslosigkeit mit uns fremden Gemeinschaftsformen konfrontiert werden, was die staatliche Ordnung ab einem bestimmten Punkt auflösen wird, bis zu welchem die Abgöttischen die Rolle von Potemkin'schen Dörfern spielen.
Labels: 20, formalisierung, geschichte, gesellschaftsentwurf, gesellschaftskritik, gesetze, institutionen, sehhilfen, wahrnehmungen, zeitgeschichte, ἰδέα, φιλοσοφία