Bereitschaftsbeitrag

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2. April 2020

Verbindendes und Trennendes der Zeitalter

Was ein Zeitalter zusammenhält ist das selbe, was es von andern trennt.

Ich möchte der größeren Anschaulichkeit halber meine bisherigen Betrachtungen zur Struktur der drei Zeitalter, insbesondere zu ihren gesellschaftlichen Grundlagen, noch einmal neu entwickeln.

Jede Gesellschaft geht von einer Basis (dem Mächtigen) aus, welche von ihren Mitgliedern unbedingt zu bejahen ist. Auf ihr aufbauend entspinnt sich das gesellschaftliche Leben, und dieses wird von etwas bewegt (nämlich dem Schönen). Aus der Bewegung schließlich entsteht eine sich sukzessiv wandelnde Form (das Wesentliche).

Demjenigen, welches die Gesellschaft bewegt, begegnen ihre Mitglieder mit Herzlichkeit, also in einem freimütig teilenden Geiste, die Form hingegen, welche aus der Bewegung entsteht, halten sie für ehrwürdig.

Diese nun sind alle verschieden, Unbedingtheit, Herzlichkeit und Ehrwürdigkeit: was einer für unbedingt oder ehrwürdig hält, das hält ein anderer nicht ungestraft für herzlich, indem er leichtfertig mit ihm umgeht, und was einer für unbedingt oder herzlich hält, das hält ein anderer nicht ungestraft für ehrwürdig, indem er seine stillschweigende Anerkennung verlangt. Einzig daraus, daß jemand etwas für unbedingt hält, sollte ihm unter vernünftigen Menschen keine Strafe erwachsen können.

Alle mögliche Formung erwächst aus den drei Betroffenheiten durch Beteiligung, Ordnung und Verantwortung, jede von welchen eine Gesellschaft sich zur Basis wählen kann, womit ihre Bewegtheit und Form ebenfalls feststeht, denn
  • Ordnung bewegt die Vorkehrung, welche die Verantwortung formt,
  • Verantwortung bewegt die Benutzung, welche die Beteiligung formt und
  • Beteiligung bewegt die Einverleibung, welche die Ordnung formt.
Das Geformte dabei nennen wir aber auch Kultur, Organisation und Bildung und das Bewegende auch Lehre, Aufgabe und Teilhabe, doch möchte ich dies der Übersichtlich- und Vollständigkeit halber in Tabellenform festhalten:
Zeitalter derunbedingte Basis herzliches Bewegendes ehrwürdige Form
Werke Unterstützung Lehre Kultur
Wacht Anerkennung Aufgabe Organisation
Wunder Gewährung Teilhabe Bildung
Im Zeitalter der Werke gilt es unbedingt, daß andere zu unterstützen sind. Die gemeinsame Beteiligung am Gemeinwesen ist die gesellschaftliche Basis. Bewegt wird die Gesellschaft durch die in ihr vorherrschenden Lehren, an welchen sich ihre Herzlichkeit entzündet, und durch die so ergriffenen Vorkehrungen wird ihre Kultur geformt, welche ihr als ehrwürdig gilt.

Im Zeitalter der Wacht gilt es unbedingt, daß Tugenden anzuerkennen sind. Die gemeinsame Ordnung durch den Götterhimmel ist die gesellschaftliche Basis. Bewegt wird die Gesellschaft durch die Aufgaben, vor welchen sie steht und an welchen sich ihre Herzlichkeit entzündet, und durch die dabei stattfindende Benutzung wird ihre Organisation geformt, welche ihr als ehrwürdig gilt.

Im Zeitalter der Wunder gilt es unbedingt, daß Einrichtungen zu gewähren sind. Die gemeinsame Verantwortung für die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit ist die gesellschaftliche Basis. Bewegt wird die Gesellschaft dadurch, andere herzlich an den eigenen Erfahrungen teilhaben zu lassen, und durch die dabei stattfindende Einverleibung bilden sich die Menschen, deren Bildung ihr als ehrwürdig gilt.

Ich warnte also vorhin davor,
  • Anzuerkennendes oder Gebildetes als Lehre zu betrachten,
  • zu Gewährendes oder Kultur als Aufgabe und
  • Unterstützung oder Organisation als Teilhabe, sowie davor, daß
  • Gebildetes als Anzuerkennendes oder Lehre betrachtet werden könnte,
  • Kultur als zu Gewährendes oder Aufgabe und
  • Organisation als Unterstützung oder Teilhabe.
Meine Ernüchterung zuletzt speist sich daraus, daß an Herzlichkeit zu Beginn eines Zeitalters zunächst nicht zu denken ist, da es das vorige Zeitalter als Sakrileg ansieht, das Mächtige für schön zu halten, also in Fragen der Unbedingtheit Herzlichkeit zu zeigen. Trotzdem muß man am Herzlichen festhalten, denn es ist der Keim des Lebens, selbst wenn zuerst die alte Unbedingtheit an der neuen zerbrechen muß.

Das letzte Mal, als dies geschah, traf die Liebe der Tugend auf die Gebote der Tugend und mußte sich zunächst durch ihre Einigkeit erweisen, bevor sie zu einer vertrauensvolleren Ordnung der Welt übergehen konnte, dieses Mal liegt der Erweis, durch welchen sich die Liebe des Gemeinwesens vor den Geboten des Gemeinwesens auszeichnen muß, in beider Verläßlichkeit, und erst danach kann die Ordnung der Welt eine gemeinschaftlichere werden.

Einst wird dann die Liebe der Einrichtung den Geboten der Einrichtung den Rang ablaufen, indem sie sich als erfinderischer erweist, und die Welt zu einer anspruchsvolleren Ordnung führen.

Am anspruchsvollsten ist die Ordnung der Welt aber am Ende des Zeitalters der Werke, am gemeinschaftlichsten am Ende des Zeitalters der Wacht und am vertrauenvollsten am Ende des Zeitalters der Wunder, und zwar jeweils zu einem solchen Grade, daß es problematisch wird.

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