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4. Dezember 2021

Behelfs- und Bruchstimmungen

Ich sprach davon, daß Kinder Haltungen kritiklos übernähmen, aber genau genommen ist es noch nicht einmal so, sondern lediglich so, daß sie eine etwaige auf ihnen lastende Stimmung ertragen, ohne Abhilfe in einer Haltungsänderung zu suchen.

Der Grund hierfür ist natürlich die Ohnmacht des Kindes: Zwar vermißt das Kind etwas, aber es weiß, daß es nicht mehr tun kann, als sich die Möglichkeit zu erhalten, es später zu erlangen. Eine solche Stimmung, in welcher sich nicht das eigene Leben vollzieht, sondern lediglich sein späterer Vollzug ermöglicht wird, möchte ich eine Behelfsstimmung nennen. Neo ist einer solchen Stimmung, bevor ihm das Orakel die Aufgabe zuweist, Morpheus aus den Händen des Agenten Smith zu retten, und der Splitter in seinem Geiste ist die Erinnerung daran, daß seine Stimmung nur eine Behelfsstimmung ist. Das gewöhnlichste Beispiel einer Behelfsstimmung besteht darin, es seinen Eltern recht zu machen, gefolgt davon, es der Gesellschaft recht zu machen. Es ist in beiden Fällen klar, warum dies dabei hilft, sich die Möglichkeit des späteren Vollzugs des eigenen Lebens zu erhalten: Ohne Unterstützung geht es nicht, aber sie hat ihren Preis.

Und auch Neo wartet erklärtermaßen. Nun, warten zu müssen heißt, daß der Eigenlauf des Ichs gestört ist, also daß es unserem Leben an Wesentlichem mangelt, welches wir verfolgen könnten, oder an Schönem, welches wir einlösen könnten, oder an der Macht etwas auszulösen, und dies tritt nicht nur im Rahmen der Verhandlung der Zusammenarbeit auf, sondern auch am Ende der Zeitalter, wenn die Entwicklungsrichtung des Zeitalters im Zeitalter
  • der Wacht das Schöne dem Wesentlichen opfert,
  • der Werke das Wesentliche der Macht und
  • der Wunder die Macht dem Schönen,
also jeweils die Basis dem gesellschaftlich Entwickelten.

Eine solche Störung des Eigenlaufs des Ichs kann auch als Störung der Geschichte bezeichnet werden, und Abhilfe schafft in diesem Fall Gott, und die entsprechende Behelfsstimmung begleitet
  • die Auslieferung an das Wesentliche oder
  • die Enthebung zum Schönen oder
  • die Unterwerfung unter das Mächtige,
wobei die Abhilfe aber nur in klar erfaßten Fällen der Geschichtsstörung, also der Hinderung des Vollzugs des göttlichen Heilsplans, gesucht werden kann, da Gott unser Herr und nicht unser Diener ist.

Kinder, also, erfüllt für gewöhnlich eine Behelfsstimmung und bei Greisen ist es oftmals eine Bruchstimmung, welche auf der Einschränkung des Gewahrseins des Greises, seiner Gewahrlosigkeit, beruht, welche bewirkt, daß er seine Haltung nicht vollumfänglich beurteilt, sondern nur in Bruchstücken, wie allgemein bei Greisen Vorstellung und Erinnerung die Wahrnehmung verdrängen und die Synthese die Analyse, so daß sie sich oft versehen und verhören und eben auch verstimmen, wenn man so will.

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