Menschenführung und Karl-Marx-Effekt
Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat.Sehen wir einmal, ob sich noch eine weitere Anwendung der Worte des Herrn findet.
Karl Marx zur Konzentration des Kapitals
Ich vertrete ja die These, daß der Mensch mit dem Fortschritt der Technologie zusehends unwesentlicher wird. Daß dies so ist, folgt schlicht daraus, daß genau dies das Ziel des Fortschritts der Technologie ist: Prothesen werden entwickelt, um sich nicht auf seine eigenen Glieder verlassen zu müssen.
Was bedeutet dies aber für die Menschenführung?
Nun, ohne Technologie gäbe es überhaupt keine Menschenführung, denn wieso sollte sich einer führen lassen, wenn er eine Keule hat, und der andere, wer ihn führen will, auch nur?
Und das ist zugleich die größte Wesentlichkeit, welche einem Menschen zukommen kann, daß er als ein solcher, welcher er nun einmal ist, zu Rate gezogen werden muß.
Indem nun die Technologie voranschreitet, werden die Menschen nach ihrer Wesentlichkeit stratifiziert, in Wesentlichere, deren Fähigkeiten die Technologie noch nicht ersetzen kann, und Unwesentlichere, bei welchen sie es bereits vermag.
Nehmen wir Peter Seller's Jacques Clouseau zum Beispiel (wiewohl sein Sonny McGregor älter ist und auch ginge). Die Komik der Figur beruht wesentlich auf Verkleidungen, welche auf eine ganz bestimmte Weise unzeitgemäß sind. Aber auf welche? Nun, bevor es Photographien gab, waren in Ausweisen körperliche Auffälligkeiten vermerkt, etwa: flachsblonde Haare, blaue Augen, fliehende Stirn, Narbe am mittleren Finger der linken Hand. Und Seller's Verkleidungen fallen eben dadurch auf, derartige Besonderheiten zu betonen, um möglichst falsche sprachliche Beschreibungen seines Aussehens zu provozieren, was indes in Zeiten der Photographie zwecklos ist, und genauso zwecklos ist es, in Zeiten der Photographie darauf zu achten, daß mit Identifikationsfragen Befaßte eine Gabe für prägnante Beschreibungen haben.
Nun kann man einen Menschen leicht durch Gewalt davon abhalten, das zu tun, was man nicht will, aber im umgekehrten Falle taugt Gewalt weniger, denn woher läßt sich wissen, ob einer es nicht besser hätte machen können?
Und also müssen hinreichend begabte, wesentliche Menschen in ihrer Hingabe geführt werden und nicht in ihrem Gehorsam. Nun, das einfachste System dieser Art hat drei Komponenten:
- Indoktrination,
- Werkschutz und
- Bindung.
- Indoktrination von der Kanzel,
- Werkschutz durch die Beichte,
- Bindung durch den Glauben,
- Indoktrination durch die Presse,
- Werkschutz durch die Rechtsanwälte,
- Bindung durch die ärztliche Versorgung,
Hingegen stellt der Wandel von der Kanzel zur Presse und vom Glauben zur ärztlichen Versorgung eine qualitative Veränderung dar, in sofern erstere den Menschen auch als sozial wesentlich betrachten und letztere nur noch als persönlich wesentlich (entsprechend der gemeinschaftlichen und der persönlichen Phase des Glaubenszykels).
Nun, wenn nun die Hingabe zusehends vernachlässigbar wird, da die Technologie das gehorsame Befolgen von Anweisungen ermöglicht, wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn ein einfacheres System an die Stelle des alten tritt, nämlich
- Indoktrination nicht zur Hingabe, sondern zum Gehorsam,
- Werkschutz nicht der Hingabe, sondern des Gehorsams durch Ablaßhandel, also hinreichend potenten Widerspenstlern zu erlauben, sich im gegenseitigen Interesse vom Gehorsam freizukaufen.
Daß dies hingegen nicht zu größerer Stabilität führt, davon habe ich im vorigen Beitrag geschrieben: Sobald ein solches System allgemein anerkannt wird, wird auch der Kampf um seinen Gebrauch allgemein anerkannt. Sobald Zustimmung den Menschen nichts mehr gilt, gelten auch Menschen den Menschen nichts mehr.
Wiewohl behauptetermaßen sachlich erfordert und nur dem Zweck angepaßt, gibt die bloße Struktur der drei Erben der katholischen Kirche heute doch zu denken:
- die Presse predigt Benehmen,
- die Rechtsanwälte stellen hinreichend potenten Klienten Befreiung davon in Aussicht,
- die Mediziner sind der Nutznießer des Benehmens.
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