Bereitschaftsbeitrag

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15. August 2012

Infantilität

Ich verblieb im letzten Beitrag mit der Frage, ob die heute herrschende Gleichheitsethik durch Gewalt oder durch Einsicht beseitigt werden wird, eine Frage, welche ich natürlich nicht mit letzter Sicherheit beantworten kann. Indes läßt sich eine Lage desto besser einschätzen, je genauer man sie studiert, und diesbezüglich scheint mir der Aspekt der Infantilität der heutigen Gesellschaft äußerst ertragreich zu sein.

Das Kind zeichnet sich in ethischer Hinsicht dadurch aus, daß es die Gründe für die Regeln, an welche es sich halten soll, nicht versteht und mangels eigener Erfahrung auch nicht verstehen kann. Was seine innere Ungetrübtheit noch verstärkt, ist der Umstand, daß seine Eltern sich für gewöhnlich nicht gar so streng an ihre eigenen Regeln zu halten pflegen, wie sie es von ihrem Kind verlangen. Um es kurz zu sagen, Regeln, das ist etwas für die anderen, die Erwachsenen, welche man nicht versteht und nicht verstehen kann, welche einen zwingen, so zu tun als ob, obwohl sie sich selber nicht dazu zwingen.

Ein Kind nimmt an den Kämpfen von Erwachsen nicht teil. Es könnte es auch nicht, selbst wenn es das wollte, denn es versteht ja nicht, was die strategisch wichtigen Ziele sind.

Kinder können sich diese Haltung leisten, weil sie Kinder sind und mit der Zeit stärker werden, während die Erwachsenen mit der Zeit schwächer werden. Sie können sie sich leisten, weil ihre Chance, die Gesetze umzuschreiben, so es nötig werden sollte, erst noch kommt.

Nun gehört es zu den Mißständen unserer Zeit, daß weite Teile der erwachsenen Bevölkerung geistig Kinder geblieben sind und sich auch entsprechend verhalten, ein Mißstand, welcher sich selbst auf jene erstreckt, welche Macht, strategisch wichtige Positionen in ihren Händen halten.

Sie verstehen ihre Macht nicht, verstehen nicht, wozu es ihrer bedarf, benutzen sie einzig zu kindischen Zwecken. Und das bedeutet natürlich auch, daß ihnen diese Macht leicht entrungen werden kann. Nun wird man selbst ein dreijähriges Kind, welches einen mit einem geladenen und entsicherten Revolver bedroht, nicht frontal angehen und zur Herausgabe bewegen wollen, aber selbstverständlich wird man im Laufe eines Tages viel leichter wieder an diesen Revolver herankommen, als wenn das Kind bereits zwölf Jahre alt gewesen wäre.

Indes setzt dieses Vorgehen, wenn man es auf die heutigen Verhältnisse überträgt, die Bereitschaft zur Militanz voraus und diese wiederum geht mit einer natürlichen Neigung zur Feindschaft Hand in Hand.

Wesentlich an der heutigen Situation scheint mir einzig, daß es eine solche natürliche Neigung gibt, denn es bedeutet, daß ein militantes Vorgehen ergriffen werden wird und aufgrund der Infantilität der Gesellschaft wird es, wenn nicht erfolgreich, so doch schwerwiegend genug sein, um der Gesellschaft insgesamt ein militantes Vorgehen, also die Ausrufung des Ausnahmezustandes, aufzuzwingen.

Ich neige also zur Antwort, daß Gewalt die Gleichheitsethik beseitigen wird. Indes, wenn dies so kommt, ist eine Vorbereitung auf den Ausnahmezustand wesentlich, und dazu gehört insbesondere ideologische Flexibilität. Zu überleben und die Perspektive zu haben, so zu leben, wie man will. Mehr würde ich niemandem empfehlen, denn während Zerstrittenheit heute allenfalls frustrierend ist, wird sie dann tödlich sein.

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