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22. September 2012

Über ein spezielles Problem der Rechtsstiftung

Ich denke, dieses Problem wurde zuerst von Francis Bacon im Kaufmann von Venedig aufgeworfen, aber es scheint mir trotz dieser Prominenz sträflich vernachlässigt.

Die Rede ist vom mißbrauchten gewährten Recht. Natürlich kann man sagen, daß die erste Behandlung dieses Problems sogar noch älter und noch prominenter ist, nämlich die Behandlung von Jesus Christus durch Pontius Pilatus aufgrund vertraglicher Übereinkünfte mit den Juden, aber im Kaufmann von Venedig wird das Problem zum ersten Mal systematisch beleuchtet, während Pilatus zwar tun muß, was er nicht will, hat er doch nur persönliche Gründe, sich den Juden zu beugen, wohingegen der Doge aus Gründen der Rechtssicherheit gezwungen ist, Shylock seinen Willen zu geben.

Ich greife dieses Thema hier auf, weil es ein erstklassiges Argument für die von mir favorisierte Weltordnung beinhaltet, nämlich die Aufteilung der Welt in souveräne Sphären verschiedener Ideen des Zusammenlebens, welche letztlich von ihren jeweiligen religiösen Eliten beherrscht werden und auch durch diese in Verhandlungen mit einander vertreten.

Es ist nämlich so, daß kein Zwang guten Willen ersetzen kann, und man erwarten muß, daß ein Volk, dessen Rechtsempfinden nicht mit einem bestehenden Recht übereinstimmt, versuchen wird, dieses Recht zu mißbrauchen.

Wenn man nun aber eine höchste weltliche Autorität auf Erden hat, welche sämtliche Verträge garantiert, so wird sie ständig aufrecht erhalten müssen, was ihr zutiefst zuwider ist, und nicht jedes Mal wird es ihr gelingen, sich wie der Doge im Kaufmann von Venedig herauszuwinden. Wenn hingegen die Autorität nicht weiter reicht als der Wille zu dem Recht, welches sie verbürgt, wird es weit weniger Mißbrauch geben.

Wer nun einwendet, daß ja auch eine höchste weltliche Autorität lokale Besonderheiten anerkennen kann, den muß ich wieder auf das Beispiel der Entstehung der christlichen Religion verweisen. Etwaige Sonderrechte wurden von bestimmten Körperschaften erstritten und gelten nur für sie. Nun ist es aber das Natürlichste der Welt, daß Körperschaften sich spalten, wie sich die Christen von den Juden abgespalten haben. Und in diesem Fall ist die höchste weltliche Autorität gezwungen, und zwar eben aus Gründen der Rechtssicherheit, eine formal begründete Entscheidung darüber zu treffen, welche Teilkörperschaft den Anspruch auf das Sonderrecht hat, was im Falle des Christentums in die Christenverfolgung mündete.

Dies ist ganz typisch, geradezu unvermeidlich, und die Lehre daraus muß lauten, eben nicht die Verantwortung für das Recht Andersgläubiger zu übernehmen, denn in dem Moment, wo man darauf verzichtet, darf man wieder parteiisch sein. Betrachten wir das freilich sehr hypothetische Beispiel eines Schismas im Islam, in welchem die konservative Seite die Sonderrechte, welche sie gegenüber den Vereinten Nationen erstritten hat, einzig für sich beanspruchte. Es ist nicht schwer zu sehen, in welch groteske Situation dies die Vereinten Nationen brächte. Sie würden jegliche Reformbewegung dazu zwingen, mit einem Mal alle Sonderrechte aufzugeben.

Nicht nur gibt es keinen universellen Glauben und kann es ihn auch nicht geben, es ist auch so, daß jeglicher Versuch, eine universelle rechtliche Autorität zu etablieren, an den Spannungen, welche sie selbst erzeugt, zu Grunde gehen muß.

Alle Rechtsanwälte zu töten war Bacon ein echtes Herzensanliegen, das ist nicht nur so ein Spruch.

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