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9. Oktober 2012

Religiösität in autoritären Gemeinwesen

Dieser Beitrag mag den Leser, welcher zum ersten Mal einen Text von mir liest, verwundern, denn schließlich sind wir ja sowohl über Religiösität als auch über autoritäre Gemeinwesen hinweg. Daß dies mein Interesse an diesem Thema nicht schmälert, liegt daran, daß es ein entscheidendes der Weltgeschichte ist und alleine deswegen schon auch bleiben wird.

Der unmittelbare Auslöser meiner Beschäftigung mit diesem Gegenstand ist das beständige Gerede von der Notwendigkeit Europas eingedenk der historischen Erfahrungen mit dem Nationalismus. Was aber ist Nationalismus? Wann begann er und wann endete er?

Ich behaupte, daß der Nationalismus 1813 als Reaktion auf die militärischen Möglichkeiten der totalen Mobilmachung begann und 1918 mit der Machtverschiebung von Europa nach Amerika endete. Er ist seinem Wesen nach die Unterstellung der Bürger eines Staates unter dessen militärische Führung, gleich welche zivile Führung er besitzen mag. Und er ist im wesentlichen areligiös.

Ich verdanke Arthur Schopenhauer den Hinweis darauf, wie die anglikanische Kirche zu seinen Lebzeiten organisiert war, nämlich als Auffangbecken der jüngeren Söhne der Aristokratie, welche ihnen ihre Kirchenposten kaufte. Prägnanter kann man das Wesen der Kirche in einem nationalistischen Staat nicht fassen: die Fakten schaffen andere, die Kirche redet sie dem Volk schön.

Unter Religiösität verstehe ich hier aber das Einfordern richtiger Verhaltensweisen unter Anerkennung einer letzten Instanz, welche über allen irdischen Instanzen steht, oder anders ausgedrückt die Unterwerfung aller Mitglieder eines Gemeinwesens unter verbindliche Verhaltensregeln für die ganze Menschheit, wobei der Grund dafür, daß diese Regeln die Menschheit als Ganzes ins Auge fassen, nicht der ist, daß sie in irgendeinem Sinne auf ihre Befolgung durch die ganze Menschheit angewiesen wären oder diese auch nur erstrebenswert wäre, sondern darin besteht, daß sie zum einen ihre Autorität gegenüber der ganzen Menschheit hermetisieren müssen und zum anderen die Vorteile der rücksichtslosen Behandlung des Restes der Menschheit beschneiden, denn täten sie letzteres nicht, so verschaffte dem Gemeinwesen das erstens viele äußere Feinde und zweitens viele korrupte Mitglieder.

Jedes Gemeinwesen sagt im Grunde genommen, daß Gott ihnen diese Regeln bestimmt hat und niemandem sonst andere Regeln für es bestimmt hat oder bestimmen wird, woraus sich freilich periphäre Konflikte ergeben, welche indes natürlich sind, und nicht menschengemacht.

Eine solche Religiösität bestand also in den nationalistischen Staaten des neunzehnten Jahrhunderts nicht. Aber daraus läßt sich nicht allzu viel lernen, dafür ist die beobachtete Zeitspanne viel zu kurz. Es wird gesagt, wir sollten heute nicht die Risiken eingehen, welche die Menschen damals eingingen, ohne daß jene, welche dies sagen, wüßten, worin diese Risiken bestanden.

Zum einen gab es damals konkrete Risiken, wie der Annäherung an Großbritannien auf Betreiben Wilhelms II, welches zu ihr nicht bereit war und welche Frankreich leichtes Spiel in Rußland verschaffte. Daraus kann man freilich auch etwas lernen, aber doch nicht das, worauf die Proeuropäer heute hinauswollen. Ein anderes Risiko bestand offenbar darin, daß sich die ostelbischen Gutsbesitzer die politische Führung ganz Deutschlands aufbürdeten. Nun, wie gefährlich auch immer das war, diesen Fehler könnten wir heute selbst dann nicht wiederholen, wenn wir es wollten... oder etwa doch? - aber das ist ein anderes Thema.

Und zum anderen gab es ein allgemeines Risiko, welches sich generell mit areligiösen autoritären Gemeinwesen verbindet, welches aber alleine durch die Betrachtung des Nationalismusses nicht hinreichend in den Blick kommt.

Um es wahrhaft in den Blick zu bekommen, betrachten wir einmal drei asiatische Beispiele, nämlich Tibet, die Mongolei und Japan oder anders ausgedrückt den Dalai Lama, den Khan und den Tenno. An der Autorität der von ihnen jeweils geführten Gemeinwesen kann, denke ich, kein Zweifel bestehen. Es ist auch nicht so, daß nun die Mongolen kriegerisch gewesen wären und die Japaner und Tibeter Pazifisten. Kriege gab es bei allen von ihnen zur Genüge, und doch unterscheiden sich ihre Schicksale. Die Mongolen hatten eine expansive Phase und sind daran schließlich zerbrochen, während Tibet und Japan, die längste Zeit wenigstens, territorial stabil blieben. Nun mag man sagen, daß dies im Falle Japans geographisch bedingt gewesen sein mag, aber gerade im Falle Japans läßt sich erkennen, daß es andere Gründe hat.

Meine These ist, daß Tibet und Japan als religiöse Gemeinwesen im obigen Sinne bezeichnet werden konnten, daß also Dalai Lama und Tenno nicht über den allgemein verbindlichen Regeln standen, während es die Khane sehr wohl taten. Und im Falle Japans läßt sich eben explizit erkennen, daß diese Religiösität, welche ja in nichts anderem besteht als darin, bestimmte Handlungsweisen zu verwerfen, durch die Öffnung der japanischen Häfen durch die Vereinigten Staaten im Jahre 1853 unter dem Kommando von Matthew Perry beseitigt wurde, und zwar weil den Japanern die Ungültigkeit ihrer Regeln, soweit sie Ausländer betrafen, vor Augen geführt wurde. Weil diese sich Rechte herausnahmen, welche sich nie zuvor jemand herausgenommen hatte, setzte sich in Japan die Ansicht durch, daß auch der Tenno sich, jedenfalls ihnen gegenüber, Rechte herausnahmen dürfe, welche er sich bis dahin nicht herausgenommen hatte.

Und genau in diesem Moment begann Japans expansive Phase.

Religion wirkt in autoritären Staaten als Fessel, und wenn diese zerschnitten wird, so richtet sich der nun letztinstanzlich menschlich geführte Staat gegen seine Nachbarn.

Das ist ein allgemeines geschichtliches Gesetz, mögen die Freimaurer die Welt auch noch so sehr auf den Kopf stellen wollen. Im Falle Chinas lautet die uns letztlich zu äußerst betreffende Frage, in wiefern China im eigentlichen Sinne ein autoritärer Staat ist, religiös ist China sicher nicht.

Aber diese Frage stellt sich nicht nur für China, sondern auch für uns selbst, ebenso wie für die Vereinigten Staaten, denn religiös im obigen Sinne sind wir alle nicht. In diesem Sinne religiös sind noch Indien und die islamische Welt, dazu weiter unten mehr, und Rußland versucht gerade wieder auf diese Weise religiös zu werden.

Was uns selbst betrifft, so werden wir offensichtlich autoritärer, und zwar aus Schwäche. Je unfähiger unsere Politiker werden, nach desto größerer Machtfülle rufen sie, um ihre Arbeit machen zu können. Im gesamtgesellschaftlichen Bereich sieht es auch nicht anders aus. Immer mehr Menschen geben ihren Anspruch auf, ihr Leben selber zu meistern, und das öffnet zwangsläufig autoritären Kräften Tür und Tor.

Dies alles beweist jenseits jeglichen Zweifels, daß jene die Gefahr scheuenden Proeuropäer nicht das geringste Verständnis dafür haben, wo Gefahr auf sie lauert, noch, um dies an dieser Stelle hinzuzufügen, worin eigentlich ihre Aufgabe als Politiker besteht, denn weiter als die Sicherung der europäischen Sozialsysteme reichen ihre Zielvorstellungen nicht.

Es ist übrigens auch umgekehrt, also daß ein expansiver autoritär geführter Staat seine Expansivität einbüßt, wenn er religiöser wird, wie es den römischen Kaisern ergangen ist. Allerdings muß man in diesem Fall die Einschränkung machen, daß jedes Gebilde, welches auf dem Grundsatz Expandiere oder stirb! aufgebaut ist, zwangsläufig zu Grunde gehen muß.

So, schließlich möchte ich mit dem Mythos aufräumen, daß der Islam eine Religion sei, für welche die postulierte Gesetzmäßigkeit nicht gilt. Betrachten wir einmal die letzten beiden großen Invasionen im muslimischen Raum. Dies waren einmal die Seldschuken und zum anderen die Moguln, beide von Mittelasien ausgehend, und, so viel wird man wohl sagen dürfen, damit nicht vom Zentrum islamischer Frömmigkeit.

Und wie sah es zuvor aus?

Zum einen sollte man die arabische militärische Leistung nicht überschätzen. Rom war bereits von den West- und Ostgoten, den Wandalen und schließlich und vor allem durch die Byzantinisch-Sassanidischen Kriege buchstäblich verwüstet worden, bevor der erste Araber seinen Säbel zog. (Man bedenke allein all die Bäume, welche für die Flotte gefällt werden mußten, welche Geiserich dann vor Karthago versenkte, nur so als Beispiel dafür, daß Verwüstung nicht unbedingt das Resultat einer absichtsvollen Handlung sein muß.)

Wie gesagt, ich sehe bei letzteren eine von Damaskios ausgehende Verschwörung am Werk, um die Araber an die Macht zu bringen, und im Koran finden sich folgende Verse (Sure 30, Verse 2-5).
Das Römische Reich wurde besiegt. In einem Land nahebei. Aber nach ihrer Niederlage werden sie bald siegen. Innerhalb weniger Jahre. Es ist Gottes Entscheidung, in der Vergangenheit und in der Zukunft. An jenem Tag sollen sich die Gläubigen - mit Gottes Hilfe - freuen. Er hilft, wem er will. Er ist allmächtig, der Gnädigste.
Des weiteren ist es doch bei Licht betrachtet alles andere als naheliegend zu glauben, daß die Araber der ersten Generation weit religiöser gewesen wären als alle nach ihnen. Um einiges wahrscheinlicher ist es, daß der Islam sich im Laufe der Zeit von einer esoterischen Religion zu einer exoterischen wandelte, man lese nur die 18te Sure Die Höhle vor diesem Hintergrund.

Und der Sieg über die Westgoten in Spanien fand, aller Wahrscheinlichkeit nach, nie statt. Diese waren als Arianer geächtet und wären doch schön blöd gewesen, wenn sie nicht aus politischen Gründen zum Islam übergetreten wären, vorausgesetzt, daß ihnen das verlockender erschien als ein Übertritt zum Katholizismus, wovon man aber wohl aufgrund des Schicksals der übrigen germanischen Invasoren innerhalb des Römischen Reiches ausgehen kann. Unsere Version der Geschichte ist wahrscheinlich nicht mehr als die Legitimation der Reconquista.

Nun wird man vielleicht einwenden wollen, daß, selbst wenn das alles so gewesen wäre, es heute doch anders aussieht. Aber ist das Zusammenspiel von Globalisten und Wahhabiten, welche beide die Spuren sämtlicher menschlichen Geschichte tilgen wollen, wirklich im oben beschriebenen Sinne religiös? Zeigt sich in ihm die Akzeptanz einer letzten Instanz, welche über den Menschen steht? Oder zeigt sich in ihm vielmehr ein sich abzeichnendes autoritäres Regime, welches sich selbst als letzte Instanz sieht? Riecht man nicht förmlich die Allmachtsphantasie in sämtlichen Symbolbautenn der jüngsten Vergangenheit?

Wer diese Moschee betrachtet, der sieht wohl noch etwas Religiöses in ihr, aber dieses Religiöse gilt nicht mehr für alle, überdeutlich schreit sie: Nur durch uns! in die Welt hinaus, katholischer, als es die katholische Kirche je war.


Und zugleich könnte das ein Einkaufszentrum sein.

Nicht, daß jemand diesen Beitrag liest und meine anderen nicht und denkt, ich hielte die gleichberechtigte Koexistenz von verschiedenen Religionen an einem Ort für möglich, das tue ich nicht, die an verschiedenen Orten aber schon.

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