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28. Juli 2014

Die Trennung der Geister in der dritten Phase des Glaubenszykels

Vorgestern meinte ein Inder, welcher neben mir Smalltalk mit einer deutschen oder englischen Touristin hielt, daß die Jahreszeiten in Estland ein Problem wären, weil die Unterschiede so groß seien, daß man im Sommer nicht glauben könne, wie kalt der Winter wieder werden wird, und im Winter nicht, wie heiß der Sommer.

Ich hatte gerade ganz ähnliche Gedanken, nur daß ich es nicht als Problem ansehe, sondern als Geschenk. Es ist völlig überflüssig, in Urlaub zu fahren, die Welt selbst kommt zu Besuch. Und gerade ist Arabien dran.

Warum also nicht auch arabische Sitten annehmen und tagsüber schlafen und nachts arbeiten?

Heute nacht, von zwölf bis zwei, hatte ich fast so etwas, wie es in Sure 92 beschrieben wird. Es ist ja auch schön, die Sterne wieder am Himmel, das Sonnenrot noch immer am Horizont, die Luft angenehm mild.

Der Irrsinn, die täglich zur Schau getragenen Kommunikationsstörungen, ach, was werden sie wieder aushecken, wenn die Sonne aufgeht? Aber einstweilen ist es immer noch still.

Gott ist fühlbar, er war es auch vorgestern auf dem Untsakad-Konzert. Selten geworden ist das Licht gar nicht. Und doch, etwas ist in der Welt, etwas Reales, was jeden Bezug zu ihm verloren hat.

Es kleidet sich in unterschiedliche Gewänder, aber stets ist ihm gemein, daß es bereits alles weiß, bevor es hinsieht. Es glaubt an Prinzipien oder Formen und ist blind gegenüber den Bedingungen ersterer oder unirritiert von der uniformen Wiederholung letzterer. Weder scheint ihm das eigene Leben eine schöpferische Leere zu enthalten, welche Gestalt in der Welt anzunehmen sucht, noch fühlt es das Dasein dessen, was es beschreibt. Und es ist keineswegs so, daß es dies nur ab an an vergäße. Es ist in seinen Mustern zu Hause, jeder Erfahrung weisen sie ihren Platz zu. Und wenn etwas nicht in sie paßt, reagiert es ordinär, auf gewisse Weise unbeholfen, ungeleitet, genauer gesagt, denn es folgt stets, wenn es meint, sich selber auszudrücken.

Und wen es nicht ergriffen hat? Was fühlt der?

Ihm ist das alles fremd, er weiß, daß er, ob er nun etwas für die Gesellschaft tut oder nicht, in jedem Falle vor einem Ungetüm steht, welches womöglich aufnimmt, was er zu geben hat, aber auch dann in einem schlechten Traum verbleibt, daß er letztlich nicht mehr macht, als vor Steinen zu tanzen, wiewohl sein Herz ihn tanzen lassen mag.

Er schottet sich ab, zieht Grenzen und hofft, sich dabei nicht abzuschneiden. Immerhin, jedes Werk kommt so zu Stande, aber welches Werk genügt?

Was die Welt nicht betrifft, ist nicht getan. Was die Entmenschlichung nicht beseitigt, fesselt uns weiter an sie.

Aber dieser Zustand ist zwangsläufig, eine feststehende soziale Ordnung wird immer nur von sehr wenigen als die ihre empfunden. Die meisten fühlen sich fremd oder sie geben ihr Denken ihr preis.

Mit anderen Worten liegen über der dritten Phase des Glaubenszykels die Schatten der Uneigentlichkeit und Vergeblichkeit. Aber gerade weil diese über ihr liegen, muß etwas neues aus ihr hervorquellen.

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