Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

1. Januar 2017

Vor der verschlossenen Zeit



Schirach wird dieses Interview sicherlich als Sieg verbucht haben, denn er schafft es, sowohl seine eigene Unversöhnlichkeit als Spiegelbild jener der Besatzer darzustellen, als auch letztere als Teil eines närrischen Unterfangens - als ob er, Baldur von Schirach, keine Nachwirkung in Nachkriegsdeutschland mehr habe, weil man seine Tomaten entsorgt hat!

Aber etwas an dieser ganzen Zurechtweisung, das bleibende Faktum der Wehrhaftigkeit, gleich wie man sie betitelt, und der Undurchsichtigkeit politischer Machenschaften, welches von einer ebenso bleibenden selbstverordneten Ignoranz begleitet wird, wie man sie heute exemplarisch am Beispiel des arabischen Frühlings studieren kann, steht ganz und gar auf verlorenem Posten, nämlich die Unfähigkeit, über das eigene Schicksal hinauszudenken.

Wer mir ein Unrecht tut, hat damit natürlich wenig erreicht, so daß ich mich vielleicht nicht damit rühmen sollte, daß ich solches Unrecht nicht zum Anlaß nehme, mich fortan nicht mehr mit dem zu beschäftigen, womit ich etwas erreichen kann. Und auch sagt Schirach, daß ihm kein substantielles, sondern allenfalls ein akzidentielles Unrecht widerfahren sei. Und doch, seine Gedanken gehen zurück, nicht voran.

Was hält einen Menschen in derart unnützen Erwägungen gefangen?

Die Hoffnung, fraglos. Die Hoffnung, einen anderen dazu zu bringen, eine getroffene Entscheidung zu revidieren. So wie man sich nicht nach einer neuen Freundin umsieht, so lange man hofft, die Beziehung zur alten noch irgendwie kitten zu können.

Das aber ist wenig weise. Die Zeit revidiert getroffene Entscheidungen, wenn sie falsch waren. Ruhigen Herzens sei ihr das übergeben, insbesondere, wenn es sich um Entscheidungen anderer Nationen handelt, bei Frauen mag man immerhin einwenden, daß man die Zeit einfach nicht hat, aber was Frauen betrifft, ist es immerhin ein Trost zu bedenken, daß man nicht mehr verlieren kann als die Gelegenheit, den eigenen Ansatz ihren Zielen unterzuordnen.

Nein, der Zeit sei es überlassen, das Vergangene gerade zu rücken, man selbst verlege sich besser darauf, sich dem Kommenden zu stellen: Vor der Zukunft sind wir alle gleich, zu ihren Aufgaben haben wir uns noch nicht zusammengeschlossen und deshalb hören wir uns gegenseitig zu. Das ist der Acker, den zu bestellen die Unschuld drängt, die Fruchtbarkeit des sich erneuernden Lebens.

Wahrlich, wären wir unsterblich, wir verbrächten all unsere Zeit damit, über das Vergangene mit einander ins Reine zu kommen. Und was wäre unser Lohn? Daß wir keinen Augenblick sich in uns entfalten ließen: Der Gipfel der Torheit!

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