Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

21. Februar 2017

Projektion

Hier in Estland erlebe ich es fast jeden Tag: Die Dinge sind, zu was wir sie machen.

Ob ich draußen spazieren gehe, drinnen in der Sauna sitze oder tauche, es ist ganz und gar meine Entscheidung, ob ich friere und meine Zähne klappern oder ob ich mich einem leichten Kältedruck, jetzt auf meinen Oberschenkeln, jetzt auf meiner Brust, jetzt in meinen Armbeugen, jetzt wieder auf meinen Oberschenkeln, stelle, ob meine Haut verbrennt oder ob ich gegebenenfalls mal kurz über eine etwas zu heiße Stelle drüberwische, ob ich in Panik gerate, weil ich keine Luft mehr kriege, oder ob ich in Ruhe den Frieden der unteren Etagen des Schwimmbeckens genieße.

Kurz, wir haben eine Verantwortung dafür, die Welt auf die richtige Weise zu nehmen, nicht nur bei unseren täglichen Geschäften, sondern noch viel mehr bei unseren Gebeten, was aber in beiden Fällen keine reine Frage der Entscheidung ist, sondern wesentlich von unserer emotionalen Stabilität abhängt.


Die Frau zur Linken erinnert mich an jemanden, vielleicht ist sie's auch selber, aber dann wäre sie in den letzten 20 Jahren genauso wenig gealtert wie ich. Diese Zusammenstellung ist natürlich so oder so in höchstem Maße kurios, ich will die einzelnen Aspekte hier nicht weiter durchgehen, und Spott fürchte ich sowieso nicht, aber ich fürchte ihr Gesicht, und als ich heute nachmittag an naheliegender Stelle über dieses Bild gestolpert bin, habe ich buchstäblich ein dutzend verschiedene Gesichter gesehen, und das alleine ist Grund genug, ihr Gesicht mit jenem früheren in Zusammenhang zu bringen, in welchem ich auch stets etwas anderes sah.

Jene damals hätte mein Herz nicht angesprochen, wenn ich ihr nicht irgendetwas hätte geben wollen, und zugleich empfand ich die deutlichste Warnung davor, ihr auch nur irgendetwas zu geben, und sei es die Hand.

Wie gesagt, ich hatte heute nachmittag dutzend verschiedene Gesichter im obigen gesehen, und auch in meinem eigenen, wenngleich nicht in dem hier gewählten, aber ich einigte mich schließlich mit mir selbst auf eine gewisse Traurigkeit und Eigensinnigkeit, welche prinzipiell unerreichbar ist, den Vorsatz, einen bestimmten Ton zu halten, und auch jetzt kann ich sie in ihm erkennen, wenn ich mich anstrenge, doch mittlerweile sehe ich in ihm in stabiler Ruhelage ein Friedensangebot eines zufriedenen Herzens, und es bedeutet mir nichts, es anzunehmen, außer jemandem diese Zufriedenheit zukommenzulassen, wie ich es auch dem Badesee zukommen ließe, hinreichend warm zum Baden zu sein.

Aber richten wir den Blick vielleicht einmal auf das Wahrscheinliche. Ich fürchtete ihr also damals auch nur irgendetwas zu geben, weil ich nicht erkennen konnte, was vor mir stand, und meine Angst durchstreifte die unmögliche Weite, welche ich zu durchstreifen hätte, um es zu wissen - ein Prozeß, in welchem ich mich selbst verlieren müßte.

Wäre ich wieder 20 und begegnete mir wieder ein weiblich hoffendes Herz, dessen Hoffnung zu erfüllen mir entweder unmöglich oder moralisch zuwider wäre, etwa wenn sie sich mir nur ganz oder gar nicht geben wollte, was mich faktisch zu ihrem Sklaven machte: Ich müßte wieder so leiden wie zuvor.

Mit zunehmendem Alter werden Männer gleichgültiger gegen die Welt, wie sie wirklich ist, und wähnen sie sich stattdessen zunehmend zurecht. Es ist ein Teil der natürlichen Ordnung, des Mannes geistige Starre prägt Weib und Kind. Und gerade deshalb hatte ich seit meiner Kindheit einen Horror davor, meine Frau in fortgeschrittenem Alter zu finden, denn da wäre ich, das wußte ich schon mit 6 Jahren, so ziemlich mit allem zufrieden, so lange sie mir nur den Bart kraulte.

Ich kann das Vergangene keinesfalls leicht nehmen, aber was immer ich tat, ich tat's, weil ich's zu müssen meinte, und so muß es bleiben. Unangenehmer als meine Jugend wird mein Alter nicht werden, und jede Stunde hat ihr Gebot. Natürlich wünsche ich, daß die Summe meines Diensts etwas bedeutet. Aber gibt es handfeste Hinweise darauf, daß sie es nicht tut? Selbst für die Welt mag ich erwiesen sein, und Gott hat meine Freiheit nun seit gut 12 Jahren: Das Leben ist gegeben und kann nicht zurückgenommen werden, zu tief, 100000-fach, in der einzigen Währung, die zählt, stehe ich in Seiner Schuld. Aber Frieden in meinen Angelegenheiten, Sieg über meine eigene Angst und Schwäche, Segen dem, was ich zu richten suchte, und Fluch und Vernichtung jenen, welche auf das Heilige spucken, das mag sich begeben, und mehr wünsche ich mit keiner Faser meines Herzens.

Das I Ching hat mich gewarnt: Feuer über Feuer, Größe vor Größe.

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Bleib in der zweiten Zeile, verfalle nicht in die dritte!

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