Willkür im Manne und im Weib
Im Manne Feindseligkeit,
im Weibe Unterhaltung
- die Miniatur der Neueinrichtung.
Gott, ich wünsche mir keine Tochter. Über einen Sohn, welcher überall neue Feinde ausmacht, kann ich lachen. Über eine Tochter, welche stets neue Unterhaltungen sucht, nicht. Einem sprunghaften Menschen hilft die Schwierigkeit dabei, Wurzeln zu schlagen.
Und wahrhaftig, wenn ich mich selbst feindseliger vor mir ausmale, als ich es bin, weil mich die Schlichtheit meiner Lage langweilt, so muß ich zugleich auch mein weibliches Pendant weit unterhaltungssüchtiger vor mir ausmalen, als es das ist.
Die absolute Gleichzeitig- und Gesetzmäßigkeit dieser Wahrnehmungsänderung schockiert mich zutiefst: Wie kann ein anderer Mensch einen durch Erschrecken vor ihm dazu bringen, zu sich selbst zu finden?
Wer hat je davon gehört?
Dies ist vielleicht mein einziger originärer Gedanke, alles sonst mag historische Parallelen besitzen: Sobald ich mir irgendeine Gehässigkeit erlaube, erschrecke ich vor ihr.
Andererseits, wenn ich es so fasse, ähnelt es etwas dem Bildnis von Dorian Gray: Ich sehe meine eigene Bosheit in ihr, sobald sie mich erfüllt, erfüllt sie auch sie. Dennoch, ganz so hat Oscar Wilde es nicht ausgedrückt.
Es ist schlichter, natürlicher und weit poetischer in dieser Form - und gibt selbstverständlich nicht den Stoff zu einem Roman ab.
Und auch für manch anderes gibt es nicht unbedingt den Stoff ab: Wer will schon jedes Mal, wenn er nach einem lebhaft monologisierenden Spaziergang nach Hause kommt, über das Lächeln, welches ihn daheim begrüßt, zu Tode erschrecken?
Es ist eine Ikone eigener Art, nichts, was einen zu sich emporzöge, sondern etwas, was einen beständig zurecht schüttelt und ins Heiligtum der Kindheit zurückführt, wo ein Junge allen Menschen Freund und ein Mädchen fest in ihren Prinzipien sein kann.
Was für ein abscheulicher Mensch ich bin! Meine Frau so ähnlich zu ihr zu wählen! Mehr kleinliche Kleinlichkeit hat die Welt doch noch nie gesehen: Eine Liste physischer Merkmale anzulegen und sie Zähne knirschend abzuhaken. Und doch bin ich mit ihr in gewisser Weise reicher, sie hat ihren eigenen Standpunkt, ich kann sie nach ihren Werten bewerten und werde nicht ständig auf mich selbst zurückgeworfen. Und wenn ich sie zu der Form bringe, in welcher ich sie gerne sehe, so kann sie dort aus eigener Kraft stehen bleiben. Es ist angenehmer, Mühe darauf verwenden zu müssen, aber dafür hin und wieder davon auch einmal ausruhen zu können, als auf Schritt und Tritt von seinem Spiegelbild begleitet zu werden: Schwierigkeit tut dem Sprunghaften gut.
Die Form indessen, in welcher ich meine Frau gerne sehe, ist dieselbe, in welcher ich sie gerne sehe: zufrieden, stolz und von einem inneren Reichtum erfüllt. Frauen sind für mich Kerzen, welche von meiner Herrlichkeit künden sollten. Und da ist es nun aber sehr günstig, auf mich selbst zurückgeworfen zu werden, um nicht meine eigene Herrlichkeit zu verlieren.
Schon seltsam, daß auch diese Seite meines Lebens einem ausgeklügelten Mechanismus ähnelt.
Ich sollte vielleicht erwähnen, daß es einer Frau, die spottet, gut geht, und dies niemand zum Maßstab der Größe ihres Gatten nehmen sollte, es sei denn antiproportional, achtete er doch darauf, daß sie Witz und Selbstsicherheit bei sich behielte. Aber zugleich muß er in ihr auch das Verlangen nähren, sich an ihn anzulehnen, seinem Urteil zu vertrauen.
Und dazu muß er selbstverständlich auch an seinem Urteil arbeiten.
Es ist mein durch Erfahrung aus Instinkt erwachsener Glaube, daß in jedem als gut Erkannten, ein zu bergendes Gut steckt, und in jedem als schlecht Erkannten, ein zu fürchtendes Übel, und ein beträchtlicher Teil der Kunst zu leben darin besteht zu erkennen, worin genau Güter und Übel bestehen.
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